Wie eine Höllenschau

6.6.2016, 19:44 Uhr

Gott sei Dank gab es Alessandro Manzoni. Mit 16 Jahren verschlang Giuseppe Verdi dessen Roman „I Promessi Sposi“ (Die Brautleute). Wie vielen seiner Zeitgenossen erschien ihm das – in toskanischem Schriftitalienisch verfasste – Buch als Schlüsselwerk des Risorgimento, jener Bewegung, die aus dem repressivem Kirchenstaat, den von Spaniern wie Österreichern besetzten Gebieten und den verbliebenen Fürstentümern ein geeintes Italien formen wollte.

Als Manzoni 1873 im Alter von 88 Jahren starb, entsann sich Verdi seines „Libera me“, das er für das (gescheiterte) Projekt eines „Requiems für Rossini“ geschrieben hatte und formte daraus die gewaltigste Totenliturgie neben Mozarts „Requiem“ und der „Grande messe des morts“ von Hector Berlioz. Und ähnlich wie es Johannes Brahms im „Deutschen Requiem“ handhabte, verzichtete der Italiener auf eine intensivere Ausdeutung des zentralen christlichen Heilsgeschehens — die Auferstehungshoffnung.

Peitschendes Gerichtsmotiv

Mit großem sinfonischen Apparat wird hier quasi Dantes Höllenschau ins Akustische übersetzt. Der 60jährige Verdi bietet alles auf, was ihm an kompositorischer Erfahrung zur Verfügung steht: Ein dramatisch peitschendes Gerichtsmotiv, eine Verschmelzung der solistischen Gesangpartien in das Sängerkollektiv, ein Orchestersatz, der im Grunde sehr luzide ist, aber schnell auf höchstes Erregungsniveau hochfahren kann.

Das alles entwickelt der übersichtlich lenkende, unaufgeregt vorantreibende Tarmo Vaask sehr organisch — unter kluger Einbeziehung der sicher das ein oder andere Mal schmeichelnden Hallenakustik. Die Nürnberger Symphoniker legen eine vitale Instrumentalgrundlage, die ganz ohne pauschale Nivellierungen auskommt. Das war zupackend und anrührend zugleich.

Der Lehrergesangverein hat an Einsatzpräsenz und Differenzierungswillen deutlich zugelegt. Zwischen der „Dies irae“-Brachialgewalt, den ätherischen Gebetsrufen – etwa im „Lacrymosa“ – oder den eher hymnischen Passagen malt der Chor mit seinen Klangfarben. Auch die Proportionen zwischen den einzelnen Stimmgruppen ist harmonisch austariert.

Hohe Durchschlagskraft

Dazu passte das glänzend besetzte Solisten-Quartett von hoher, nicht nur dynamischer Durchschlagskraft: Susanne Bernhards fülliger Sopran mischte sich ausgezeichnet mit dem satt timbrierten Mezzo von Rebecca Martin (zum Beispiel im „Recordare“). Tenor Gustavo Quaresma Ramos konturierte das Schuldbekenntnis im „Ingemisco“ ohne aufgesetzte Gefühligkeit und mit sicheren Höhen. Kultiviert und sehr stückdienlich brachte sich Antonio Yang mit seinem charaktervollen Bass-Bariton ein.

Der lang anhaltende Beifall belegte, dass die Zuhörer vom Format dieser Aufführung nachhaltig beeindruckt waren. Ein würdevoller Beitrag zur Orgelwoche — ganz jenseits der ION. . .

Keine Kommentare