Steiniges Gelände

10.7.2017, 19:25 Uhr
Steiniges Gelände

Fast 90 Prozent der bundesweiten Baulücken, so die Forscher, verteilen sich auf 138 der insgesamt 402 Landkreise und kreisfreien Städte. Betroffen sind also auch viele Regionen außerhalb der Metropolen. Als Grund für diese Entwicklung nennen die Autoren der Studie, die sie im Auftrag des Verbändebündnisses Wohnungsbau erstellt haben, zwei Punkte: "Die Bevölkerung ist von 2009 bis 2016 deutlich gewachsen, zeitgleich wurden zu wenige Wohnungen neu gebaut."

Wie lässt sich der Wohnungsbau ankurbeln und zwar so, dass auch Einkommensschwächere ein ordentliches Dach über dem Kopf finden? Diese Frage beschäftigt Politiker aller Couleur. Kein Wunder: Der Mangel birgt jede Menge sozialen Sprengstoff. Und die Bundestagswahl steht vor der Tür.

Mieterbund mit im Boot

Hannes Zapf (siehe auch gelber Kasten) liegt das Thema Wohnungsbau schon lange am Herzen – und das nicht nur deshalb, weil der Unternehmer sein Geld mit dem Verkauf von Steinen verdient. Der 56-Jährige engagiert sich seit vielen Jahren bei "Impulse für den Wohnungsbau", dessen Sprecher er in Bayern ist. Das Bündnis wurde 2004 auf Initiative des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, des Bundesverbandes Baustoffe, Steine und Erden, des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes und der deutschen Mauerwerksindustrie ins Leben gerufen. Dem Netzwerk gehören inzwischen 30 Verbände und Organisationen an, darunter der Deutsche Mieterbund und die IG Bau.

Zapf warnt vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft, "immer mehr Menschen können sich immer weniger Wohnung leisten". Dies treffe auch Jüngere, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen und noch nicht so viel verdienen, sowie Ältere, die sich räumlich verkleinern wollen. Die Idee, dass Senioren freiwillig aus ihren großen Wohnungen ausziehen, um so Platz für Familien zu schaffen, scheitere in der Praxis zu oft daran, dass die kleineren Wohnungen häufig teurer sind als die bisherige.

Für den Familienunternehmer steht fest: "Der Staat muss die unteren und mittleren Einkommensgruppen mehr fördern." Was er als Erstes anpacken würde, wenn er an der Regierung wäre? "Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufstocken und gleichzeitig die Abschreibungsmöglichkeiten, die AfA, erhöhen und damit den Anreiz für private Anleger und Investoren, in den Mietwohnungsbau einzusteigen", zählt Zapf auf und ergänzt: "Eigentlich bräuchten wir in Berlin ein zentrales Ministerium, das federführend alles aufs Gleis setzen kann, um den Wohnungsbau anzukurbeln."

Glatt halbiert

Die Baustelle "Wohnraummangel" ist seit Jahren bekannt, konkrete Vorschläge und Forderungen, wie das Problem angegangen werden kann, sind es ebenfalls – geschehen ist nach Einschätzung vieler Kritiker trotzdem viel zu wenig. Auch Zapf gehört zu diesem Kreis. Doch er ist zuversichtlich: "Das Thema bezahlbare Wohnungen hat einen hohen Stellenwert im Bundestagswahlkampf, alle Parteien müssen Konzepte liefern. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die künftige Regierung in dieser Sache mehr tut."

Mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und dessen Finanzierung dauerhaft als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern verankern: Das fordern viele Fachleute, darunter Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Denn die Zahl dieser Wohnungen mit Mietpreis- oder Belegungsbindung ist in den vergangenen Jahren massiv gesunken. Laut GdW hat sie sich zwischen 2002 und 2016 bundesweit glatt halbiert auf rund 1,3 Millionen.

Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes (DMB) entstanden in den vergangenen beiden Jahren zusammen 40 000 neue Sozialwohnungen – der Schwund per anno liege bei rund 50 000. "Benötigt werden mindestens 80 000 neue Sozialwohnungen pro Jahr", unterstreicht DMB-Direktor Lukas Siebenkotten. Der Bund müsse dazu die Finanzmittel weiter aufzustocken, die Länder müssten das Geld zweckgerichtet verwenden und eigene Haushaltsmittel in gleicher Höhe für den Sozialwohnungsbau aufbringen.

"Vor allem aber muss sichergestellt werden, dass der Bund auch künftig, das heißt nach 2019, in der Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau bleibt", betont Siebenkotten. Wenn es hier nicht zu einer Gesetzes- oder Grundgesetzänderung komme, werden ab 2020 die Länder die alleinige Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau haben – "damit dürfte der soziale Wohnungsbau vielerorts vor dem Aus stehen".

Auf breiter Front einig

Dass hierzulande in den gefragten Städten und Kommunen zu wenig für Einkommensschwächere, aber auch Otto Normalverdiener gebaut wird, liegt – auch da sind sich Experten auf breiter Front einig – an den hohen Erstellungskosten. Grundstücke dort sind knapp und teuer, die in der Republik geltenden technischen Regelungen und Standards anspruchsvoll. Beispiel Energieeinsparverordnung (EnEV): Sie wurde vor 15 Jahren eingeführt, seitdem mehrfach überarbeitet und verschärft. Der GdW beziffert die seit 2002 dadurch entstandene Kostensteigerung auf 16 Prozent. "Die Einsparungen aus verminderten Heizkosten können dies nur zum Teil gegenfinanzieren, zumal der betriebliche Aufwand für energetisch hocheffiziente Gebäude deutlich ansteigt", erläutert Gedaschko. Mit dem derzeitigen Neubaustandard sei die Grenze der Wirtschaftlichkeit längst erreicht.

Ulrike Kirchhoff, Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Bayerischer Grund-, Haus- und Wohnungsbesitzer, konstatierte vor kurzem lakonisch: Preisgünstig zu bauen, sei angesichts der ganzen Vorgaben, die es zu erfüllen gilt, gar nicht möglich. Eine Kerbe, in die auch Zapf schlägt: "Wir verschärfen nach wie vor Gesetze und verteuern so das Bauen immer mehr."

Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) warnt ebenfalls davor, durch zu strenge Bauauflagen die Preise "unnötig" in die Höhe zu treiben. Für GdW-Mann Gedaschko steht fest: Mit einer steigenden Auflagenflut und fehlenden Anreizen für den Wohnungsbau sorge die Politik dafür, "dass die Dynamik im Segment der dringend benötigten bezahlbaren Mietwohnungen bei den Wohnungsfertigstellungen nicht stärker wird".

"Willkommenskultur für Bagger"

Seit 2008 hinken die Baufertigstellungen den Baugenehmigungen kontinuierlich hinterher. Der Abstand ist inzwischen beträchtlich. So wurden 2016 insgesamt 375 400 neue Wohnungen genehmigt, knapp 278 000 fertiggestellt. Den Bedarf an neuen Wohnungen beziffern Bundesregierung, Bau- und Wohnungswirtschaft sowie Mieterbund auf 400 000 pro Jahr. "Insbesondere im Mietwohnungsbereich klafft zwischen Bedarf und Neubau eine riesengroße Lücke", konstatiert Mieterbund-Direktor Siebenkotten.

Dass in den Städten nicht genug gebaut wird, liegt Zapf zufolge auch an den Menschen, die dort bereits wohnen: Beim Thema Nachverdichtung gebe es immer häufiger ein "Akzeptanzproblem bei den Nachbarn". GdW-Präsident Gedaschko spricht von zunehmenden Streitigkeiten im Planungsprozess, die den Neubau verzögern. "Bauherren haben es hier immer häufiger mit dem sogenannten Nimby-Trend zu tun", berichtet er. Nach dem Motto "Not in my backyard" ("Nicht in meinem Garten") würden Anrainer immer öfter versuchen, Bauprojekte zu verhindern.

"Insgesamt fehlt uns das Bewusstsein, dass unser Land in den Ballungsräumen mehr Wohnraum benötigt und es damit enger wird", sagt Zapf. Bei Axel Gedaschko klingt das so: "Wir brauchen eine echte Willkommenskultur für Bagger und Neubau – bei den Menschen in den Quartieren und bei der Politik."

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