Design-Ideen aus der Leder-Werkstatt

9.5.2015, 06:00 Uhr
Leder-Fliegen liegen gerade total im Trend.

© Thomas Scherer Leder-Fliegen liegen gerade total im Trend.

Schließlich ist die 25-Jährige quasi in dieser Werkstatt aufgewachsen – zwischen Lederlager und Werkzeugregal.

Großvater und Vater waren und sind hier täglich tätig, fertigen Schuhe oder messen Einlagen an: ein handwerklicher Familienbetrieb seit fast vier Jahrzehnten. „Da kommt keiner in der Familie aus. In der Werkstatt stand schon mein Laufstall“, sagt Dorothea Schmidt lachend und zeigt Kinderfotos von sich und ihrem jüngeren Bruder – im Hintergrund Regale voller Schuhkartons.

Kartons und fein säuberlich durchnummerierte Schuhleisten stehen auch heute noch in Reih und Glied in den Regalen. Im Orthopädie-Fachgeschäft nebenan lassen sich Kunden Einlagen vermessen oder probieren bequemes Schuhwerk aus der Schmidt’schen Produktion an. „Mindestens 43 Teile gehören zu einem Schuh“, erklärt Dorothea Schmidt und zeigt auf ein Paar halbfertige, graue Lederslipper.

Doch auf der Prägemaschine neben der Stanze wird nun immer häufiger der Name „Lecrio“ in feines Leder geprägt. Großformatige Shopper, elegante Business-Taschen, edle Clutches in bunten Paisley-Mustern, Smartphone-Hüllen, Schlüsselanhänger, Hosenträger oder Lederfliegen – gerne auch goldschimmernd oder im Kroko-Look – werden in der Manufaktur von Hand nach Kundenwünschen gefertigt und, mit dem Firmenlogo versehen, für den Versand fertiggemacht.

„Wir verbinden handwerkliche Tradition mit modernem Design“, sagt Schmidt. Sie hat das Label Lecrio nach ihrem Einstieg in die (groß)väterliche Firma im Jahr 2012 kreiert und weiterentwickelt. Ein Weg, der ihr nicht von Anfang an vorgegeben war – trotz es Laufstalls in der Werkstatt. „Mein Bruder und ich spürten nie den Druck, den Betrieb weiterführen zu müssen“, blickt sie zurück. Vielleicht tut sie es deshalb heute mit so sichtlicher Begeisterung. . .

Berufsziel war zunächst das Gastro- und Veranstaltungsmanagement. Nach der Ausbildung mit Schwerpunkt BWL für Ernährungs- und Versorgungswirtschaft arbeitete sie für eine Hotelkette und eine Event-Agentur.

Design-Ideen aus der Leder-Werkstatt

© Thomas Scherer

Doch als Vater Harald Schmidt, der den Familienbetrieb um die Orthopädietechnik erweitert hatte, 2012 als damals 50-Jähriger über die Zukunft des Unternehmens nachdachte, war Dorothea Schmidt zur Stelle. „Mein Vater möchte mit 60 Jahren aufhören und plante einen langfristigen Übergang“, sagt sie heute.

Die Tochter griff zu und machte sich auf die Suche nach einem tragfähigen Zukunftskonzept für die Generation drei im Hause Schmidt. Vater Harald billigte der Tochter damals 10.000 Euro Startgeld zu und gab ihr mit: „Mach’ Dein Ding!“ Und weil im Lederlager viele Ledersorten lagen, die nicht mehr für die Schuhherstellung taugten, entschied sie sich für Handtaschen und Accessoires: Lecrio war geboren.

Inzwischen ist aus dem Startgeld ein Investment von etwa 150.000 Euro geworden, für das die dritte Generation der Familie Schmidt verantwortlich zeichnet. In zwei Jahren soll Lecrio in den schwarzen Zahlen sein. Schon heute ist das modische Label neben der Schuhfertigung samt Versandhandel und der Auftragsfertigung eines der drei Standbeine der Johann Schmidt GmbH, deren Geschäfte sie gemeinsam mit dem Vater führt. Firmengründer Johann Schmidt, der sich 1978 in einer Hinterhofwerkstatt in Roßtal selbstständig machte, ist auch 75-jährig noch gefragter Ratgeber. Als gelernter Entwurfsmodelleur, der für Industrieunternehmen designte, ist er erster Ansprechpartner für die Enkelin, wenn es darum geht, aus deren Ideen Prototypen zu bauen

Testerinnen erproben die Alltagstauglichkeit der Taschen

Zwei bis vier Monate vergehen, bis ein neues Taschenmodell in die Endfertigung gehen kann. Die Alltagstauglichkeit wird zuvor von Testerinnen erprobt. Etwa die optimale Länge der Henkel oder das Innenleben des guten Stückes. „Wir müssen permanent überarbeiten, bis ein Modell perfekt ist“, sagt Schmidt, die natürlich jedes Modell auch selbst „einträgt“. Anregungen erhält sie nicht nur über ihr Netzwerk mit jungen Modedesignerinnen. Auch regelmäßig durchgeführte Manufaktur-Abende für Kunden sind eine Ideenquelle. „Die Frauen laufen durch die Produktion und haben 1000 Vorschläge“, sagt Schmidt lachend.

Ihre Kundinnen – Frauen sind eindeutig in der Überzahl, auch wenn sich die Leder-Fliege zum Verkaufsrenner gemausert hat – kämen aus allen Bereichen: Geschäfts- und Hausfrauen, Alt und Jung. „Bei uns kauft auch die Studentin, die gespart hat, um sich eine individuelle Tasche zu leisten.“ Im Durchschnitt kosten die Modelle – je nach Lederart und Verarbeitung – um die 300 Euro. „Das teuerste Modell kommt derzeit auf 429 Euro“, sagt die Geschäftsführerin.

Beim Material setzt sie auf Qualität „Made in Germany“ und kann dabei auf die langjährigen Geschäftsbeziehungen des Familienbetriebs bauen. Vom Münchner Lederlieferanten, der zertifizierte Qualität aus deutschen oder italienischen Gerbereien anbiete, habe schon der Großvater Leder bezogen. Auch Metallteile wie Nieten oder Karabinerhaken sollen „hochwertig und vor allem ersetzbar“ sein. „In Deutschland gibt es noch die Firmen, die hochwertiges Zubehör herstellen. Sogar für die Garne gibt es Lieferanten.“ Derzeit ist sie auf der Suche nach dem „unkaputtbaren“ Reißverschluss.

Beim Vertrieb setzt sie neben dem direkten Verkauf über Boutiquen und Konzeptstores vor allem auch auf das Internet. Auf der Lecrio-Homepage können die Kunden auswählen, welche Lederart, welches Innenfutter und welches Nahtgarn sie haben möchten. Weiß- und Silbervarianten seien für die Sommertasche angesagt. Gefragter Klassiker ist aber das schwarze Business-Modell – allerdings mit knallbuntem Microfaser-Innenleben. Violett, Gelb und leuchtendes Orange sind die Favoriten.

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