Vom Bushäusle klingt die Melodie des Dorfes

26.7.2014, 16:00 Uhr
Vom Bushäusle klingt die Melodie des Dorfes

© Scherer

Erzählen Sie doch mal, warum haben die Vogtsreichenbacher vor 100 Jahren überhaupt eine Glocke gebraucht?

Vogel: Den Leuten hat es missfallen, dass sie ihre Verstorbenen immer sang- und klanglos aus dem Dorf zum Friedhof überführen mussten. Das kann man alles in einem alten Dokument nachlesen, das in einer Blechkassette im Dachreiter für die Glocke gefunden wurde. Alle haben ihr Scherflein beigetragen, um die nötigen 345 Mark aufzubringen. Damals waren 5 Mark viel Geld, in Euro müsste man heute zwei Nuller dranhängen, dann entspräch’s vielleicht dem gleichen Wert.

Reichert: Ursprünglich war die Glocke auf dem Haus Nummer 17 angebracht. Doch als das Gebäude vor 14 Jahren renoviert wurde, musste die Glocke runter. Im Bauhof von Cadolzburg wurde sie eingelagert — bis ein paar junge Frauen den Bürgermeister angeschrieben haben, dass sie ihre Glocke wiederhaben wollen. So fiel die Entscheidung, das alte Milchhäusle wegzureißen und als Glockenhäusle wieder aufzubauen.

Und wie 90 Jahre zuvor, haben die Vogtsreichenbacher 2004 wieder für ihre Glocke gesammelt.

Reichert: Ja, da haben wir uns g’scheit angestrengt. Zwei Leute klapperten alle 25 Haushalte ab, so kamen 6000 Euro zusammen. Dem Dorf war seine Glocke schon immer viel wert. Alle waren dafür, dass sie wieder herkommt.

Alle wohl nicht ganz, es gab da durchaus Misstöne, richtig?

Reichert: Ach, der Rechtsstreit von 2005. Das war bedauerlich. Die alte Geschichte wollen wir nicht gern aufwärmen. Da spricht heute keiner mehr darüber.

Aber mit dem Glockenstreit hat es Vogtsreichenbach doch zu Berühmtheit gebracht. Das Dorf hat es ins Fernsehen geschafft, es schrieb überregional Schlagzeilen. Wie haben Sie das erlebt?

Reichert: Na ja, das hätt’s alles nicht gebraucht. Da haben wir ganz schön um unsere Glocke kämpfen müssen. Zum Gerichtstermin sind viele von uns nach Fürth gefahren.

Ein Paar hat damals gegen das frühmorgendliche Geläut um 6 Uhr geklagt, was ist aus den Leuten geworden?

Reichert: Sie sind kurz nach dem Rechtsstreit weggezogen. Dabei war die Frau eine ganze Nette, aber ihre Gründe waren wirklich lächerlich. Sie fühlte sich von der Glocke sogar bedroht. Das war nicht schön. Heute sagt kein Mensch mehr was gegen das Läuten um sechs. Wir leben in Frieden und haben ein schönes Einvernehmen.

Wirklich keiner, nicht mal Jüngere, die vielleicht wochenends mal ausschlafen wollten?

Reichert: Ich hab noch keinen jammern hören, auch keinen Jugendlichen. Selbst unsere Enkel freut das Geläut. Es ist ein schöner Brauch und das Wahrzeichen des Dorfes. Sicher war’s früher mehr gefragt, da war man auf dem Feld und beim Elf-Uhr-Läuten wusste man, jetzt wird’s Zeit fürs Mittagessen.

Vogel: Und das Abendläuten im Sommer um 20 Uhr und in Winter um 17 Uhr ist heute noch das Signal für die Kinder, nach Hause zu kommen. Kam unsere Sonja zu spät, hat sie immer gesagt, Papa, tut mir Leid, ich habe die Glocke nicht gehört.

Doch auch die Kinder haben heute ein Handy einstecken, das selbst in der Minimalausstattung eine Weckfunktion liefert.

Reichert: Das mag schon stimmen, aber für mich ist das Geläut wie Musik in den Ohren. Früher, wenn’s das erste Mal am Tag läutete, waren wir schon im Stall. Heute, als Rentnerin, lieg’ ich um 6 noch im Bett. Wenn dann die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fallen und die Glocke erklingt, ist das ein richtiger Genuss — für mich ist das die Melodie des Dorfes. Es hängen viele Erinnerungen dran. Und der Blick nach der Uhr, wenn man draußen zugange ist, gehört einfach dazu.

Als das wohl schönste Bushäusle Deutschlands wurde Ihr Glockenhäusle schon bezeichnet.

Vogel: Dabei stellt sich da gar keiner unter. Der Bus hält um die Ecke, vor unserer Scheune. Bei Regen haben die Schulkinder dort unterm Vordach einen Unterstand. Im Glockenhäusle holen wir uns die Zeitung, Plakate werden dort angeschlagen und das Neueste aus dem Markt ausgehängt.

Was für eine Bedeutung hat das Glockenhäusle denn dann für Sie?

Reichert: Es war schon so, dass wir uns über die Spendenaktion für die Rückkehr der Glocke wieder mehr auf unsere Gemeinschaft besonnen haben. Das Leben am Dorf hat sich verändert. Die Kirchweih ist bei uns vor über 20 Jahren eingeschlafen. Von den einst 17 Viehhaltern ist gerade noch einer da. Jetzt muht kaum mehr eine Kuh im Ort. Wer früher einen Bauernhof hatte, geht heute arbeiten. Tagsüber ist außer den Rentnern fast keiner mehr im Dorf. Da ist es schön, wenn es so etwas wie das Glockenhäusle als Mittelpunkt gibt: Dort trifft sich das ganze Dorf — allen voran beim Glockenfest.

Keine Kommentare