Stuttgart 21: Probleme mit Geologie?

3.9.2010, 20:00 Uhr
Stuttgart 21: Probleme mit Geologie?

© dpa

Je länger die Diskussion um das Bahnprojekt Stuttgart 21 läuft, desto tiefer gründen die Fragen – und das im Wortsinn. Denn bei dem Milliardenvorhaben wird nicht nur eine neue unterirdische Station gebaut, sondern auch 33 Kilometer Tunnel. An den neuen Bahnhof im Zentrum schließt sich eine 9,5 Kilometer lange Röhre Richtung Flughafen an. Die geplanten Ausschachtungen und Bohrungen wecken bei vielen Stuttgartern Ängste und rufen Mahner aus der Fachwelt auf den Plan – von Kratereinstürzen wie in Köln oder versiegenden Mineralquellen ist die Rede.

Grund: die schwierige Geologie und Grundwassersituation im Stuttgarter Talkessel. So meldete sich jüngst der für die Konstruktion des Zeltdachs am Münchner Olympiastadion bekannte Stuttgarter Architekt Frei Otto mit Sicherheitsbedenken zu Wort. Der emeritierte Professor fürchtet, der Bahnhofsturm könnte sich wie der schiefe Turm von Pisa zur Seite neigen. Auch beschwört er das Horrorszenario eines Bahnhofs, der „wie ein U- Boot aus dem Meer“ hochsteigen könnte. Frei Otto rief zum Baustopp auf, ansonsten seien „Leib und Leben“ gefährdet.

Der Geologe Jakob Sierig aus Tübingen pflichtet ihm bei: „Ich sehe wie er, dass mit geologischen Risiken leichtfertig umgegangen wird.“ Ein bereits 2003 erstelltes Gutachten des Stuttgarter Ingenieurbüros für Geotechnik, Smoltczyk & Partner sorgte jüngst zusätzlich für Nervosität, weil es im Bereich der Baugrube Hohlräume nicht ausschließt. Allerdings sind die Untersuchungen nach Angaben der Projektträger Teil der Planfeststellungsunterlagen und müssen von den ausführenden Unternehmen entsprechend berücksichtigt werden.

Streit unter den Fachleuten

Die Deutsche Bahn hat unterdessen ihre Fachleute aufgefahren, allen voran Stuttgart-21-Architekt Christoph Ingenhoven und seine Ingenieure Werner Sobek und Dirk Münzner. Ingenhoven wirft Otto Panikmache vor und geht mit seinem ehemaligen Partner hart ins Gericht. Der 85-Jährige hatte sich im vergangenen Jahr aus der Zusammenarbeit verabschiedet, wegen Sicherheitsbedenken – wie er jetzt behauptet. Der 50-jährige Ingenhoven kontert: „Das ist eine Lüge. Niemals hatte er Bedenken geäußert während der ganzen Zusammenarbeit mit uns.“ Frei Otto habe weder das Know-How noch Einblick in die Planungen.

Der Düsseldorfer Ingenhoven und seine Mitstreiter halten den Bau im Stuttgarter Talkessel und Umgebung zwar nicht für einen Klacks, aber durchaus für machbar. Man baue hier schon seit 1850: „Und bisher ist nicht viel passiert, noch niemand ist zu Schaden gekommen und noch keine Häuser sind in Löcher gestürzt.“ Das im Stuttgarter Untergrund vorhandene Mineral Anhydrit quillt bei Berührung mit Wasser stark auf. „Zwar ist das ingenieurtechnisch sehr anspruchsvoll, aber es existieren
Lösungen“, sagt Münzner.

Vorwürfe an Kontrollbehörde

Vergleiche mit Köln, wo das Stadtarchiv im Boden versank, verbieten sich seiner Ansicht nach. „Das ist ein ganz anderer Baugrund nahe dem Rhein mit viel Sand und Schluff.“ Auch mit den Erdwärmebohrungen in Staufen, die dort 267 Gebäude beschädigt haben, seien die Arbeiten für Stuttgart 21 nicht vergleichbar. Die Erkundungen für das Bahnhofsprojekt seien viel aufwendiger als für die nach seiner Meinung unkontrollierte Erdwärmebohrung in Baden.

Hier widerspricht Sierig. Er sieht durchaus Analogien zwischen Staufen und Stuttgart 21. Er verstehe nicht, dass das Freiburger Landesamt für Geologie weitere Geothermiebohrungen im Gips untersagt, aber bei Stuttgart 21 kein Risiko sieht. „Die Kontrollbehörde macht hier beide Augen zu – das ist haarsträubend.“ Der Tiefbahnhof besteht aus einem zwölf Meter tiefen riesigen Stahlbeton-Trog, der quer zum jetzigen Kopfbahnhof verläuft. Dass das schwere Bauwerk durch das Grundwasser nach oben gedrückt werde, sei vollkommen unmöglich, sagt Ingenhoven. Nicht einmal Hochwasser würde das auslösen.

Zwölf Meter lange Stahlbetonpfähle

Unter den Bahnhof werden 2800 zwölf Meter lange Stahlbetonpfähle mit einem Durchmesser von bis zu 1,2 Meter gerammt. Für Sobek kein Problem: Der Flughafen in Bangkok sei auf 40 000 Pfählen im Schlamm gegründet: „Stuttgart 21 ist bei weitem nicht das schwierigste Bauwerk und hat nicht den schwierigsten Baugrund.“

Sierig findet dagegen, dass die Schichten unter dem Hauptbahnhof nicht sorgfältig genug untersucht seien. Der Wissenschaftler, der über Andydrit seine Doktorarbeit geschrieben hat, sieht auch die Gefahr, dass die Gesteinsformationen unter dem Bahnhof und im Bereich der Tunnel durch Wasser aufquellen und sich sogar weitgehend auflösen könnten. „Irgendwann, zum Beispiel in 100 oder 200 Jahren, könnten da Hohlräume entstehen und einbrechen.“ Am wahrscheinlichsten seien aber immense Kostensteigerungen durch neue Baumaßnahmen, etwa eine Verdickung der Tunnelwände. „Es könnte auch passieren, dass nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 die Baustelle mehrere Jahrzehnte bestehenbleibt, weil immer wieder nachgebessert werden muss.“