"Wir leben noch": Der FCB sträubt sich gegen die Realität

13.4.2017, 15:55 Uhr

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Für eine unvergessliche Aufholjagd im Estadio Santiago Bernabéu sprachen sich die Bayern-Stars sofort nach dem neuerlichen Frust-Erlebnis gegen Real Madrid Mut zu. "Wir sind noch am Leben", erklärte Trainer Carlo Ancelotti mitten in der schmerzhaften Münchner Champions-League-Nacht. Nach dem dank Manuel Neuer nur mit 1:2 (1:0) verlorenen ersten Teil des Königsklassen-Gipfels muss der deutsche Meister am Dienstag in Spanien auf einen denkwürdigen Europapokal-Abend hoffen - sonst findet das Halbfinale wie zuletzt 2011 ohne die Bayern statt. "Im Fußball gab es schon größere Geschichten", sagte Weltmeister Thomas Müller und verkündete das Motto: "Volle Kraft voraus."

Die x-te Gala von Madrids Megastar Cristiano Ronaldo, der als erster Spieler die 100-Tore-Marke im Europapokal knackte, hätte die Bayern noch weitaus härter treffen können. Madrid besaß die Extraklasse im Sturm, die die Gastgeber ohne ihren Supertorjäger Robert Lewandowski nicht schultern konnten. "Fürs Rückspiel wird er zu 100 Prozent wieder da sein", vermeldete Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge den großen Mutmacher für die Partie vor 80.000 Zuschauern. Im Hinspiel sorgte einzig Welttorhüter Neuer dafür, dass das Münchner Ensemble überhaupt noch auf das Weiterkommen hoffen darf. Der 31-Jährige verhinderte drei Jahre nach dem 0:4 gegen Real die erneute Demütigung. Die spanische Zeitung El País rühmte seine Paraden als "zehn Wunder". "Wir haben trotzdem noch alles in der eigenen Hand", sagte Neuer nach seinem beeindruckenden Kaltstart zwei Wochen nach einer Fuß-OP.

Martinez unrühmlicher Abgang nach starkem Auftritt

Der Nationalkeeper verließ schon einmal Madrids Fußball-Tempel als Held, als er die Münchner beim Elfmeterkrimi ins "Finale dahoam" rettete. Einen Sieg gab es im Bernabéu auch schon: Am 29. Februar 2000 feierten Effenberg & Co. ein 4:2. Elf Bayern-Stars in Neuer-Form - und das vorweggenommene Endspiel am Mittwoch wäre mit Sicherheit anders gelaufen. Der lange starke Arturo Vidal hätte den Klassiker auch in eine ganz andere Richtung lenken können, wenn er nach seinem 1:0 (25.) den Handelfmeter (45.+1) nicht in den Abendhimmel geballert hätte. "Dann wäre es ein anderes Spiel gewesen", gestand Ronaldo. "Aber so ist der Fußball eben." Nach dem Blitz-Platzverweis für den vor der Pause starken Javi Martínez, der drei Minuten nach Gelb wegen eines taktischen Fouls an der Mittellinie für eine ähnliche Aktion erneut verwarnt wurde, drohten die angeknockten Bayern dann komplett unterzugehen. "Manu hat uns im Spiel gehalten", dankte Philipp Lahm. Für einen ruhmreichen Abschluss seiner im Sommer endenden Karriere fordert der Kapitän eine Leistungssteigerung: "Wir können auch in Madrid gewinnen. Da müssen wir aber mehr zeigen, als wir es heute getan haben."

Vidals Fehlschuss weckte Erinnerungen an das letztjährige Halbfinal-Aus gegen Atlético Madrid, als ein verschossener Strafstoß von Thomas Müller das Finale gekostet hatte. Vorwürfe an Vidal oder Martínez gab es nicht, vielmehr mäkelten die Münchner am Gesamtauftritt herum. "Wir hatten nicht die einhundertprozentige Überzeugung, dass wir die bessere Mannschaft sind", befand Müller.

Offensiv-Trio ohne Glanz

Auch Arjen Robben vermisste "diese letzte kleine Überzeugung". Das Aus von Lewandowski nach dessen Schulterverletzung mochte er nicht als "Ausrede" gelten lassen. Der in 60 Champions-League-Spielen 39-mal erfolgreiche Pole fehlte erstmals in einem Königsklassenspiel für den alten (und wohl auch neuen) deutschen Meister. Müller war kein gleichwertiger Ersatz, aber auch die in die Jahre gekommenen Robben und Franck Ribéry trumpften nicht groß auf.

Die Bayern-Joker brachten gar keine Impulse. Lewandowski soll im Rückspiel dabei sein, Ancelotti hofft auch auf den verletzten Abwehrchef Mats Hummels. Nach der Sperre für Martínez müsste ohne Hummels David Alaba in die Innenverteidigung rücken. Jeder eingesetzte Bayern-Spieler habe Qualität, sagte Real-Star Toni Kroos und warnte. "Es wird noch einmal eng." So sah es auch Trainer Zinedine Zidane: "Wir werden leiden, das wissen wir."

Letztmals verloren die Münchner im UEFA-Cup der Saison 1995/96 ein K.o.-Hinspiel zu Hause mit einem Tor. Nach dem 0:1 kamen sie dann aber durch ein 5:0 im Rückspiel auswärts weiter. Die gute Nachricht: Am Saisonende stand der Titelgewinn. Die schlechte: Der Gegner hieß Lokomotive Moskau - und nicht Real Madrid.

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