Wie systematisch überwacht die Polizei Fußballfans?

22.5.2013, 12:43 Uhr
Wie systematisch überwacht die Polizei Fußballfans?

© Wolfgang Zink

Das Dokument könnte äußerlich kaum unauffälliger sein. „Informationsaustausch Fußball“ steht auf dem Titel, darunter ist das Logo der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) zu sehen, die beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Nordrhein-Westfalen für die bundesweite Planung und Organisation von Polizeieinsätzen bei Fußballspielen zuständig ist. 

Doch die 21 Seiten, die wohl über eine undichte Stelle bei den Behörden an die Öffentlichkeit gekommen sind und unserer Redaktion vorliegen, erhitzen die Gemüter von Fußballfans in ganz Deutschland. Vor allem im Internt wie bei „publikative.org“ ist die Wut über den „Vorauslage-Bericht“ zum 34. und somit letzten Spieltag der Bundesliga groß, wird auf den „Überwachungsstaat“, die „Sammel- und Erfassungswut der Behörden“ und die „fragwürdigen Aufklärungsmaßnahmen“ der Behörden geschimpft.

Zentraler Anlass für den Zorn: Neben den als (bedingt) gewaltbereit eingestuften Fans der Kategorien B und C werden auch die normalen Anhänger der Kategorie A erfasst und wohl zu Zehntausenden unter die Lupe genommen. „Zu bedenken ist: Diese Menschen haben sich verabredet, um gemeinsam zu einem Fußballspiel anzureisen — und nicht, um Banken zu überfallen“, heißt es dazu auf „publikative.org“.

So steht in dem Bericht zur Partie zwischen dem 1. FCN und Werder Bremen am 18. Mai in Nürnberg pauschal: „Bei einigen Auswärtsspielen haben Bremer (Problem)Fans teilweise massiv Pyrotechnik gezündet ... Da es sich um das letzte Saisonspiel handelt und die Bremer Fans zur Unterstützung ihrer Mannschaft eine Vielzahl an Doppelhaltern, Fahnen und anderen Utensilien beantragt haben, liegt die Vermutung nahe, dass die Bremer (Problem)Fans das letzte Spiel nutzen werden, um anlassbezogen pyrotechnische Gegenstände zu zünden/abzubrennen.“ 

Vor allem aber wird auch die Anreise der Fans genau beschrieben: „Bei der DB AG wurde ein Sonderzug für 600 bis 700 Personen bestellt. Die Polizei Bremen geht davon aus, dass ca. 580 Gästefans diesen nutzen werden, darunter ca. 250 Ultras.“ Gruppierungen mit gewaltbereiten Mitgliedern wie die „Infamous Youth“ oder „Caillera“ würden wohl „mit zwei Bussen“ nach Nürnberg kommen. Genaue Daten hierzu lägen allerdings nicht vor. Dafür wird etwa für die Begegnung FC Augsburg - SpVgg Greuther Fürth eine Liste der Anreisewege friedlicher Fans präsentiert.

Präzise Daten

Der Polizeibericht nennt fünf Busunternehmen, bei denen Fahrzeuge für die Fanclubs „Hardhöhe“, „Sportfreunde Ronhof“, „Crocodiles“, „Die Färdder“ und „Kleeblatt Family“ gechartert wurden, dazu Abfahrtsort, Abfahrtszeit und Teile des Kennzeichens — versehen mit dem Zusatz, dass es sich bei den Reisenden bestenfalls um „junge, alkoholisierte A-Fans“ handelt, „die von Einsatzkräften ansprechbar sind“. 

Das angespannte Verhältnis zwischen den Behörden und Fangruppierungen dürfte sich so mit einem Schlag deutlich verschlechtern. Bereits im Dezember letzten Jahres sorgte eine ZIS-Statistik für Debatten, aus der sich eine massive Steigerung der Gewalt im Fußball herauslesen ließ. Die Fans bezweifelten die Erhebungsmethoden und protestierten auch deshalb gegen die Statistik, weil sie um einen Verlust der Souveränität ihrer Vereine fürchteten. Beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW herrscht entsprechend Entsetzen darüber, dass der Vorauslage-Bericht in die Öffentlichkeit gelangt ist. „Das war nie zur Veröffentlichung bestimmt“, so ein Sprecher. Ein Ermittlungsverfahren laufe bereits, um die undichte Stelle zu finden. Den Unmut der Fans könne er nachvollziehen, so der Sprecher. Gleichzeitig verteidigte er jedoch die Vorgehensweise. Personenbezogene Daten würden für die Vorauslage-Berichte nicht erhoben. 

Dass beispielsweise auch die genauen Reisewege der als friedfertig eingestuften Fans erfasst würden, sei auch in deren Interesse: Wenn von vornherein klar sei, dass nur normale Fans im Bus sitzen, würde dieser in der Regel auch nicht angehalten oder durchsucht. „Mit Überwachung hat das nichts zu tun“, so der Sprecher.

Zweifel an der Behörde

Heino Hassler vom Fanprojekt Nürnberg wehrt sich gegen diese Darstellung. In seinen Augen bestätigt das Papier den alten Verdacht, dass die ZIS es mit der Überwachung übertreibt. Zur Deeskalation zwischen Fußball-Anhängern und den Behörden würde ein solches Vorgehen aber mit Sicherheit nicht beitragen.

Ganz anders sieht es hingegen der Sportsoziologe, Fanforscher und Berater des Deutschen Fußballbundes Gunter Pilz. Der Bericht sei eine realistische und differenzierte Beschreibung der Realität bei Spielen, niemand würde darin pauschal verurteilt. Zudem stamme ein Großteil der Informationen wohl von den Sicherheitsbeauftragten der Clubs selber. „Da muss man die Kirche auch mal im Dorf lassen“, so Pilz. 

Unter dem Strich ist das Papier in seinen Augen nur ein Beleg dafür, dass die Polizei „ihrer ureigensten Aufgabe“ nachkommt und im Interesse der Allgemeinheit für Sicherheit sorgt. Die Empörung vieler Fans hält er für „gespielt“. „Ich würde mir stattdessen mehr Distanzierung von der Gewalt wünschen“, so Pilz.

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