Siemens in Erlangen: Mitarbeiter sind beunruhigt

22.4.2017, 17:50 Uhr
Siemens in Erlangen: Mitarbeiter sind beunruhigt

© Foto: Hubert Bösl

In den Medizintechnik-Standorten des Siemens-Konzerns wächst die Spannung. "Klar beschäftigen wir uns mit den Fragen, wann, wie und mit wem ein Börsengang der Siemens-Medizinsparte über die Bühne gehen soll", sagt Wolfgang Fees, Betriebsratsvorsitzender der heimischen Werke dieser Sparte. Doch konkrete Antworten erhalten die Beschäftigte nicht – noch nicht.

Der Konzern hält sich in diesen Fragen weiterhin bedeckt. Immerhin hat Siemens-Chef Joe Kaeser im November 2016 nach Monaten des Spekulierens wenigstens bestätigt, dass er das Gesundheitsgeschäft tatsächlich an die Börse bringen will – möglicherweise auch in den USA, wie er kürzlich in einem Interview zu erkennen gab, denn da ließe sich mit der Tochter mehr Geld einnehmen als in Deutschland – Fachleute taxieren den Wert der Sparte auf bis zu 37 Milliarden Euro.

Auch deswegen wächst die Sorge unter den Mitarbeitern. Sie haben Angst, dass ihr Unternehmen seinen Charakter verändern könnte, wenn es plötzlich außerhalb des schützenden Konzerns dem freien Spiel der Kräfte an den Kapitalmärkten ausgesetzt ist. "Ein Börsengang in New York würde die Stabilität dieses auch durch die deutsche Mitbestimmung geprägten Erfolgsmodells durch eine Wendung zum angloamerikanischen Finanzkapitalismus gefährden", ist sich Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sicher.

Und auch Rudi Lutz, bei der Gewerkschaft in Nürnberg zuständig für den Mischkonzern, hat jüngst Befürchtungen geäußert, dass mit der Aufspaltung "des großen Tankers Siemens in einen Flottenverband" (Originalton Kaeser) die "falschen Aktionäre" angelockt werden könnten. Die heutigen Anteilseigner seien in der Regel langfristig engagiert.

Siemens in Erlangen: Mitarbeiter sind beunruhigt

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Würden dagegen einzelne Konzernteile wie die Medizintechnik an die Börse gebracht werden, dann locke das Spekulanten an, die daran interessiert seien, die Rendite in die Höhe zu treiben. Das aber gehe zulasten der Innovationsfähigkeit von Siemens – und letztlich zulasten der Arbeitsplätze.

Von Investoren beeinflusst

Der Finanzchef der Medizinsparte, Thomas Rathmann sieht das etwas anders. Es sei falsch, zu glauben, dass Healthineers – wie der Bereich neuerdings heißt – nicht schon bisher im Blickfeld der Kapitalmärkte gestanden habe. Die Akteure dort "sehen schon immer genau hin, was sich bei uns tut", erklärt der 52-jährige Manager und fügt hinzu: "Und wir sind natürlich immer beeinflusst durch Erwartungen, die Investoren an Siemens haben. Doch die Erwartungen des Kapitalmarkts sind in der Regel synchron mit den Erwartungen,  die wir selbst an uns stellen."

So ganz beruhigen können solche Aussagen die Mitarbeiter nicht. "Klar haben wir die Befürchtung, dass der Margendruck noch mal steigt, wenn wir als börsennotiertes Unternehmen die Investoren direkt vor der Haustüre stehen haben", sagt Betriebsratschef Fees. Schon jetzt habe er den Eindruck, dass das Thema Produktivität noch stärker in den Fokus gerückt wird. "Und die bange Frage lautet natürlich", so der Arbeitnehmervertreter, "was noch alles herausgepresst werden soll".

Die Medizinsparte war zuletzt mit einem Umsatz von 13,5 Milliarden Euro und einem Gewinn von 2,3 Milliarden Euro eine der Ertragsperlen des Konzerns. Beschäftigt sind weltweit knapp 49.000 Mitarbeiter, davon etwa 10.000 in der Region, zählt man Werkstudenten und Leiharbeitnehmer dazu.

Bei der Diskussion um den Börsengang geht es den Beschäftigten auch "um den Erhalt von Regelungen, die Siemens für uns Arbeitnehmer ausmachen: Um die Altersteilzeitregelungen, die Betriebsrenten oder auch um die Vereinbarungen von Radolfzell, mit denen betriebsbedingte Kündigungen und Standortaufgaben quasi ausgeschlossen sind", bringt es Fees auf den Punkt.

Zumindest da hat sich Siemens schon auf Zusagen eingelassen. Kaeser bestätigt immer wieder, dass der Konzern auf jeden Fall die Mehrheit an der Medizintochter behalten will. "Die Siemens AG wird bei dem geplanten Börsengang in der Majorität bleiben. Damit ist klar, dass auch bestehende Konzernregelungen im Grundsatz mit übernommen werden. Was dann im Einzelnen zu verhandeln wäre, muss man sehen, wenn die Entscheidungen gefallen sind", erklärt auch der Finanzchef des Medizingeschäftes, Rathmann.

Sein Vertrag wurde soeben wie auch der seiner Geschäftsführerkollegen Bernd Montag und Michael Reitermann vorzeitig für jeweils fünf Jahre verlängert. Rathmann will diese Entscheidung des Aufsichtsrates als "ein wichtiges Zeichen für Stabilität" verstanden wissen – vor allem auch "für die Beschäftigten, die uns kennen und die wissen, wie wir ticken".

Ein noch viel gewichtigeres und vor allem ein weithin sichtbares und im wahrsten Sinne des Wortes begreifbares Zeichen der Stabilität hat der Konzern – Börsengang hin, Börsengang her – ohnehin bereits in Beton gegossen: Jeweils zweistellige Millionenbeträge investiert Siemens-Healthineers gerade in eine neue Unternehmenszentrale in Erlangen und ein neues Entwicklungszentrum in Forchheim.

Nukleus in der Region

"Auch wenn wir global tätig sind, so befindet sich der Nukleus des Medizingeschäftes in Sachen Innovationskraft doch hier in der Region", unterstreicht Rathmann die Bedeutung der Standorte Erlangen, Forchheim und Kemnath in der Oberpfalz. "Und das wird auch so bleiben, was unter anderem an diesen großen Investitionen in Erlangen und Forchheim abzulesen ist – beide sehen wir inzwischen als einen Standort an."

Relativiert wird dieses Bekenntnis zur Region allerdings, wenn man sieht, wo die Medizinsparte ihr Geschäft macht: Die Musik spielt hauptsächlich in den USA und in China/Asien – auf diese beiden Regionen entfallen zwei Drittel der Umsätze. Und dort investiert Healthineers auch ein Mehrfaches dessen, was gerade für neue Gebäude in Franken ausgegeben wird.

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