Tagore im Flüsterton

23.10.2017, 18:48 Uhr

Schanderl, der schon lange in Berlin lebt, ist ein Komponist für ungewöhnliche Anlässe, schreibt Luft-, Schüttgut- oder Wassersymphonien und hatte beim Philharmonischen Chor überhaupt kein Problem damit, sein neues Stück in der Nähe der Brahms-Besetzung anzusiedeln. Das Auftragswerk des 1960 in Regensburg geborenen Komponisten war weit mehr als ein notwendiges Programmfüllsel neben den 70 Minuten Brahms.

Wichtig war für Schanderl, dass er mit einer im Percussionsbereich aufgehübschten Orchesterbesetzung und den zwei Solostimmen seine polyphone Rhythmik, besonders aber die sinnliche Erfahrbarkeit seiner Musik realisieren konnte – als spezielle Aufgabe für den Chor die "Klanglautgestaltung".

Darunter versteht Schanderl die vokale Klangerweiterung des Orchestersatzes, eine eher fragmentarische Kommentierung der vertonten Gedichte durch non-verbale Äußerungen. Diese Erwartung wurde gleich zu Anfang der Tagore-Vertonung deutlich erfüllt: mit den Aspirationslauten zu "Ein Flüstern früh am Tag", mit dem der Solobariton danach einsetzt.

Sehr eindringlich wurden die Gedichte von Tagore, Else Lasker-Schüler und Ossip Mandelstam zunächst von einem Chormitglied vorgetragen. Dann überzeugte die geplante gleichwertige Rollenverteilung zwischen Chor, stark aufgefächertem Orchesterklang (präzise in allen solistischen Momenten: die Nürnberger Symphoniker) und für die beiden Solisten: Sopranistin Claudia Reinhard sowie den noblen, deklamatorisch völlig überzeugenden Bariton Jochen Kupfer.

Dirigent und Chorleiter Gordian Teupke macht keineswegs einen Bogen um die Klangerinnerungen, die Schanderls Partitur an Gustav Mahler oder Richard Strauss weckt oder um die Textparallelen zu Brahms, betont dazu sehr deutlich die Einbeziehung der Elemente: die Unendlichkeit des Meers, das Säuseln der Lüfte.

Vertonung von "Ich weiß"

Jedes Detail wurde deutlich hörbar herausgearbeitet, dichte Bezüge zu Brahms ergaben sich bei der Else Lasker-Schüler-Vertonung von "Ich weiß": 1943 hatte die deutsche Expressionistin ihr Gedicht geschrieben, 1945 wurde es bei ihrer Beerdigung in Jerusalem vorgetragen.

Claudia Reinhard hatte in straffer Konsequenz den Klageton des Texts in großen Klanglinien verinnerlicht, der Philharmonische Chor die irrlichternden Kommentare. Dass man Schanderls Partitur sicherlich nicht weh tut, wenn (besonders im 3. Traumlied) die eher einförmig schwebende Ästhetik in ihrer Spannung verstärkt würde, bleibt Dirigenten kommender Aufführungen überlassen.

Allerdings dürfte ein so großartiges und wie immer erschütterndes "Requiem" wie das von Johannes Brahms dagegen nicht so blass und nebelverhangen ausfallen wie an diesem Abend.

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