Experte plädiert für Sexualpädagogik der Vielfalt

7.2.2016, 17:40 Uhr
Experte plädiert für Sexualpädagogik der Vielfalt

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Herr Bubmann, man kann sich darüber wundern, dass ausgerechnet Lehrer, Sozialpädagogen oder Erzieher Nachholbedarf darin haben, in ihrem beruflichen Umfeld sexueller Diskriminierung entgegenzutreten. Warum ist das überhaupt noch nötig?

Peter Bubmann: Das belegt etwa die Studie „Coming out — und dann?“ des Deutschen Jugendinstituts. Es gibt immer noch Benachteiligungen und Herabwürdigungen wegen einer sexuellen Orientierung — vor allem an Schulen. Dort werden Jugendliche oft beschimpft und gemobbt, die eine von der Mehrheit abweichende Sexualität entdecken. Das betrifft alle Schularten gleichermaßen. Manche der Betroffenen erleben das als stigmatisierend und traumatisierend.

Was können Schulen und deren Lehrer dagegen tun?

Bubmann: In mehreren Bundesländern gibt es Initiativen für „Schulen der Vielfalt“, für eine Schulkultur, die das gut auffängt und sich von vorneherein nicht nur antirassistisch und antisexistisch, sondern auch antihomophob aufstellt, also Feindseligkeiten gegenüber Schwulen und Lesben sowie Transsexuellen unterbindet. Da ist Bayern hintendran. Die Staatsregierung war der Meinung, das muss nicht eigens gefördert werden, obwohl nahezu alle anderen Bundesländer Aktionspläne aufgelegt haben, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die sexuelle Selbstbestimmung und die Geschlechtsidentität gerade im Schulleben gewahrt sein müssen.

Wie kann das gelingen?

Bubmann: Jetzt kommen gerade neue Lehrpläne in Bayern heraus. An Gymnasien scheint man das Problem durch absolute Vermeidung entsprechender Begriffe lösen zu wollen. Das Wort „Homosexualität“ kommt im Entwurf nicht vor. Dabei müsste man das offen ansprechen. In den Realschul-Lehrplänen passiert das. Daran sieht man, wie da nach dem Zufallsprinzip vorgegangen wird. Mehrheitlich scheint bei der Kultusbehörde derzeit kein Interesse zu bestehen, eine Sexualpädagogik der Vielfalt in die Lehrpläne aufzunehmen. Also müssen das andere Akteure übernehmen. In der Metropolregion Nürnberg haben sich Gleichstellungsbeauftragte und kommunale Fortbildungsinstitutionen mit uns an den Hochschulen zusammengetan, um diesen Mangel auszugleichen.

Wann ist es sinnvoll, mit dieser Form der Aufklärung zu beginnen?

Bubmann: Bei allen sexualpädagogischen Elementen muss man immer auf den Entwicklungsstand der jeweiligen Altersgruppe achten. Ich bin nicht dafür, zu früh damit anzufangen. Andererseits ist das wie mit dem Religionsthema. Der interreligiösen Verständigung ist nicht damit gedient, wenn man bis zur sechsten Klasse wartet und erst dann erzählt, dass es etwa den Islam gibt. Das gehört in die Kindertagesstätte ganz natürlich mit rein. So ist das auch mit der sexuellen Orientierung und den unterschiedlichen Lebensformen. Die Beschreibung von Sexualpraktiken ist selbstverständlich nichts für Grundschulkinder, aber sehr wohl die Aufklärung über Lebensformen, also, dass es da zum Beispiel ein Kind gibt, welches zwei Mamas hat. Die Vielfalt der Lebensformen ist der Ausgangspunkt. Mindestens ab der siebten oder achten Klasse muss es dann auch um sexualethische Fragen gehen. Biologisch Bescheid zu wissen, reicht nicht. Man muss das in Bezug setzen zu den Menschenrechten und den Rechten auf Selbstentfaltung.

Welche konkreten Schritte schlagen Sie vor?

Bubmann: Die Vielfalt entsteht nicht von selbst, die muss pädagogisch gefördert werden, ganz analog zum Umgang mit Migranten oder Menschen mit einem Handicap, also Inklusion im weitesten Sinn. Dafür braucht es Fortbildungen. Zunächst einmal müssen die Lehrkräfte ihre Wahrnehmung schärfen. Viele haben ihre Hetero-Brille auf und sehen andere Lebensweisen gar nicht. Ein wichtiger Teil ist dabei die Sprache, die in einer Schule gesprochen wird. Daneben kann man kulturelle Projekte wie Ausstellungen machen, man kann Vereinen wie „Fliederlich“ Gelegenheit geben, sich vorzustellen. Man braucht Beratungsangebote für Jugendliche, die das Gefühl haben, sie sind anders.

Wie reagieren Pädagogen auf solche Angebote?

Bubmann: Zu den Fortbildungsveranstaltungen kommen — wie immer — zunächst die Gutwilligen. Die Sensibilität unter Lehrerinnen und Lehrern ist da nicht überall sehr ausgeprägt. Fragen sexueller Orientierung werden gerne unter dem Tisch gehalten, weil man selbst unsicher ist, wie damit umzugehen wäre.

Was empfehlen Sie Schülern und Schülerinnen, die entdecken, dass sie homosexuell sind?

Bubmann: Das sind in aller Regel krisenhafte Erfahrungen für Jugendliche. Sie riskieren schließlich Ablehnung. Wichtig ist es, das nicht zu verheimlichen, und dass sie zu Vertrauenspersonen und Gleichgesinnten Kontakt aufnehmen. Interview:

Am Freitag, 26. Februar, findet in Erlangen die ganztägige Veranstaltung „Identität & Geschlecht“ des ZfL statt.
Eine Anmeldung ist notwendig unter www.zfl.fau.de/bildungschancen

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