Vernetztes Reisen ist möglich, scheitert aber noch oft

7.3.2018, 17:16 Uhr
Vernetztes Reisen ist möglich, scheitert aber noch oft

Hochfranken. Wo liegt das denn? Es ist die Gegend um Hof und Wunsiedel, die manche als Fränkisch-Sibirien bezeichnen. Zu unrecht, meint Landrat Oliver Bär (CSU). Weder sei das Wetter so schlecht, noch stimme das Urteil von menschenleeren Landstrichen. Im Gegenteil: "Der Landkreis Hof gehört zu den Top-Aufsteigern", sagt der Politiker. In den vergangenen sieben Jahren habe der Landkreis 7000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hinzugewonnen, die Arbeitslosenquote liege bei unter drei anstatt wie früher bei zehn Prozent.

Was jedoch nicht passe, sei die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Das zu ändern, gab den regionalen Initiatoren den Anstoß zu einem Projekt der Vernetzung. "Die Digitalisierung bietet die Chance, die Lücke zu verkleinern", hofft Bär. Im Verbund mit Partnern haben sich der Landkreis Wunsiedel sowie Landkreis und Stadt Hof um Fördermittel des Bundes für ein Mobilitätskonzept beworben. Mit Erfolg: Seit Herbst vergangenen Jahres läuft "Mobi-Dig", eines von 13 Projekten, die das Bundesverkehrsministerium unter dem Titel "Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr" fördert.

Prognosen über Verkehrsströme

Die Modellregion Hochfranken bekommt dafür 2,8 Mio. Euro vom Bundesverkehrsministerium und soll bis 2020 die Mobilität im ländlichen Raum verbessern. Mit im Projektboot sitzt die Hochschule Hof, die TU München und die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (SCS) im Nürnberger Nordostpark.

Mit im Fraunhofer-Team sitzt Maximilian Perez Mengual. Der wissenschaftliche Mitarbeiter baut zunächst Datenbanken auf, in denen vorhandene Informationen über die Mobilitätsbedarfe der Region miteinander verknüpft werden. "Wir wollen mit Analysesoftware ein möglichst komplettes Bild erarbeiten und darauf basierend Prognosen der Verkehrsströme ableiten", sagt Perez. In einem zweiten Teil gehe es um intermodale Ketten, vom Bus bis hin zum Carsharing. Am Ende soll die Bevölkerung unabhängiger werden und Bewegungsfreiheit gewinnen, indem bedarfsgerechte Mobilität greifbar wird.

Vernetztes Reisen ist möglich, scheitert aber noch oft

© privat

Gegenwärtig gibt es eine bunte Mischung: Durch Hochfranken fahren klassische Bahn- und Buslinien, mancherorts Anruftaxis und Kleinbusse bis hin zu "Bürgerbussen", gefahren von Ehrenamtlichen der Gemeinde. Landrat Bär träumt von automatisierten Fahrzeugen. "Die haben wir im Blick, können sie aber noch nicht in unser Konzept einbauen." Optimistisch ist er dagegen bei den digitalisierten Bezahlsystemen: "Das eTicketing umzusetzen, ist gar nicht so weit hergeholt."

Während Hochfranken ein vergleichsweise kleines Rad dreht, ist Siemens auf der Anbieterseite international unterwegs. Das vernetzte Reisen über Grenzen hinweg mit einem einzigen Fahrschein auf dem Smartphone sei technologisch kein Problem, sagt Roland Edel, weltweiter Technik-Chef der Siemens-Sparte Mobility.

Hürdenlauf für Reisende

"Die Kunst besteht darin, die verschiedenen Verkehrsverbünde davon zu begeistern." Der Manager aus der Nähe von Ansbach sitzt im Rat von "Agora Verkehrswende", einem Think Tank in Berlin, in dem sich zentrale Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unter anderem dafür einsetzen, dass der Verkehrssektor bis 2050 vollständig ohne fossile Energieträger auskommt. Die Verknüpfung öffentlicher und privater Verkehrsmittel bis hin zum Carsharing mit einem einheitlichen Abrechnungssystem ist möglich. Und doch gibt es diese moderne Reisekette noch nicht.

Was heute ist, beschreibt der Ingenieur ("Ich bin ein Digital Aborigine", schon als Kind hat er sich noch vor dem PC-Zeitalter mit Computern befasst) als einen Hürdenlauf für Reisende. Zum Beispiel für denjenigen, der von Nürnberg aus ein Ticket lösen möchte für das Streckenstück Iphofen—Würzburg. Geht nicht. Hier stoßen zwei Verkehrsverbünde aneinander. Die Auskunft der Bahn: "Fahrkarten erhalten Sie vor Ort am Fahrkartenautomaten." Der Reisende muss also aussteigen und ein Ticket lösen, während sein Zug davonfährt. "Da ist der große Bruch. Wir müssen solche Zugangsbarrieren clever abschaffen", sagt der 52-Jährige und meint damit auch das sich Zurechtfinden mit Sprache, Tarifzonen bis hin zur Kleingeldsuche.

Schlaue Apps navigieren

Letzteres hilft ja eine App zu vermeiden, doch was nützt es, wenn jeder Großraum eine eigene hat? Für übergreifende Lösungen hat Siemens im vergangenen Juni die Softwareschmiede Hacon gekauft. Hacon aus Hannover steckt hinter vielen schlauen Apps – die bekannteste ist der DB Navigator. In elf Verkehrsverbünden in Deutschland — darunter der VGN — lässt sich das Ticket über den Navigator am Handy kaufen — allerdings nicht über den Verbund hinaus.

Was hält die Verkehrsverbünde davon ab, verschiedene Systeme auf einer Plattform zu integrieren? Edel: "Die Verbünde brauchen Zeit. Sie müssten als bisher alleinige Betreiber den Zugriff auf Daten ihrer Kunden, zum Beispiel den Dauerkarteninhabern, zumindest teilweise aus der Hand geben." Daher rühre die Zurückhaltung. Auf der Plus-Seite jedoch lockten große Einsparpotenziale: Je mehr Kunden ihre Fahrten per Smartphone buchen, desto weniger Fahrkartenautomaten und Schalter seien notwendig. Rationalisierungseffekte mit Personalabbau, möchte man sagen.

Vernetztes Reisen ist möglich, scheitert aber noch oft

Was technologisch als Bezahlsystem umsetzbar ist, zeigt das erste kommerzielle Siemens-Projekt auf einer Linie in der Schweiz. Bei der Schweizerischen Südostbahn im Voralpen-Express zwischen St. Gallen und Luzern ist die Zukunft schon angekommen. "Be-in, be-out" heißt das System: Steigt der Passagier in den Zug, wird er über sein Smartphone von einem Niedrigenergie-Bluetooth-Empfänger erfasst und beim Aussteigen automatisch wieder ausgecheckt. Kontaktlos, stets zum günstigsten Tarif. "Wenn ich oft fahre, bekomme ich am Monatsende eine Rechnung mit Einzelverbindungsnachweis — wie beim Telefon", erklärt Edel. In Dubai läuft das nächste Projekt für integrierte Mobilität. Das System schlägt auch vor, welches das Verkehrsmittel der Wahl jeweils ist.

Ziel ist eine offene Plattform

"Unsere Idee ist eine weltweit offene Plattform", sagt Roland Edel. Es solle so sicher sein wie ein Shopping-Portal. Amazon lässt grüßen. Zudem vermutet er, dass wie bei den Suchmaschinen am Ende nur wenige Anbieter übrig bleiben. Ganz nach dem Motto: "The winner takes it all" — der Gewinner bekommt alles. Damit wäre dann ja auch die Frage nach der durchgängigen Reisekette geklärt. Was ungeklärt bleibt, ist die Frage nach dem gesicherten Datenschutz. Denn so entstehen Bewegungsprofile. Und in personalisierter Form sind sie Gold wert.

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