Tobsuchtsanfälle im Nürnberger Hörsaal

29.1.2015, 18:15 Uhr
Tobsuchtsanfälle im Nürnberger Hörsaal

© Esther Krauß

Ein paar Studenten betreten den Hörsaal, um während einer Mathe-Vorlesung schon einmal schöne Plätze für die kommende Veranstaltung zu ergattern. Prof. Norman Fickel nutzt die Gelegenheit, um zwei Tobsuchtsanfälle vorzuspielen.

Er rennt die Treppe hoch und ruft zu den Unruhestiftern: „Ich mach euch sowas von zur Sau, das sag ich Ihnen! Dann schaffen Sie’s nicht mal mehr auf ’nen Öko-Bauernhof! Raus hier aus dem Hörsaal. Raus, aber flott!“ Ab und zu Dampf ablassen tue richtig gut, sagt er anschließend und geht gut gelaunt zur nächsten Aufgabe über.

Für mich als Studentin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften ist dieses YouTube-Video, das gegenwärtig für Furore sorgt, eigentlich gar nicht so spannend.

Denn ich weiß: Prof. Fickel lockert seine Vorlesungen in Finanzmathematik oder Analysis und lineare Algebra gerne auf – mit Anekdoten zu berühmten Mathematikern oder zu seiner Bundeswehrzeit, mit komischen Eselsbrücken oder einer mathematischen Performance, wie beispielsweise dem Parabel-Tanz.

„Manchmal brauchen Studenten vor einer neuen Formel oder einer unbekannten Aufgabe eine kleine Auflockerung“, erklärt der Nürnberger Professor. Und Mathe soll Spaß machen, was bei uns Wirtschaftswissenschaftlern nicht einfach ist.  Für uns ist Mathe halt ein Muss und keine Leidenschaft. Außerdem ist es für die meisten grundsätzlich ermüdend, jemandem 90 Minuten lang am Stück zuzuhören.

Doch die Reaktionen auf das zweiminütige YouTube-Video zeigen: Für Außenstehende ist es schwer, zwischen Aggression und Schauspielerei zu unterschieden. „Im Hörsaal fanden die Studenten meinen gespielten Wutanfall belustigend. Der Ausschnitt auf YouTube  ist aber sehr missverständlich“, findet Fickel selbst. Leider ist es auch einfach, in den Kommentarspalten von YouTube oder Facebook jemanden zu beleidigen.

Dabei wurde das Video nicht heimlich gedreht. Fickel gehört zu den Professoren in den Wirtschaftswissenschaften, die ihre Vorlesungen aufzeichnen lassen. Einige Massenveranstaltungen  werden auf der Uni-Plattform Studon mindestens für ein ganzes Semester zur Verfügung gestellt.

„Ich finde es bei Mathe sehr sinnvoll, wenn man sich eine Veranstaltung noch einmal anschauen kann“, sagt der Professor für Wirtschaftsmathematik. Insgesamt wird nur ein kleiner Teil der Vorlesungen an der Uni gefilmt. Man kann davon ausgehen, dass es ansonsten noch viel mehr Professoren auf YouTube schaffen würden – und zwar mit echten Tobsuchtsanfällen!

Ob die Mathe-Vorlesungen weiterhin aufgezeichnet werden, ist noch nicht ganz sicher. Die Fachschaftsinitiative (FSI) und einige einzelne Studenten haben ihren unkonventionellen Mathe-Professor  bereits darum gebeten, seine Art beizubehalten und seine Veranstaltungen weiterhin virtuell zur Verfügung zu stellen. Schließlich hatten die Studenten Fickel im Jahr 2012 sogar zum „Helden der Lehre“ gewählt, eben gerade wegen seines Lehrstils.

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