Warum "Mozart" in Nürnberg scheitern musste

30.1.2012, 10:16 Uhr
Warum

© mindjazz pictures

Am Ende des obligatorischen „Vorstellungsgesprächs“ bat der damals 28-Jährige, der als namhaftester Neuzugang des Aufsteigers galt, die notierten Zitate vor der Veröffentlichung noch einmal lesen zu dürfen. In Köln, so erklärte er entschuldigend, habe er eben schlechte Erfahrungen mit manchen Medien gemacht. Die Versicherung, man wolle ihm gewiss nichts Böses, schien Broich nicht wirklich zu beruhigen.

Der Smalltalk in der Schweiz sollte für den Autor dieser Zeilen die einzige längere Unterhaltung mit Broich bleiben, denn sportlich spielte der Mittelfeldakteur beim Club nie eine Rolle. Nachfragen, wann Broich denn endlich die erhoffte Verstärkung sein würde, konterte Trainer Michael Oenning stets mit dem kryptischen Hinweis, dass „Tom uns mit seiner Art weiterhilft“ und er „noch sehr wichtig für die Mannschaft“ werden könne. Wichtig wurde „Tom“ in Nürnberg nie, und bald machte am Valznerweiher der Witz die Runde, der kulturbeflissene Coach habe den seelenverwandten Profi wohl nur geholt, um gemeinsam Klavier zu spielen und über Literatur diskutieren zu können. Dass zu diesem Zeitpunkt das freundschaftliche Verhältnis zwischen Oenning und seinem einstigen Lieblingsschüler, den er als Juniorentrainer beim DFB sowie als Assistenzcoach bei Borussia Mönchengladbach schätzen gelernt hatte, längst empfindlich gestört war, konnte niemand ahnen.

Depression am Trainingsplatz

Ebenso wenig, dass Broich mit dem Club, ja mit dem Fußball generell schon so gut wie abgeschlossen hatte. Wenn er grußlos und gesenkten Hauptes zum Trainingsplatz schlurfte, um sich dann wie ein arthrosegeplagter Altherrenkicker über den Rasen zu schleppen, werteten das die meisten Beobachter allenfalls als Indiz für das Phlegma und die demonstrative Lustlosigkeit eines abgehalfterten Ex-Stars. Dass Broich längst handfeste Symptome einer Depression verspürte, blieb sein Geheimnis.

Einen intimen Einblick in die komplexe Psyche des sensiblen Sportlers erlaubt Grimme-Preisträger Aljoscha Pause mit seinem hochgelobten Dokumentarfilm „Tom meets Zizou – kein Sommermärchen“, der nach der Kinopremiere nun auf DVD und Blu-ray erschienen ist. Acht Jahre lang begleitete der Bonner Regisseur die turbulente Karriere des Ausnahmetalents, führte mit ihm über 40 Interviews, die irgendwann eher guten Gesprächen unter Freunden glichen, und gestattet so einen ungeschminkten, phasenweise entwaffnend ehrlichen Einblick in die bizarre Welt des Profigeschäfts.

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Pauses ambitionierte Langzeitstudie zeigt aber auch den Reifeprozess eines besonderen Fußballers und Menschen. Als der junge Broich 2003 bei Zweitligist Wacker Burghausen für Furore sorgt, bleibt dies auch den Spähern des FC Bayern nicht verborgen. Das Rennen um den gebürtigen Münchner macht aber Gladbach. Am Niederrhein avanciert Broich zum Publikumsliebling, wird gar als „neuer Netzer“ gefeiert und in einem Atemzug mit den Podolskis, Schweinsteigers oder Lahms als Hoffnungsträger für die Heim-WM 2006 genannt. Zudem entdecken die Medien in ihm den „etwas anderen Fußballprofi“. Während viele Kollegen freiwillig allenfalls „kicker“ oder „Bild“ in die Hand nehmen, liest Broich in der Kabine Camus, Sartre, Dostojewski. Und er lauscht gern klassischen Klängen, was in Burghausen Stürmer Stefan Reisinger ein echtes Schockerlebnis beschert haben muss. Aufgeregt berichtet der spätere Fürther der Presse, dass Broich ja „Mozart und so Zeug“ höre. Ein Spitzname war geboren, auch wenn bei jener gemeinsamen Autofahrt mit Musikexperte Reisinger eigentlich Orff aus den Boxen dröhnte...

Broich, mitnichten frei von Eitelkeit, fühlt sich geschmeichelt. Er gefällt sich in der Rolle des alternativen Fußball-Intellektuellen und feingeistigen Querdenkers. Und er bedient trotz seiner bereits in jungen Jahren ausgeprägten Fähigkeit zur Selbstreflektion brav alle geforderten Klischees, obwohl er ahnt, dass dieses inszenierte Image auch Gefahren birgt, „wenn es mal nicht so läuft“. „Aber“, so Broich rückblickend, „es lief ja alles gut.“

Zumindest bis der Holländer Dick Advocaat bei der Borussia das Kommando übernimmt. Mit seiner autoritären Art ist der gestrenge „General“ der personifizierte Gegenentwurf zum feingeistigen Lebens- und Fußballkünstler Broich. Rustikale Grätsche statt kreative Geniestreiche – ein Prinzip, das das ästhetische Empfinden des bekennenden Zidane-Verehrers zutiefst beleidigt. Der nach einer Verletzung zum Reservisten degradierte „U21“-Nationalspieler reagiert zunehmend bockig und rebelliert gegen den verhassten Vorgesetzten.

2006 flüchtet Broich in die 2.Liga zum 1.FC Köln, wo er permanent zwischen Volksheld und Volldepp pendelt. In der Domstadt pflegt Broich das rastlose Leben eines Studenten. Nächtliche Musiksessions mit den WG-Kumpels oder ein Töpferkurs sind längst wichtiger geworden als das tägliche Training. Mit der Rückkehr des kölschen Messias Christoph Daum beginnt für Broich eine neue Leidenszeit. Wie wenig der exzentrische Trainerguru und sein scharfsinniger Spielmacher harmonieren, zeigt eindrucksvoll eine Interviewsequenz, in der beide getrennt voneinander ihr damaliges Verhältnis beschreiben. Daums anbiedernde Phrasendrescherei kontert Broich mit der ihm eigenen schonungslosen Offenheit.

Als Broich immer mehr in einer Identitätskrise versinkt und desillusioniert seinen Ausstieg aus dem Profizirkus plant, meldet sich Oenning und überredet ihn zum Neuanfang in Nürnberg. Broich sagt ja, „aus alter Verbundenheit“. Als ihm aber auch der frühere Förderer nicht sofort das erwartete Vertrauen schenkt, zieht sich Broich endgültig frustriert zurück. „Er hat keine Einstellung mehr zu dem gefunden, was er macht“, erinnert sich Oenning und gesteht: „Ich war enttäuscht, nicht so sehr von ihm als Mensch, sondern dass es mir nicht gelungen ist, das mit ihm hinzukriegen. Es war eine große Chance, aber wir haben sie nicht genutzt.“ Zugleich attestiert er Broich auch eine gewisse „Lust am Scheitern“.

Auf dem Platz verkommt der „tragische Held“ (Oenning) mehr und mehr zur Karikatur seiner selbst. „Ich war völlig gerädert und konnte keinen Ball mehr stoppen“, resümiert Broich, der „Betonklötze an den Beinen“ zu spüren glaubt. In der Mannschaft wirkt er zunehmend isoliert, der heutige Mainzer Marcel Risse ist einer der wenigen Kollegen, die Zugang zu dem introvertierten Einzelgänger finden. Die nur halb eingerichtete, ungemütliche Dachwohnung in der Südstadt, wo ihm allenfalls seine geliebten Katzen Trost spenden, spiegelt Broichs Seelenleben trefflich wider. Der Oberbayer ist in Franken nie angekommen, und spätestens jetzt will er nur noch weg aus dieser ungeliebten, fremden Stadt, die ihm keine Heimat bot, weg aus diesem Verein, in dem „eine Hausmafia“ regiere. Diesmal sollten es also die Mitspieler sein, denen er die Schuld für sein persönliches Scheitern in die Schuhe schiebt, wie Broich später selbstkritisch gesteht.

Auch Oennings Nachfolger Dieter Hecking gelingt es nicht mehr, die leblose Hülle eines einstmals hochbegabten Fußballers zu reanimieren. Im Abstiegskampf bleibt nun mal keine Zeit für therapeutische Maßnahmen. Als der Club irgendwann den Wechsel des lästigen Edelreservisten zu Brisbane Roar vermeldet, ist das den Zeitungen allenfalls noch eine Randnotiz wert.

Wie die Geschichte eines Sinnsuchenden am anderen Ende der Welt dann doch noch ein Happy End findet, verleiht Pauses Film eine Dramaturgie, die man, wäre der Plot Fiktion, wohl als kitschig abtun könnte. Auch wenn Broich in seiner bisweilen selbstgefällig wirkenden Art polarisieren mag, gönnt man ihm das späte Glück in Australien. Weil just dort, wo sich sonst von Geldsorgen geplagte Ex-Profis wie Jimmy Hartwig, Eike Immel oder Ailton mit anderen B-Promis im „Dschungelcamp“ blamieren, nicht nur ein begnadeter Kicker den Spaß am Spiel wiedergefunden hat, sondern auch der Zuschauer den Glauben an die Faszination des Fußballs. Und als Journalist muss man sich insgeheim eingestehen, dass man vielleicht ganz gerne etwas öfter mit diesem Thomas Broich geplaudert hätte.

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