Hartz-IV an der Kasse: Supermarkt wird zum Servicecenter

4.1.2018, 13:36 Uhr
An der Kasse das Smartphone zücken und bequem Geld abheben – eine von vielen Dienstleistungen, die die Supermärkte erobern.

© Cash Payment Solutions An der Kasse das Smartphone zücken und bequem Geld abheben – eine von vielen Dienstleistungen, die die Supermärkte erobern.

Die Zeiten, in denen die Deutschen ihre Einkäufe in beschaulichen Tante-Emma-Läden erledigt haben, an der Kasse mit Bargeld bezahlten und die einzige angebotene Dienstleistung ein netter Plausch mit der ortsbekannten Kassiererin war, sind lange vorbei. Durch die Digitalisierung bieten die Einzelhandelsketten heute immer mehr Dienstleistungen an, die über den eigentlichen Bezahlvorgang weit hinausgehen. 

Besonders umstritten sind dabei die Planungen der Bundesagentur für Arbeit, wonach Hartz-IV-Empfänger zukünftig einen Vorschuss auf ihre Leistungen an der Supermarktkasse erhalten können. Die monatliche Regelleistung erfolgt aber weiterhin auf das Bankkonto des Betreffenden. Sobald das Jobcenter den Vorschuss bewilligt hat - etwa weil ein Elektrogerät überraschend kaputt gegangen ist - kann sich der Bezieher in seinem zuständigen Jobcenter ein Blatt Papier mit aufgedrucktem Barcode abholen. Geht er damit an die Kasse einer teilnehmende Supermarktkette - nach aktuellem Stand werden das Real, Rewe, Penny, dm und Rossmann sein - bekommt er den bewilligten Betrag bar ausbezahlt. 

Bundesagentur möchte Geld sparen

Bislang wurden Vorschüsse hauptsächlich über in Jobcentern installierte Automaten ausbezahlt. Diese will die Bundesagentur jetzt abschaffen. "Wir hoffen natürlich, dadurch Geld zu sparen", begründet Paul Ebsen, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit, die Maßnahme. Das Einsparpotenzial liegt Ebsen zufolge insgesamt bei 774.000 Euro jährlich. Im April startet die Bundesagentur ein Pilotprojekt in ausgewählten Jobcentern. Läuft alles glatt, soll das System ab Oktober bundesweit flächendeckend eingeführt werden. Die Gefahr der Stigmatisierung von Sozialleistungsempfängern sieht Ebsen nicht: "Auf dem Blatt befindet sich ausschließlich ein Barcode, kein Logo der Bundesagentur."

Unklar bleibt aber, wo konkret die Vorteile für die Hartz IV-Empfänger liegen sollen. Die Kommunikationswege mit dem Jobcenter ändern sich durch die neue Maßnahme zunächst nicht. Zudem war es auch bisher schon möglich, Vorschüsse auf Hartz IV außerhalb des Jobcenters abzuholen - jedoch nur in Bank- oder Postfilialen, die eine gewisse Diskretion gewährleisten.

So einfach wie Milch kaufen

Federführend im Bereich Kassendienstleistungen ist das Berliner Unternehmen Cash Payment Solutions, das mit seiner Marke "Barzahlen" binnen vier Jahren eine Infrastruktur von deutschlandweit 10.000 Akzeptanzstellen geschaffen hat. Das Angebot reicht dabei von Ein- und Auszahlungen auf das persönliche Girokonto, dem Erhalt von Versicherungsleistungen über die Begleichung der Stromrechnung bis hin zur Bezahlung des im Internet gebuchten Urlaubs. Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt folgendes Beispiel: Der Kunde bucht bei einem Reiseanbieter, der Partner von "Barzahlen" ist, einen Urlaub und erhält dafür einen Barcode. Diesen Barcode transportiert er, entweder klassisch per Papierausdruck oder auf seinem Smartphone, zu einer teilnehmenden Supermarktfiliale. Die Kassiererin zieht dort den Barcode über den Scanner, der fällige Betrag erscheint auf dem Display und der Kunde bezahlt ihn in bar.

Über 800 Partner hat das Unternehmen bereits, darunter die Nürnberger Ergo Direkt Versicherung, die Versandapotheke DocMorris oder die Sparda Bank. "Mit "Barzahlen" können auch Personen, die keine Kreditkarte besitzen oder online keine Bankdaten angeben wollen, im Internet einkaufen", erklärt das junge Berliner Unternehmen die Vorteile für Kunden. Vorausgesetzt natürlich, es besteht ein Geschäftsverhältnis mit einem "Barzahlen"-Partner. Die Mehrbelastung für das Kassenpersonal sei "absolut überschaubar", so Thomas Rienecker, Pressesprecher der Cash Payment Solutions. "Schließlich muss immer nur ein Barcode gescannt werden, so wie es auch beim Kauf einer Tüte Milch der Fall wäre", meint er. Gebühren für die Kunden gebe es ebenfalls nicht. Auch der Vizepräsident des Bayerischen Handelsverbandes, Matthias Zwingel, der selbst mehrere Supermarktfilialen im Raum Erlangen betreibt, sieht keine Probleme für seine Angestellten. "Früher, als man an der Kasse noch alles einzeln eintippen musste, war es stressiger", findet er. 

Verdi bleibt kritisch

Kritischer beurteilt Huber Thiermeyer die Entwicklung. Er ist Fachbereichsleiter für den Handel bei Verdi Bayern. Der Gewerkschafter befürchtet, die schleichende Wandlung der Kassen zum Serviceterminal könnte Kunden und Mitarbeiten gleichermaßen schaden. Es führe zu "mehr Druck und Verantwortung für die Beschäftigten, wenn sie plötzlich sogar hoheitliche Aufgaben, wie das Auszahlen von Sozialleistungen, übernehmen sollen", argumentiert Thiermeyer. "Bei Beschwerden und Rückfragen zu den Leistungen gibt es dann Probleme." Auch längere Wartezeiten für die Kunden befürchtet er.

Das Argument, mehr Service an der Supermarktkasse führe zu besserer Versorgung auf dem Land - etwa wenn Bankautomaten fehlen - überzeugt ihn nicht. Er befürchtet einen Wettbewerbsvorteil für die großen Handelsketten und damit eine weitere Zentralisierung des Handels. "Kleine und mittelständische Händler können sowas gar nicht anbieten", meint Thiermeyer. Das sieht auch Einzelhändler Matthias Zwingel so: "Die Großen haben einen Vorteil."

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