GfK-Marktforschung: Der Dicke und der Dichter

29.7.2010, 00:00 Uhr
GfK-Marktforschung: Der Dicke und der Dichter

© GfK-Verein

Mit Fug und Recht dürfen die Franken behaupten, dass Nürnberg die „Wiege“ der Marktforschung in Deutschland ist. Die Branche wurde hier quasi in den 1920er Jahren erfunden — vom Wirtschaftsprofessor Wilhelm Vershofen, dem Gründer der GfK. Sein gelehrigster Schüler war Ludwig Erhard.

Glücklich an die Hochschule

Vershofen (Jahrgang 1878) bastelte murrend zunächst in der Fahrradwerkstatt seines Onkels, bis er fröhlich auszog um zu studieren. Zu einem viel späteren Zeitpunkt leitete Erhard, obwohl bereits mit Doktortitel, lustlos die elterliche Wäscherei, bevor er an die Hochschule zurückkehrte. Den Lehrmeister und seinen 19 Jahre jüngeren Assistenten verband die Leidenschaft für die freie Volkswirtschaft und die Beobachtung der Konsummärkte.

Raimund Wildner, seit 26 Jahren an Bord des Unternehmens und heute Geschäftsführer des GfK-Vereins, nennt Vershofen „den großen Kopf“ der GfK. „Seine herausragende Leistung bestand darin, erstmals nationale Erhebungen zu ermöglichen.“ Eine Premiere europaweit. Vorher hatten sich die Produzenten von Massenware auf die Berichte ihrer „Reisenden“ verlassen, wie die Außendienstler damals hießen, erzählt Wildner.

Und was die zusammentrugen, war Industriebossen wie Konsul Wilhelm Mann von der IG Farben, zu wenig. Er und Vershofen fanden bald zusammen. Wir kennen heute Wirtschaftsforschungsinstitute wie IW, DIW, Ifo oder HWWI. Wilhelm Vershofen gründete 1934 das IfW — Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware.

Die Abhandlung Vershofens vom 8. August 1934 „Konsumentenbefragung auf breiter Basis“ gilt als Geburtsurkunde der GfK, die 1935 als Verein registriert wurde. Der Industrielle Wilhelm Mann war einer der Geburtshelfer.

GfK-Marktforschung: Der Dicke und der Dichter

Das Ziel des Vereins, der sich kurze Zeit nach der Gründung „Gesellschaft für Konsumforschung“ nannte, wurde im Statut beschrieben: „Die Gesellschaft hat den Zweck, die Gewohnheiten und die Haltung der Verbraucher konsumreifer Waren im Gebiet des deutschen Reiches durch entsprechende Maßnahmen fortlaufend und durch Sondererhebungen zu untersuchen und die Ergebnisse dieser Untersuchungen nach wissenschaftlichen Grundsätzen zum Nutzen der wirtschaftlichen Praxis und Lehre zu verarbeiten.“ Das war der Beginn der institutionellen Marktforschung in Deutschland, die in den USA ihre Wurzeln hat. Nach dem ersten Jahr seines Bestehens zählte der Verein 17 Mitglieder, deren Zahl bis 1944 auf 150 anwachsen sollte. Bis zum Kriegsende lieferte die GfK 71 Studien zu den verschiedenen Themen wie kunstseidene Damenstrümpfe, Arzneimittel, Motorenöle oder zusätzliche Vitamin-Nahrung im Urteil von Schwerarbeitern.

Philosoph und Literat

Erhard, dem später der Beiname „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ angehängt wurde, verehrte seinen Lehrer Vershofen. Zumal Vershofens Talent sich nicht auf die Volkswirtschaft beschränkten. Das Allround-Genie beschäftigte sich auch mit Philosophie und verfasste literarische Texte und Gedichte. Die beiden Professoren verstanden sich wunderbar. Bis Erhard den Affront wagte, eine eigene Firma zu gründen und dabei GfK-Mitarbeiter mitzunehmen. Abwerbung von Spezialisten war auch damals schon ein Unding. Später bemühten sich beide um ein ungetrübtes Verhältnis zueinander, die Wogen glätteten sich wieder.

Europa in Trümmern: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren für die Forscher wenigstens eine IBM-Zählmaschine und ein paar Stapel Papier aufzutreiben. Die Währungsreform 1948 machte die GfK arm und reich zugleich: Das Kapital von den Mitgliedsgeldern war kaum noch etwas wert, der Verein auf Spenden angewiesen. Doch es gab auch eine gute Seite: Der Wert der neuen D-Mark sollte gemessen werden. 1950 brachte dies den ersten großen Auftrag zur Kaufkraftmessung ein.

1956 erscheint in Nürnberg das erste Heft der absatzwirtschaft, gespickt mit Zahlentabellen und spröden Schaubildern, ohne Fotos. In der Fachzeitschrift schreibt Georg Bergler, Mitstreiter und Professorenkollege von Vershofen und Erhard: „Nachdem es lange Zeit schien, als wäre der Mensch tatsächlich der Diener der Wirtschaft, als würde sie ihm Schicksal sein können“, zeige sich nun deutlich: „Die Wirtschaft ist für den Menschen da.“

Was ist die GfK SE (europäische Gesellschaft) heute? Welche Veränderungen die Unternehmensgruppe durchlebt hat, zeigen die Zahlen: 1984 schloss sie mit 100 Mio. DM Umsatz ab, wovon 80 Prozent in Deutschland getätigt wurden. Heute ist es umgekehrt: 80 Prozent des Umsatzes von insgesamt 1,2 Mrd. € macht die GfK im Ausland.

Jahre nach dem Börsengang der GfK AG traut sie sich Großes zu: Mit der Übernahme des Konkurrenten NOP World 2005 hievt sich die GfK Gruppe in der Rangliste der weltweit größten Marktforschungsunternehmen auf Platz vier. Sie bietet inzwischen Marktforschungsservices in über 100 Ländern an. Von den gut 10000 Beschäftigten arbeiten vier Fünftel außerhalb Deutschlands.

Konsumklima und TV-Quoten

Bekannt ist das Unternehmen für sein monatliches Konsumklima ebenso wie für die Fernsehforschung. Die Einschaltquoten aus Nürnberg sind für die Verantwortlichen wichtiger als die morgendlichen Brötchen: Zum Frühstücks-Fernsehen liegt den Programmdirektoren auf dem Tisch, welche Sendungen am Vortag getoppt und welche gefloppt haben. Gemessen wird die Sehbeteiligung in Deutschland von der GfK — seit 25 Jahren. Sie misst den Fernsehkonsum für praktisch alle wichtigen TV-Sender. Auf diesem Markt geht es um viel Geld: Vier Milliarden Euro Werbegelder und noch einmal die gleiche Summe an Fernsehgebühren.

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Die Hersteller von Frühstücksflocken, Pizza und Shampoo, von Slipeinlagen und schlankmachenden Gürteln wollen wissen, wann sie ihre Zielgruppe am besten erwischen. Nach den Ergebnissen der Marktforschung bemisst sich auch der Preis des TV-Spots.

Die Dienstleistung insgesamt ist heute ein wesentlicher Beschäftigungsfaktor: Rund ein Sechstel aller deutschen Marktforscher arbeiten in der Noris. Einige waren Ausgründungen aus der GfK wie Icon Added Value. Die großen Player strahlen aus in die gesamte Region und begünstigten die Entstehung mittlerer Institute wie Psyma, Puls, Konzept & Analyse und Opinion Market Research.

Fazit: In Deutschland ist Nürnberg mit Abstand die Nummer eins der Marktforschung — vor Frankfurt, Hamburg und München. Diese Spitzenstellung hat Nürnberg beileibe nicht in vielen Wirtschaftszweigen vorzuweisen.