Star-Architekt Helmut Jahn: Der Mann, der an Wolken kratzt

29.11.2012, 19:48 Uhr
Star-Architekt Helmut Jahn: Der Mann, der an Wolken kratzt

© Harald Sippel

„Wichtig ist, wie etwas in 40 oder 50 Jahren noch wirkt“, sagt Helmut Jahn. „Gebäude müssen länger halten als Autos. Sie sind teuer“. Wohl wahr. Und einer wie er darf das wohl auch frank und frei zum Ausdruck bringen – können sich doch „seine“ rund 100 Bauten weltweit seit bald vier Jahrzehnten wacker behaupten. Gar mehr: Der schräg Richtung Himmel ragende Glaszylinder des „James R. Thompson Center“ in Chicago, mit der ihm 1979 ein früher großer Coup gelang, ist heute für das Stadtbild so unverzichtbar, wie es sein Messeturm für Frankfurt oder sein Entwurf des Sony-Centers für Berlin geworden ist.

Die Zeit ist auf seiner Seite, könnte man sagen. Er aber schreibt lieber über sein „Manifesto“: „Die Zukunft hat immer recht“. Einer der Schlüsselsätze, die der 1940 geborene Freigeist darin formuliert, lautet: „Die Angst, einen Fehler zu machen, wenn man etwas Neues versucht, ist wohl das größte Hindernis für den architektonischen Fortschritt“.

So betrachtet ist jetzt im Museum am Klarissenplatz das Werk eines künstlerisch fundierten Visionärs zu erleben, der keine Angst vor dem scheinbar Unmöglichen hat. Die Schau mit dem Titel „Process Progress“ ist dreigefächert. Fotoprints, die an allen vier Wänden bis unter die hohe Decke des großen Ausstellungssaals reichen, zeigen Jahns spektakulär himmelstürmende Architektur.

Star-Architekt Helmut Jahn: Der Mann, der an Wolken kratzt

© NM

Rainer Viertlböck hat die Bilder gemacht. Der Architektur-Fotograf, der seit sechs Jahren Jahns Wirken begleitet, näherte sich den Bauten aus ungewöhnlichen Perspektiven an – etwa nicht vom Boden aus, sondern von einem Kran. Es ist also auch eine Fotografie-Ausstellung geworden. Dazu eröffnet die Schau eine bislang weitgehend ungezeigte Seite des Star-Architekten: als Zeichner. Auf mehr als 1000 Blätter schätzt der kosmopolite Künstlers die Anzahl seiner Grafiken, die er inzwischen auch mit dem iPad, aber stets noch mit der Hand anfertigt. Im Büro ebenso wie im Flugzeug zwischen den Kontinenten. Jahns Skizzenblätter sind Kunstwerke für sich und zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.

Filmdokumentationen und Miniaturmodelle, von den Anfangstagen bis zu Ideen für die Zukunft, tragen zum Verständnis des kreativen Weltbilds des Bau-Designers bei. Sie führen somit in eine Vorstellungswelt, in die ihm manche Nürnberger Interessensgruppe leider nicht folgen wollte, weshalb 1996 seine Idee für die Gestaltung des Augustinerhofs per Bürgerentscheid abgeblockt wurde. Die Entwürfe dazu spart die Schau nicht aus, die in Kooperation mit der Neuen Sammlung München präsentiert wird.

„Entscheidend ist nicht die Höhe eines Gebäudes“, sagt der Mann, der mit seinem Team derzeit für den Bau des 520 Meter hohen Doha-Towers in Abu Dhabi verantwortlich zeichnet: „Entscheidend ist, was ein Gebäude repräsentiert. Eine Zeit. Einen Ort. Das ist nicht austauschbar“.

Aber das ist von Ort zu Ort verschieden. Jahn studierte zunächst an der Münchner TU, ehe er vom Nürnberger Architekten Wilhelm Schlegtendal 1966 Schützenhilfe für ein Stipendium in Chicago erhielt. Schlegtendal war übrigens auch ein Turmbauer. Er entwarf das „Plärrer-Hochhaus“. Am Michigansee wurde Jahn erst Partner und schließlich Inhaber des Architektur-Büros C.F. Murphy Associates. Bis heute ist die US-Metropole sein Hauptwohnsitz geblieben. Und nicht nur am Flughafen Chikago O’Hare hat seine meist dem Licht zugewandte Ästhetik Spuren hinterlassen, sondern auch an den internationalen Airports Bangkok und München, die er als stadtähnliche Architekturlandschaften konzipierte. „Man muss es angenehm machen. In Venedig laufen alle stundenlang rum. In Denver dagegen fährt man Taxi, weil die Stadt so langweilig ist.“

Jahns Bauten sind künstlerisch fundiert. Er setzt viel auf Glas, das „einzige Material, das man noch verbessern kann.“ Ökologische Nachhaltigkeit ist ihm eine Herzensangelegenheit und damit die Einplanung essentieller, „kostenloser“ Ressourcen wie Luft, Wasser und Licht.

Wer Neues wagt, wird oft kritisiert. Das aber deutet der weltgewandte 72-Jährige selbstbewusst als eine Begleiterscheinung des Erfolgs: „Dann sind die Gebäude es wenigstens wert, darüber zu reden.“

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