Die Deutsche Bahn wird zum Sanierungsfall

25.9.2018, 06:00 Uhr
Quo vadis, Deutsche Bahn? Der Konzern hat viel Potenzial - und zahlreiche Probleme.

© Axel Heimken/dpa Quo vadis, Deutsche Bahn? Der Konzern hat viel Potenzial - und zahlreiche Probleme.

Christian Böttger ist Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Uni Berlin und renommierter DB-Kenner. Und er glaubt nicht, dass die DB AG aus eigener Kraft in der Lage ist, die Probleme auf allen Ebenen in den Griff zu bekommen. Das 2015 auf den Weg gebrachte Sanierungsprogramm "Zukunft Bahn" hält er für gescheitert. "Wir wissen alle, dass wir mit unserer Leistung nicht zufrieden sein können. Das gilt gleichermaßen für Wirtschaftlichkeit, Qualität und Pünktlichkeit", hieß es schonungslos selbstkritisch in dem Schreiben von Lutz am 7. September.

Nur noch 76 statt wie angepeilt über 80 Prozent der Fernzüge fahren pünktlich, was bei der Bahn heißt, dass sie weniger als sechs Minuten Verspätung haben. Im Juli waren es sogar nur 72,1 Prozent. Um 160 Millionen Euro liegt die DB unter den selbstgesteckten Zielen für das aktuelle Geschäftsjahr. Läuft es weiter schlecht, könnte eine dritte Gewinnwarnung innerhalb weniger Monate nötig sein, was "unsere finanzielle Lage weiter destabilisieren und Vertrauen und Goodwill, die wir bei Eigentümer und Öffentlichkeit noch haben, zusätzlich beschädigen" könnte, so Lutz.

Die aktuelle Situation offenbare "wie breit und tief unsere operativen Schwächen gehen", es fehle an Zusammenarbeit, Verantwortung werde "hin- und hergeschoben. Entscheidungen nicht getroffen oder nach oben delegiert." Vor allem der Güterverkehr kommt nicht aus den roten Zahlen. Wie aus einem internen Schreiben hervorgeht, wird für das laufende Geschäftsjahr mit einem Minus von 196 Millionen Euro gerechnet. In der letzten Vorschau war man noch von minus 81 Millionen Euro ausgegangen.

Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von DB Cargo erklären in einem Schreiben, "dass die mit 'Zukunft Bahn' verbundenen Ziele nicht erreicht wurden. Die Veränderungen innerhalb der Produktion im Rahmen dieses Programms haben nicht zu einer Verbesserung der Produktivität, Qualität und Kundenzufriedenheit bei DB Cargo geführt. Wachstum, wie vorgesehen, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil Marktanteile sind verloren gegangen." Vor allem fehle Geld für Investitionen. Laut eines Cargo-Betriebsrates muss pro Woche rund 100 Kunden, die ihre Güter auf der Schiene transportieren wollen, wegen mangelnder Kapazitäten abgesagt werden.

Ein 2016 eingeführtes Auftrags- und Buchungssystem für den Güterverkehr funktioniere bis heute nicht, so der Betriebsrat. Doch Spielraum für Investitionen hat die Bahn kaum noch. Die Schulden der Bahn könnten demnächst die 20-Milliarden-Euro-Marke reißen und damit der bei 20,4 Milliarden Euro liegenden Deckelungsgrenze gefährlich nahe kommen. Gleichzeitig müssen Milliarden Euro für neue Fernzüge bezahlt und zusätzliche Mittel für das Bahnprojekt "Stuttgart 21" in die Hand genommen werden.

Der Investitionsrückstau im Netz liegt bei 32 Milliarden Euro, obwohl teilweise an 800 Baustellen gleichzeitig gearbeitet wird, was wiederum die Unpünktlichkeit erhöht. Der Nürnberger SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Burkert, der als Bahnexperte lange Jahre den Verkehrsausschuss des Parlaments leitete, fordert mit Blick auf die vielen Probleme eine zweite Bahnreform und eine Verschlankung der verschachtelten DB-Strukturen mit ihren vielen Führungsebenen. Ebenso wie Dirk Flege, Geschäftsführer der Vereinigung "Allianz pro Schiene", der die Lage der DB ebenfalls für katastrophal hält. "Mehr Verkehr auf die Schiene wollen plötzlich alle - und jetzt geht es nicht!" 

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