Vom Glück auf drei Rädern

24.12.2008, 00:00 Uhr
Vom Glück auf drei Rädern

© privat

Barbara Weise spricht von ihrem Hobby, das zur Leidenschaft geworden ist, wie die vielen Tausend Radler, die im Sommer, im Herbst und manchmal auch im Winter über die Straßen rollen; aber trotzdem ist es für sie längst nicht selbstverständlich, ausgerechnet den Sport auf zwei schmalen Rennradreifen zu betreiben. Barbara Weise leidet seit ihrem achten Lebensjahr unter starken Lähmungen der rechten Körperseite. Bei einem Unfall mit dem Schulbus erlitt sie schlimme Hirnverletzungen, die zu den spastischen Bewegungsstörungen vor allem am rechten Arm führten. «Und«, so sagt sie unverblümt, «auch mein rechtes Bein gehorcht mir nicht richtig.«

In nur vier Jahren Erfolge im Behindertensport

Trotzdem ist die Sonderschullehrerin in nur vier Jahren im Behindertensport zu sehr beachtlichen Erfolgen gekommen, und neben ihrem Ehrgeiz und ihrer Energie war dafür auch ein bisschen der Zufall verantwortlich. Beim Urlaub in Ruhpolding beobachtete sie zusammen mit ihrem Mann ein 24-Stunden-Radrennen und sah einen Sportler, der nur einen Arm hatte, aber trotzdem beide Bremsen bediente. Das machte sie neugierig, denn wegen der mangelnden Steuerbarkeit ihrer rechten Armes fuhr sie bis dahin nur ein Rad mit Rücktrittbremse. «Ein Mountainbike oder gar ein Rennrad mit freiem Rücktritt und Felgenbremsen habe ich mir nicht zugetraut«, erzählt sie.

Über Franz Ziszler, den Behinderten-Fachwart des Bayerischen Radsport-Verbandes, erfuhr sie dann von all den technischen Möglichkeiten, die es gibt, um einen «Renner« auf die Bedürfnisse behinderter Sportler zuzuschneiden. Nach und nach lernte sie, trotz der fehlenden Feinmotorik ihrer rechten Hand, den Shimano-Schalthebel mit den feinen Rasterstufen für 20 Gänge zu bedienen. Das Bremsen erledigt komplett die andere Hand, denn beide Bremskabel wurden auf die linke Lenkerseite verlegt. «Rad gefahren«, erzählt sie, «bin ich ja trotz meiner Behinderung schon immer. Aber das mit dem Rennrad war eine ganz andere Welt für mich.«

Vom Rennsport-Virus befallen

Und so ist Barbara Weise ziemlich schnell vom Rennsport-Virus befallen worden – auch weil Franz Ziszler merkte, dass er da eine Sportlerin getroffen hatte, «die beißen konnte, auch wenn es weh tat«. Zweifache Zeitfahr-Weltmeisterin ist die Höchstadterin 2007 gewesen, und in diesem Jahr standen als absoluter Höhepunkt die Paralympics in Peking auf dem Programm. Trotz einiger Differenzen mit Bundestrainer Adelbert Kromer, von dem sie sich oft nicht hinreichend unterstützt sieht, schaffte Barbara Weise den Sprung ins deutsche Olympia-Team. Zwei Wochen dauerte die Reise nach Peking – «zum Glück«, sagt sie, «haben mich mein Mann und unsere beiden Töchter gut unterstützt«.

Bei den Rennen fahren Radsportler mit derartigen Lähmungserscheinungen spezielle Dreiräder, «damit man auch im Stehen richtig in die Pedale treten kann«. Und das tat Barbara Weise dann auch. Im Zeitfahren, ihrer Spezialdisziplin, gewann sie die Silbermedaille und war überglücklich. «Der Kurs war heftig«, berichtet sie. Bergig und fast lebensgefährlich kurvig sei er gewesen; aber Stürze hatte sie zuvor schon einige erlebt und deshalb sei die Angst nicht sehr groß gewesen.

Einfach Spaß am Radeln

Der Erfolg, für den sie mit 3000 Euro Prämie, zahlbar in zwölf Monatsraten, belohnt wurde, hat bei Barbara Weise aber nicht nur Euphorie für die Zukunft ausgelöst. «Mir machen die Rennen viel Spaß«, sagt sie, «aber mir gefällt nicht alles, was so läuft im Behindertensport.« In ihrer Kritik ist die Rede von Cliquenwirtschaft, von wenig transparenten Förderungsrichtlinien und von einer zunehmend technischen Aufrüstung beim Radmaterial. «Irgendwie muss ich da unbeschadet rauskommen«, erklärt sie und meint damit den Zwiespalt, den lieb gewonnenen, aber sehr zeitintensiven und teuren Wettkampfsport wieder aufgeben zu müssen.

Gut möglich aber auch, dass Barbara Weise nach den ersten Trainingskilometern im Frühling – vielleicht auf den Straßen Mallorcas – das mit dem Aufhören noch einmal überdenkt. Die WM 2009 in Sevilla möchte sie noch fahren – «und dann guck ich von Jahr zu Jahr«, sagt sie – und klingt dabei wie ein Radsportler, der den leichten Winterblues eigentlich schon überwunden hat.