Von Null zum Club-Liebling: Misidjan fliegen die Herzen zu

8.1.2019, 06:00 Uhr
Von Null zum Club-Liebling: Misidjan fliegen die Herzen zu

© Sportfoto Zink

Ein Tor und zwei Vorlagen reichten Virgil Misidjan für Platz eins bei der obligatorischen – und angesichts des Tabellenstands eher etwas grotesk wirkenden – Wahl zum "Cluberer der Hinrunde". Immerhin 26 Prozent der Teilnehmer hatten sich bei der Abstimmung auf der Vereinshomepage für den flinken Niederländer entschieden; sie honorierten damit wohl auch, dass Misidjan zumindest phasenweise so etwas wie Bundesligaformat aufblitzen ließ.

Auch Misidjan selbst weiß das Votum der Anhänger durchaus realistisch einzuschätzen. "Ich kenne meine Qualitäten und versuche, dem Team in jedem Spiel zu helfen", sagt der 25-Jährige, trotzdem sei er "schon ein bisschen überrascht und auch sehr glücklich über diese Wahl". Wichtiger wäre ihm allerdings, "die Mannschaft würde in der Tabelle weiter oben
stehen".

Dazu will Misidjan in der Rückrunde noch mehr beitragen. Gleich bei seiner Premiere in Bremen traf er zum späten 1:1, es sollte das einzige persönliche Erfolgserlebnis des 2,5 Millionen Euro teuren Neuzugangs von Ludogorez Rasgrad bleiben. "Ein Tor ist nicht viel", räumt der Kicker mit dem Künstlernamen "Vura" selbstkritisch ein, allerdings sei diese Quote eben auch der Taktik geschuldet: "Wir sind nun mal kein großes Team in der Bundesliga und müssen mehr defensiv spielen."

Dass Trainer Michael Köllner in Benahavis verstärkt das System mit Mittelfeldraute und Doppelspitze einstudieren lässt, könnte Misidjan entgegenkommen. Zwar sieht sich der pfeilschnelle, mitunter aber noch zu abschlussschwache Dribbler eher als typischer Flügelspieler, auch in Rasgrad hat er aber schon in vorderster Front gespielt. "Das ist nichts Neues für mich. Und ich mag es, näher am Tor zu sein."

Auf dem Weg dorthin war Misidjan oft nur mit unfairen Mitteln zu bremsen. In der Vorrunde avancierte Nürnbergs Turbo zusammen mit Leipzigs Diego Demme zum zweitmeistgefoulten Spieler der Bundesliga, lediglich Wolfsburgs Maximilian Arnold bekam noch öfter auf die Socken. "In Bulgarien war es dasselbe", sagt Misidjan lächelnd, er habe gelernt, damit umzugehen. "Mein damaliger Trainer hat mir gesagt: Wenn sie dich treten, dreh nicht durch, verliere nicht die Konzentration. Sehe es eher als eine Art Respektsbekundung: Sie können dich nicht anders stoppen."

Öfter mal nicht zu stoppen sein sollte Misidjan auch in der Rückrunde, will der Club seine kleine Chance auf den Klassenerhalt wahren. Die ernüchternde Bilanz zur Winterpause hat den Neuzugang "ein bisschen geschockt", wie er ehrlich einräumt: "Als Aufsteiger hat man es immer schwer, aber ich hatte nicht gedacht, dass es so hart wird." Zumal man ja durchaus ordentlich in die Saison gekommen sei. "Ich hatte eigentlich ein gutes Gefühl", sagt Misidjan. Selbst von Rückschlägen wie dem 0:7-Debakel in Dortmund hatte sich die Mannschaft nicht aus der Bahn werfen lassen. "Aber ich weiß nicht, was dann passiert ist. Plötzlich haben wir fast jedes Spiel verloren." Nicht immer sei das nur die Schuld der Mannschaft gewesen, findet Misidjan: "Das Glück war oft nicht gerade auf unserer Seite. Aber ich fühle, dass sich das nun ändern wird."

Glaube ist da

Den Glauben an den Klassenerhalt hat er deshalb längst nicht aufgegeben: "Im Fußball ist alles möglich." Und seinen Traum von der Bundesliga mag sich Misidjan nicht so schnell wieder nehmen lassen. "Es war immer mein Ziel, Profifußballer zu werden. Es gab auch keinen Plan B in meinem Leben", erzählt der Niederländer mit Wurzeln in Suriname, der bereits mit fünf Jahren beim SC Olympus dem Ball nachjagte und stets von seinem Vater unterstützt wurde. "Er hat mir gesagt: Du hast etwas, was andere nicht haben, du kannst es zum Profi schaffen. Du musst es nur selbst erkennen."

Doch erst als ihm auch seine Trainer Mut machten, fing Misidjan an, wirklich daran zu glauben. Bei Willem II Tilburg etablierte sich das Talent im Profibereich, 2013 wechselte der Juniorennationalspieler zum bulgarischen Serienmeister Rasgrad, für den er in 124 Spielen 34 Tore erzielte. Nach fünf Jahren schien die Zeit dann fällig für den nächsten Schritt in der Karriereplanung: für das Sehnsuchtsziel Bundesliga. "Ich liebe die Stadien, die Fans, die Atmosphäre – es ist einfach überwältigend", schwärmt Misidjan, der am Valznerweiher einen Dreijahresvertrag unterschrieben hat.

Die Umstellung auf Deutschland bedeutete allerdings zunächst einen kleinen Kulturschock. "Anfangs hatte ich Probleme, mich an das Leben hier zu gewöhnen", gesteht Misidjan, die deutsche Mentalität sei nun mal das komplette Gegenteil zur bulgarischen. "Dort haben die Menschen nicht so viel, sind aber damit glücklich. Sie machen sich nicht so viel Druck und leben einfach ihr Leben."

Auch vermisse er manchmal den lockeren Umgang, wie man ihn in seiner holländischen Heimat pflegt: "Bei uns grüßt man sich auf der Straße, auch wenn man sich nicht kennt. Wenn ich in Nürnberg mit meinem Hund spazieren gehe, schauen die meisten Menschen an mir vorbei."

Trotzdem hat sich Misidjan in Franken inzwischen gut eingelebt – dank fürsorglicher Teamkollegen und der Liebe der Fans. "Das hilft mir, mich hier zuhause zu fühlen. Und auch meine Freundin Jacqueline ist glücklich", betont Misidjan, im Februar erwartet das Paar sein zweites Kind.

Alles gut also, wäre da nicht das Damoklesschwert einer drohenden Gefängnisstrafe, das über Misidjan schwebt. Weil er Anfang 2018 im Heimaturlaub einen Rentner bei einem Disput zusammengetreten haben soll, wurde der Profi von einem Gericht in Den Haag wegen Körperverletzung zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt, zwei davon auf Bewährung. Misidjans Anwalt hat Widerspruch eingelegt, wann die Berufungsverhandlung ansteht, ist noch offen.

Reden darf und will Misidjan, im Gespräch ein höflicher, freundlicher und umgänglicher junger Mann, über dieses schwebende Verfahren aktuell nicht. "Ich konzentriere mich jetzt nur auf unser erstes Spiel gegen Hertha", sagt der "Cluberer der Hinrunde". Sollte er im Mai auch zur Wahl zum "Cluberer der Saison" stehen, wäre das wohl schon sein größter Sieg.

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