WM-Kolumne: Glücklicher Ausgang, doch alles bleibt offen

24.6.2018, 08:35 Uhr
Torschütze Toni Kroos (rechts) jubelt mit Marco Reus über seinen späten Treffer zum 2:1.

© Ye Pingfan/AP/dpa Torschütze Toni Kroos (rechts) jubelt mit Marco Reus über seinen späten Treffer zum 2:1.

Wie der Jubel in Seoul ausfiel, ist nicht überliefert. Aber der späte Volltreffer von Toni Kroos zum 2:1 für Deutschland über Schweden war auch ein Tor für Südkorea – es hielt die Asiaten im Turnier, mit einem abschließenden Sieg über Deutschland kann selbst Südkorea noch ins Achtelfinale einziehen (wenn Mexiko die Schweden besiegt).

Umgekehrt nützt der deutschen Mannschaft selbst ein 1:0 -Sieg im letzten Gruppenspiel nichts - wenn Schweden gegen Mexiko mit 2:1 gewinnt. Nur bei einem Sieg mit zwei Toren Differenz ist Deutschland sicher im Achtelfinale.

Dass insgesamt ein besserer Eindruck blieb als beim 0:1 gegen Mexiko, muss dabei nicht sehr ausdrücklich erwähnt werden - selbst versierte Pessimisten wären wohl kaum in der Lage gewesen, sich auszumalen, wie es noch schlechter hätte aussehen können.

WM-Kolumne: Glücklicher Ausgang, doch alles bleibt offen

© Bronislav Hava

Oder hätte jemand - jemand mit Talent zur Schwarzmalerei - etwa so etwas herbeiorakeln können: einen hanebüchenen Fehlpass von Toni Kroos, der zu einem Tor für Schweden führt? Einen Platzverweis für Jerome Boateng, der beim verzweifelten Versuch, die Dinge zu ordnen, in eine selbst gestellte Falle läuft und sich nur mit einem Foul retten kann

Dumm nur: Beides ist ja tatsächlich passiert in einem Spiel, das an Thomas Müller ähnlich vorbeilief wie das gegen Mexiko, in dem sich der verletzte Mats Hummels als unersetzbar (oder jedenfalls nicht durch Antonio Rüdiger ersetzbar) erwies und das die Schweden schon vor der Pause hätten entscheiden können, wären sie etwas entschlossener in den ihnen gewährten Freiräumen unterwegs gewesen.

Andererseits: Die WM-Historie ist voll von späteren Finalisten, die sich zäh in Turniere quälten, sehr oft kamen diese Teams aus Deutschland (1982, 1986, 2002), Frankreich 2006 und Argentinien 2014 gehören auch dazu, es brauchte dafür: Kampfkraft und Glück, beides hatte die deutsche Elf gegen Schweden, Glück vielleicht noch etwas mehr.


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Und wenn besondere Klasse in Momenten aufblitzt, in denen niemand mehr damit rechnet, kann das tatsächlich ganze Turniere verändern. Toni Kroos zeigte beim Kunstschuss zum 2:1, was er eben auch ist: einer der wenigen absoluten Weltklassespieler im deutschen Team, in dem Manuel Neuer eine bewundernswert verlässliche Nummer eins ist - als Torwart sowieso, aber auch als emotionaler Rückhalt.

Favoriten straucheln

Marco Reus, Timo Werner, mit Abstrichen auch Mario Gomez: In der Offensive überzeugten Spieler, die nicht im Verdacht stehen, mit dem WM-Triumph von 2014 an Spannkraft verloren zu haben - sie waren gar nicht dabei. Die deutsche Mannschaft hat sich so am Samstagabend auf etwa das Niveau anderer strauchelnder Favoriten gehoben, Brasilien sieht ähnlich, Argentinien sogar deutlich schlechter und Frankreich nicht viel besser aus.

Prognosen bleiben das, was sie immer sind: Spielereien, mehr oder weniger ernsthaft. Immerhin das hat Thomas Müller glänzend hinbekommen. Was jetzt möglich ist? Alles, sagte der Münchner - und meinte es genau so. Alles: vom Worst Case bis zum Höchsten der Gefühle - das gilt schon für den abschließenden Gruppenspieltag am Mittwoch, idealerweise aber noch länger.

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