mp3: Praktisch, handlich, überall — so lang der Akku hält

18.8.2010, 13:34 Uhr
mp3: Praktisch, handlich, überall — so lang der Akku hält

© dpa

Es gibt kein Entkommen. Im Nürnberger Stadtpark trifft man es genauso wie am Strand von Sydney. Der Elektronikindustrie hat es neue Märkte erobert und Apple-Chef Steve Jobs zu einem noch reicheren Mann gemacht: das MP3-Format.

Harald Popp und Bernhard Grill lächeln fast schüchtern, wenn sie so darüber nachdenken. Doch klar, stolz sei man schon auch darauf. Zu Recht: Die beiden Elektrotechniker waren Teil jener Erfindertruppe um Karlheinz Brandenburg, die in den 80er Jahren hier in der Region Musikgeschichte geschrieben hat.

„Ursprünglich war mal die Idee, Musik über Telefonleitungen zu verschicken“, erinnert sich der heute 53-jährige Popp. Wir schreiben das Jahr 1984, in Erlangen gründen der Förderkreis für Mikroelektronik und die IHK Nürnberg für Mittelfranken das „Zentrum für Mikroelektronik“, das ein Jahr später als „Arbeitsgruppe für Integrierte Schaltungen“ Teil der Fraunhofer-Forscherfamilie wird. Als Nonplusultra gelten ISDN-Leitungen mit einer Datenrate von 64 Kilobit pro Sekunde. Verglichen mit den heute bei DSL-Leitungen üblichen 16 Megabit ist das natürlich nichts.

Damals aber ist es der Schritt in eine neue Welt. Zwar ist ISDN immer noch viel zu leistungsschwach, um damit auch nur Popsongs zu übertragen. Doch ist der Fall nicht so hoffnungslos, als es nicht lohnen könnte, ihn zumindest mal anzudenken. Das Ganze gleicht dem Versuch, einen Schwamm in ein Schnapsglas zu stopfen. Eigentlich ist er zu groß, doch mit ein wenig drücken hier, vielleicht ein bisschen quetschen dort...

Das Ziel ist klar: Die Datengröße der Musikdatei muss schrumpfen. Wo aber lässt sich am besten sparen, ohne dass das menschliche Ohr das hört? Die Antwort ist so banal wie genial: Überall da, wo unser Sinnesorgan eben nicht hört — zum Beispiel bei zarten Flötentönen, wenn diese gerade vom einsetzenden großen Orchester überdeckt werden.

Der Rest ist beharrliches Tüfteln, Löten, Testen einer passenden Soft- und Hardware, die das zu reduzierende Musikstück analysiert und die zur Verfügung stehende Datengröße gewichtet: Die meisten Bits gibt’s für die am besten hörbaren Töne, der Rest bekommt, was übrig bleibt. Ein mühsames Geschäft. „Das war richtig Handwerksarbeit“, so Popp.

Haydn und Chapman im Duett

Haydns Trompetenkonzert beschallt in jenen Tagen häufiger die Flure, auch Tracy Chapman erfreut sich beim Kernteam aus sechs bis acht Forschern großer Beliebtheit. „Ich habe oft hier übernachtet. Gegessen wurde, was gerade greifbar war, gerne Pizza“, lächelt Grill. So viel Einsatz, auch der eigenen Gesundheit, wird belohnt. 1987 können die Franken Musikdateien in Echtzeit um den Faktor vier verringern, ein weiteres Jahr später gelingen einfache Stücke bereits in ISDN-verträglicher Größe.

1989 ist es so weit: Das Verfahren verlässt zum ersten Mal das vertraute Labor. Die Christian Science Publishing Society schickt ein datenreduziertes Musikstück via Satellit von Boston auf die Pazifikinsel Saipan. Ein voller Erfolg. „Wir konnten damit beweisen, dass unsere Technik zuverlässig ist“, freut sich Popp noch immer. „Auch wenn wir erst mal prüfen mussten, ob diese Society nicht irgendeine komische US-Sekte ist.“

Den Ritterschlag erteilt 1992 die Moving Picture Experts Group (Expertengruppe für bewegte Bilder, kurz: MPEG), die das Verfahren aus Franken zu einem international anerkannten Standard erhebt. Weitere drei Jahre später taufen die Mitarbeiter der inzwischen zum Institut aufgestiegenen ehemaligen Arbeitsgruppe ihr Baby offiziell auf den Namen „MP3“.

Zu diesem Zeitpunkt gibt es schon die ersten regelmäßigen Anwender. Ein privater Radiosender aus Niedersachsen überträgt Stücke an seine acht Außenstudios im MP3-Format und spart durch die geringeren Telefonkosten mehrere 100000 Mark im Jahr. Auch bei den Olympischen Winterspielen 1992 in Albertville kommt das Verfahren zum Einsatz.

Der endgültige Durchbruch gelingt aber 1994. Der Pentium-Chip von Intel setzt sich in der Computerwelt durch — er ist so leistungsfähig, dass plötzlich jeder PC-Besitzer die Ausstattung hat, selber am heimischen Rechner normale Musikdateien in das MP3-Format umzuwandeln. Zugleich beginnt die zunehmende Vernetzung der Computer zu dem, was heute allgemein unter „ Internet“ firmiert.

Die Fraunhofer-Forscher schalten am schnellsten. „Wir hatten als Erste die Idee, MP3 auch für den Versand über Rechner zu nutzen“, fasst Grill den erneuten Geistesblitz zusammen. Die nötige Software stellen sie gegen Gebühr jedermann zur Verfügung. Dass ein australischer Student diese gleich mal mit geklauter Kreditkarte kauft, den Kopierschutz knackt und anschließend kostenlos ins Internet stellt, mag so nicht geplant gewesen sein — der Verbreitung und dem Aufstieg von MP3 zum dominanten Standard für Musikdateien hat es indes gewiss nicht geschadet.

Zumal für die Franken schnell eine neue Geldquelle in Form von Lizenzgebühren sprudelt, die die Industrie dafür löhnt, dass sie die MP3-Patente zum Beispiel für ihre MP3-Player nutzt. Kein deutsches, sondern die koreanische Saehan bringt 1998 den ersten tragbaren kommerziellen MP3-Player auf den Markt. Heute fließt Jahr für Jahr ein hoher zweistelliger Millionenbetrag — über die genaue Summe schweigen sich die Forscher aus — in die Kassen einer Fraunhofer-Stiftung, die damit wiederum neue Projekte fördert.

Standort auch in Nürnberg

Das Institut selber ist mittlerweile mit über 800 Mitarbeitern zum größten der Fraunhofer-Gesellschaft aufgestiegen — mit Standorten auch in Nürnberg und Fürth. Mindestens 9000 Arbeitsplätze sind allein in Deutschland nach Institutsangaben durch MP3 entstanden, etwa bei Elektronik-Herstellern oder im Handel. Harald Popp und Bernhard Grill ebnete der Erfolg den Aufstieg zum Abteilungsleiter.

Musik ist ein emotionales Schmiermittel par excellence — und dank MP3 kann sie sich jetzt jeder handlich in die Tasche stecken, allzeit abrufbar, so lang der Akku hält. Klobige Vorgänger, wie der Walkman mit Kassette, stehen längst im Technikmuseum.

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, wusste schon Friedrich Nietzsche. Selbst dem Berufspessimisten wäre wohl ob der Erfindung aus Franken ein Lächeln übers Gesicht gehuscht.