Smart-Chefin Annette Winkler: "Wir sind sehr elektrisiert"

2.10.2017, 09:54 Uhr
Smart-Chefin Annette Winkler:

© Daimler

Sie sind seit 2010 für die Marke Smart verantwortlich. Ist das immer ein Traumjob gewesen?

Ja! Als ich im Konzern angefangen habe, wurde Smart gerade der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Ich habe mich auf Anhieb in dieses Auto verliebt und besitze sogar noch einen Smart der ersten Stunde. Mit smart ein komplettes Unternehmen im Unternehmen leiten und gestalten zu dürfen, insbesondere in einer Zeit, in der urbane Mobilität ununterbrochen wichtiger wird und wo es immer mehr Menschen darum geht, Werte zu schaffen und den Städten etwas zurückzugeben - das ist einfach eine phantastische Aufgabe.

Die Marke musste auch Durststrecken durchstehen, beispielsweise, weil keine neuen Modelle in Sichtweite waren. Gab es da nie Zweifel?

Als ich 2010 übernommen habe, haben mich viele gefragt: "Wie geht es bei smart weiter und wie wird man die Zeit, bis die neuen Modelle da sind, überbrücken?" Die Antwort haben unser Team, ein phantastisch motiviertes Händlernetz und unsere begeisterten Kunden und Fans gegeben, die alle zusammen immer an die große Zukunft für die große Idee smart geglaubt haben. Diese Haltung ist es, die Smart so ganz besonders auszeichnet: Menschen arbeiten für Menschen. Die machen nicht einfach nur einen Job, sondern haben ein Ziel und diese gemeinsame Vision, das beste Stadtauto der Welt bauen zu wollen. Jetzt sind die neuen Modelle seit zwei Jahren am Markt, gerade haben wir auch noch mit großem Erfolg die elektrischen Varianten eingeführt. Es läuft überall toll an, in Deutschland sind wir für dieses Jahr so gut wie ausverkauft. Die Kunden sind begeistert, weil dieser smart electric drive einfach der "smarteste smart ever" ist.

Smart-Chefin Annette Winkler:

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Wie hoch ist aktuell der Anteil der Elektro-Smarts?

Das sagen wir aus Wettbewerbsgründen nicht im Detail. Aber so viel kann ich verraten: im August lagen wir weltweit um die 20 Prozent - und das aus dem Stand heraus und noch ohne China, was ja ein sehr wichtiger Markt ist. In manchen europäischen Märkten liegt der Anteil sicher noch viel höher. Wir hatten ja schon vor der eigentlichen Markteinführung Reservierungsprogramme, und die Autos waren teilweise schon ausverkauft, noch bevor ein einziges beim Händler angekommen war, sprich bevor die Kunden eine Probefahrt machen konnten.

Wie elektrisiert sind Sie tatsächlich von den Plänen, Smart bis 2020 auch in Europa zur reinen Elektromarke umzustrukturieren?

Wir sind in der Tat sehr elektrisiert. Smart war immer elektrisch gedacht, schon unsere Gründer haben gesagt, die urbane Mobilität müsse vollelektrisch sein. Das Schicksal von smart war vielleicht immer, dass wir in manchem zu früh dran waren. Viele haben zunächst gelächelt und gefragt: "So ein kleines Auto - was soll das jetzt?" Heute sind unsere Smarts aus den Städten nicht mehr wegzudenken. Nun, da sich die Diskussion der letzten Monate so stark in Richtung Elektromobilität als perfekte Antriebsart für die Stadt bewegt hat, ist doch der Moment gekommen um zu sagen: "So, jetzt werden wir umschalten". Damit sind natürlich auch Herausforderungen verbunden, überhaupt keine Frage. Insbesondere brauchen wir unterschiedliche Konzepte für die verschiedenen Städte Europas, da es regional sehr große Unterschiede gibt. Doch die Rückmeldungen, die ich bislang bekommen habe, sind einfach grandios und lauten zusammengefasst: "Wenn es eine Marke gibt, die das machen kann, dann ist das Smart".

Hat man mit dem geplanten Umbau zur Elektromarke nicht auch eine Reißleine gezogen? Bei einem ADAC-Test hat ein Smart in Sachen Feinstaub ja eher unrühmlich abgeschnitten.

Wir sind aufgrund des für uns nicht plausiblen Abschneidens des Smart Fortwo beim im Oktober 2016 veröffentlichten ADAC Eco Test mit dem Verein in Kontakt getreten, um die Messergebnisse zu analysieren und technisch verstehen zu können. Wir wurden vom ADAC darüber informiert, dass die daraufhin erfolgten Nachmessungen des Smart Fortwo zu erheblich anderen, grundsätzlich positiven Messergebnissen hinsichtlich der Partikelemissionen geführt haben. Demnach hält der Smart Fortwo alle gesetzlichen Grenzwerte ein, einschließlich der nur für Diesel gültigen Grenzwerte zu Partikelemissionen.

Smart-Chefin Annette Winkler:

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Sie sehen: Wir haben keine Not und wir lassen den Benziner ja immerhin auch noch zwei Jahre weiter laufen, das hat mit einer "Reißleine" also gar nichts zu tun. Es war eine rein strategische Entscheidung zu sagen: Wir glauben ganz fest daran, dass die urbane Mobilität vollelektrisch sein soll. Als Stadtauto braucht der Smart keine großen Batterie, um eine unseren Kunden ausreichende Reichweite zu einem sehr attraktiven Preis anbieten zu können. Wir wollen jetzt alles, was wir an Kraft und Ressourcen haben, in diese Zukunftstechnik investieren.

In den USA vollziehen Sie den Umstieg schon zum neuen Modelljahr 2018. Den Händlern wurde dabei ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt, von dem relativ viele Gebrauch gemacht haben. Ist der Schritt hin zur Elektromarke zu früh erfolgt?

Nein, überhaupt nicht. Was die Neugestaltung des US-Händlernetzes betrifft, muss man die Hintergründe kennen. Während man in Europa unsere Smarts überall sieht, sind es in den USA bestimmte Städte, in denen Smart ein besonders großes Potential hat: in San Francisco zum Beispiel, in New York, Seattle, Portland oder Miami. Da sind wir stark. Wer in den USA Smart fährt, sucht immer das ganz Besondere. Für die Kunden dort ist der elektrische smart das radikalste Stadtauto. Übrigens haben die knapp 30 Händler, die jetzt dabeigeblieben sind, schon zuvor 80 Prozent der elektrischen Smarts in den USA verkauft. Und mit allen, die erst mal die weitere Entwicklung abwarten wollen, haben wir vereinbart, dass sie weiterhin das Aftersales-Geschäft von smart übernehmen und sie jederzeit wieder als Vertriebspartner willkommen zu heißen, wenn sie das möchten - zum Beispiel, weil sich in ihrer Stadt eine entsprechende Infrastruktur entwickelt.

Wären Sie in Deutschland für eine Elektroauto-Quote?

Ich bin nie für Verbote und Reglementierungen, sondern immer für Anreize. Wenn wir die richtigen Produkte anbieten und wenn die Menschen spüren, wie viel Spaß es macht, elektrisch zu fahren, dann ergibt sich alles von selbst. Wenn man Elektromobilität will, dann muss man auch zeigen, dass man sie will. Aber eben nicht mit Verboten und nicht nur, indem man Subventionen zahlt, sondern auch, indem man eine Infrastruktur aufbaut. Es ist zum Beispiel ganz toll, dass in Stuttgart Elektrofahrzeuge kostenlos parken dürfen.

Smart-Chefin Annette Winkler:

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Auf der IAA haben Sie die Studie Smart Vision EQ Fortwo ausgestellt. Was prädestiniert gerade einen Smart zum Robotertaxi?

Smart ist ja heute schon Benchmark, was die Kürze der Karosserie in Relation zum Raumgefühl innen betrifft. Am Beispiel der Studie sieht man, wie ein Robotaxi ohne Lenkrad und Pedale das noch potenziert. Es wird in diesem Bereich sicher auch Fünf- oder Siebensitzer geben. Aber viele Untersuchungen zeigen, dass sich auch ein großer Bedarf an Zweisitzern abzeichnet. Warum? Wenn jemand Carsharing wählt und nicht den öffentlichen Nahverkehr, dann will er für sich sein. Er will seine Musik hören, seine Telefonate führen und nicht wissen, ob der, der neben ihm sitzt, auch rechtzeitig geduscht hat. Zudem wird Platz in den Städten immer noch wertvoller werden. Würde jeder einen Smart fahren, dann wären Staus nur noch halb so lang. Dabei ist nicht einmal die Gepäckfrage ein Problem: Wenn ich ausnahmsweise einmal mehr zu transportieren habe, bestelle ich einfach einen zweiten Smart.

Ist das Carsharing-Programm Car2Go auch vor diesem Hintergrund nur eine Übergangslösung? Mitfahrdienste wie Uber oder Didi in China sind doch eine bequemere Alternative.

Noch vor drei bis vier Jahren hat jeder gesagt, in China würde Teilen ganz grundsätzlich niemals funktionieren, weil die Leute dort besitzen und nicht teilen wollen. Jetzt schießen überall Bikesharing-Angebote für Fahrräder aus dem Boden. Da denke ich mir: Wenn Sharing generell ein Thema wird, dann wird auch Carsharing eines. Ein bisschen unkomfortabel ist es im Augenblick noch, dass man mitunter ein paar hundert Meter bis zum nächsten Auto laufen muss. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor: Sie verlassen die Oper, und da wartet schon ein Schwarm Smarts, weil der genau weiß, wann die Vorstellung zu Ende ist. Car2Go wird in Zukunft also vielleicht andere Produkte nutzen - wie unser Showcar, den Smart Vision EQ.

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Wie ist der Stand der Dinge bei "Ready to Drop""- dem Pilotprojekt in Kooperation mit DHL, bei dem Paketlieferungen in den Smart erfolgen?

Das läuft auch sehr gut in der Versuchsphase des sogenannten Beta-Launches. Das Tolle daran: Nachts sind die Straßen leer, der DHL Bote kommt besonders schnell durch - und es ist doch sensationell, wenn Sie mittags bestellte Waren am nächsten Morgen im Kofferraum vorfinden. Oder sie auch dann etwas geliefert bekommen, wenn bei Ihnen niemand zuhause ist. Bei der Einführung dieses Services müssen wir aber natürlich Stadt für Stadt vorgehen, denn wir brauchen vor Ort zum Beispiel DHL-Paketzentren, die auch nachts ausliefern.  

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