WM-Kolumne: Kritik an Özil nach WM-Aus geht am Kern vorbei

28.6.2018, 17:52 Uhr
WM-Kolumne: Kritik an Özil nach WM-Aus geht am Kern vorbei

© Ina Fassbender/dpa

Zunächst einmal sind die Sätze alt, uralt nach Social Media-Maßstäben. Sie stammen von Jerome Boateng, man kann sie in der Wochenzeitung Die Zeit nachlesen. Sie stammen wiederum aus einer Zeit, in der man noch mit der strunzdämlichen Aussage provozieren konnte, dass die Leute einen Boateng nicht als Nachbarn haben wollen. Zwei Jahre später hätte Mesut Özil allen Grund, diese beiden bitteren Sätze zu wiederholen. Özil aber spricht nicht. 

Das kann man ihm vorwerfen. Dass er sich mit einem demokratie- und deutschlandfeindlichen Autokraten hat fotografieren lassen, muss man ihm vorwerfen. Das Mannschaftsfoto mit Erdogan, Gündogan und Özil (und dem stets vergessenen Cenk Tosun) hat rechte Trolle in Politik und Netz glücklich gemacht und Unruhe in das deutsche Teamhotel gebracht. Die Krise verschärft hat danach das ungenügende Krisenmanagement des DFB. Özil hat sich dazu nicht geäußert und zu allem anderen auch nicht. Noch einmal: Dafür kann man ihn kritisieren, gut und sachlich argumentiert auch den Bundestrainer, der Özil und Gündogan trotzdem nominiert hat.

Kritisiert wird seit Mittwochabend aber der Fußballer Mesut Özil, für seinen vermeintlichen Tempoverschleppungsfußball, für seine vermeintlich hohe Fehlpassquote, für seine Körpersprache. Diese Vorwürfe begleiten ihn seine gesamte Karriere in der Nationalmannschaft: 90 Länderspiele, ein WM-Titel, das entscheidende Tor gegen Ghana bei der WM 2010, drei Torvorlagen im EM-Viertelfinale gegen Griechenland 2012, das 2:0 gegen Algerien im WM-Achtelfinale 2014, vier Halbfinalteilnahmen in Folge bei WM- oder EM-Turnieren - und trotzdem wurde immer er nach den wenigen Niederlagen zur Symbolfigur. Zu pomadig, zu verspielt, hieß es, zu wenig deutsch, war in den überwiegenden Fällen wohl damit gemeint. 

Nach dem historischen 0:2 von Kasan wurde Özil der sofortige Rücktritt nahegelegt, von Twitterern, von vermeintlich seriösen Nachrichtenkanälen, die Klickfischer von Sport1 gaben ihm in ihrer Einzelkritik die Note 6. Am Tag danach arbeiteten tatsächlich seriöse Journalisten heraus, wie gut Özil gegen Südkorea war, dass er sieben Torchancen vorbereitet hatte, so viele wie kein anderer Spieler bei diesem Turnier in einem Spiel, dass er sicherlich nicht der Grund war, warum Deutschland an diesem Mittwoch zum ersten Mal in der Vorrunde gescheitert war.

Wie bei so vielen erhitzten Diskussionen unserer Zeit geht es aber auch in der Beurteilung von Özils Leistung nicht um Fakten, sondern leider um eine latente Fremdenfeindlichkeit, die man nicht allen Kritikern vorwerfen kann, die sie mit ihren Polemiken aber begünstigen. Hätten Werner, Kroos oder Hummels nur eine von den drei durch Özil herausgespielten Großchancen genutzt, wäre er verschont worden – bis zum wohl unvermeidlichen Ausscheiden in Achtel- oder Viertelfinale.

Die schwedische Mannschaft hatte sich nach dem 1:2 gegen Deutschland im Wortsinn hinter Jimmy Durmaz versammelt, der das Foul vor dem Kroos-Freistoß begangen hatte. Durmaz wurde rassistisch beleidigt, bekam Morddrohungen – die Reaktion der schwedischen Mannschaft war unmissverständlich. Durmaz ist ein Teil von uns, ihr nicht. Fuck Racism. Özil, in Gelsenkirchen geboren, im Stadtteil Bismarck aufgewachsen, wird schon immer beleidigt, immer öfter auch unverhohlen rassistisch.

Dass sich aus der deutschen Mannschaft niemand hinter ihn gestellt hat, noch nicht einmal symbolisch, mag daran liegen, dass sich Özil – im Gegensatz zu Durmaz – nicht eindeutig zu seinem Land bekannt hat. Es zeigt allerdings auch, dass die deutsche Mannschaft in Russland vieles war, aber sicherlich keine Mannschaft.

In den Jugendmannschaften dieses Landes spielen Jerome, Mesut und Thomas selbstverständlich miteinander, stolz tragen sie die Trikots von Boateng, Özil und Müller. Das ist Deutschland 2018. Und doch zeigt ein Spiel, ein gründlich missratenes Turnier, wie hässlich Deutschland 2018 auch sein kann. Wenn es gut läuft, sind sie Deutsche. Wenn es schlecht läuft, sind sie Ausländer.

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