Alle streben nach „Work-Life-Balance“

24.10.2016, 20:00 Uhr
Alle streben nach „Work-Life-Balance“

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Sie sind nach 1980 geboren und oft bereit und ehrgeizig genug, in ihrer Laufbahn Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht um jeden Preis, der Job muss die „Work-Life-Balance“ erlauben. Was macht diese sogenannte „Generation Y“ in der Arbeitswelt aus?

„Verhätschelte Generation“

Roland Fichtner, Personalchef am Klinikum Nürnberg, gibt wieder, wie es ihm ein Arzt geschildert hatte: Es sei eine verhätschelte Generation von Prinzen und Prinzessinnen, die es gewohnt waren, vom Klavierunterricht zum Tennis gefahren zu werden. Er selbst spürt eine andere Veränderung: Es gebe mehr Junge als früher, die in Teilzeit arbeiten wollen. Andere wollten von Nachtschichten befreit werden.

Lässt sich das, wie im Falle einer Ärztin geschehen, nicht einrichten, sucht sich die Mitarbeiterin einen anderen Arbeitgeber. Fazit: „Auch als städtisches Krankenhaus müssen wir mehr tun, um Personal zu halten“, weiß Fichtner. Auf der anderen Seite bauen auch kommunale Träger Stellen ab. „Insgesamt ist die Arbeitswelt unzuverlässiger geworden. Früher galt die Devise: einmal Klinikum, immer Klinikum.“ Doch die Zeiten haben sich geändert.

Atos: Grenzen verschwimmen

Für Annika Orend steht fest, dass die Generation Y im Job mehr verlangt als Vorgängergenerationen. „Sie sind extrem selbstbewusst und extrem fordernd“, findet die Managerin des IT-Dienstleisters Atos — ohne vorwurfsvollen Unterton. Wie immer ist es ein Geben und Nehmen. Braucht der Mitarbeiter den Nachmittag für Privates, erledigt er die Aufgabe eben am Abend — kein Problem. Bei Atos in Fürth, einem einst ausgegliederten Geschäftsbereich von Siemens, verschwimmen Arbeit und Freizeit, berichtet Orend. Und sowieso bei jenen, die Home Office machen.

Wenn aber die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Zuhause verschwimmen, steigt damit das Stressrisiko, meint Birgit Nebl-Doser, Betriebsrätin bei der Telekom Nürnberg. „Die Ruhephasen verschwinden gerade beim ,mobile Working‘, auch Junge fühlen sich unwohl, weil sie merken, sie stoßen an gesundheitlich verträgliche Grenzen.“

Aus der Sicht von Werner Widuckel handelt es sich keineswegs um ein altersbedingtes Phänomen. „Die Bedeutung von Work-Life-Balance zieht sich durch alle Generationen. Aber jede versteht etwas anderes darunter“, sagt der Wirtschaftsprofessor an der Uni Nürnberg. Das sei kein Zufall. Die Lebenslagen ändern sich. Ein Berufseinsteiger hat natürlicherweise andere Bedürfnisse als ein Beschäftigter Ende 30. Diese mittlere Generation muss alles gleichzeitig schaffen: Karriere, das Nest für die eigene Familie und womöglich die Sorge um die Eltern. Diese extremen Anforderungen, so Widuckel, „werden ein ganz großes Thema“.

Unterschiedliche Lebenskonzepte prallen aufeinander, wenn ein Ingenieur in Elternzeit gehen will und sein Vorgesetzter aus allen Wolken fällt. Denn für ihn bedeutet der Beruf Lebensmittelpunkt, 150-prozentiger Einsatz mit ständiger Verfügbarkeit sind für ihn Selbstverständlichkeiten. Nicht immer sind solche Reaktionen des Unverständnisses eine Generationenfrage.

Abbau in der Finanzbranche

Dass Jung gegen Alt prallt und umgekehrt, tritt vor allem dann zutage, wenn es in der Firma brenzlig wird. So wie bei der Welle von Massenentlassungen, die die Finanzdienstleister ergreift. Vielen Versicherungen geht in der Niedrigzinsphase die Puste aus. Bei der Commerzbank, der Deutschen Bank und anderen Geldhäusern löst eine Restrukturierung die nächste ab.

„Was willst du noch hier?“

Bei Filialschließungen wird vor allem Älteren der goldene Handschlag angeboten. Oft werden schon 55-Jährige heimgeschickt. „Wenn Ältere dennoch bleiben, fragen junge Kollegen: ,Was willst du denn noch hier?“, sagt Wirtschaftsprofessor Widuckel. „Älterwerden wird zum Stigma.“

Dabei seien erfahrene Mitarbeiter genauso leistungs- und lernfähig wie jüngere. Am besten seien gemischte Teams, findet Fichtner vom Klinikum. „Jeder sieht nur einen Ausschnitt vom Ganzen.“ Der gegenseitige Austausch im Gespräch hilft. Und bewahrt vor alternden Belegschaften, die alle gleichzeitig in Rente gehen — mitsamt ihrem Know-how.

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