Stromsperre darf nur das letzte Mittel sein

24.6.2014, 06:00 Uhr

Der alte Mann glaubt alles richtig zu machen: Er heizt mit Holz, er kocht auf einem vorsintflutlich anmutenden Küchenherd mit Holz, er bereitet Warmwasser in einem holzbefeuerten Kessel. Dennoch steigt die Stromrechnung und reißt immer größere Löcher in das schmale Budget des Rentners.

Den beiden Helfern von der Caritas-Kreisstelle ist beim ersten Blick auf die Stromrechnung alles klar: Das Holz muss nach der Anlieferung zerkleinert werden, die Motorsäge läuft mit Starkstrom. Und dessen Preis steigt noch schneller als der für Haushaltsstrom.

In diesem Fall genügte ein Gespräch mit dem Energieversorger und der Rentner war der drohenden Überschuldung entronnen. Für Monika Dreßel und Bernhard Schinner illustriert dieser Vorgang aber die Hilflosigkeit vieler Menschen, die schon vor dem Fachchinesisch in der Stromabrechnung kapitulieren, die Zahlungsaufforderungen einfach ignorieren und die dann staunen, wenn das Versorgungsunternehmen die Stromzufuhr kappt.

Monika Dreßel von der Caritas- Schuldnerberatung: „Wenn die Menschen zu uns kommen, ist es meist schon eine Minute nach zwölf.“ Dabei lässt sich die Energieschuldenberatung selten von der allgemeinen Schuldenberatung trennen, doch die Folgen sind gravierender, wenn der Strom weg ist: Die Heizung, auch wenn sie mit Öl oder Gas befeuert wird, läuft nicht mehr, Nahrungszubereitung ist meist unmöglich, Licht fehlt.

Wie Obdachlosigkeit

Die Caritas-Berater stellen eine Energiesperre auf eine Stufe mit Obdachlosigkeit. Doch das Frühwarnsystem ist in Sachen Energie weniger gut ausgebaut: Ehe Menschen auf die Straße gesetzt werden, muss das Sozialamt verständigt werden, das sich um ein Notquartier kümmert. Strom- und Gassperren dagegen erleben die Betroffenen oft als Schlag aus heiterem Himmel.

Dreßel und Schinner können das verstehen: Viele Versorgungsunternehmen denken in Abrechnungszeiträumen. Erst dann fällt plötzlich auf, dass bei einem Kunden ein Minus von ein paar Hundert Euro aufgelaufen ist. Und die sollen sofort beglichen werden, sonst wird der Strom abgedreht. Das kann bei einem Hartz-IV-Empfänger mit 391 Euro im Monat nicht funktionieren.

Ihre Hauptforderung lautet daher, dass die gesetzlichen Hürden für Energiesperren deutlich erhöht werden. Vor diesem letzten Mittel sollten Stundung, Ratenzahlung oder der Einsatz von Münzzählern stehen. Für die Jüngeren: Münzzähler sind das Pre- Paid-System des vergangenen Jahrhunderts: Wer ein paar Euro einwirft, bekommt Strom oder Gas.

Die Neumarkter Berater verlangen auch, dass bei Sozialleistungen realistische Energiekosten kalkuliert werden: Im Hartz-IV-Regelwerk sind 27,60 Euro für einen Alleinstehenden mit seinen 391 Euro monatlich vorgesehen. Das reicht längst nicht mehr. Noch besser wäre es, wenn die tatsächlichen Energiekosten unabhängig vom Regelbedarf gezahlt würden.

Menschen mit niedrigem Einkommen stecken in einer weiteren Falle: Meist können sie sich nur alte Wohnungen mit entsprechend schlechter Wärmedämmung leisten, also müssen sie überdurchschnittlich hohe Einkommensanteile für Energie aufwenden. Und sie können sich auch nicht die neuesten Haushaltsgeräte mit minimalem Energieverbrauch kaufen. Trotzdem hat der Stromspar-Check der CAH vielen Haushalten schon Luft verschafft, lobt Schinner.

Um solche Soforthilfen vor Ort auszubauen, wurden Runde Tische auf Stadt- und Landkreisebene ins Leben gerufen. Die Stadtwerke Neumarkt beteiligen sich daran, aber Konzerne wie E.on bleiben im Abseits.

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