VW-Machtgerangel: Piëch verliert seinen größten Kampf

26.4.2015, 14:33 Uhr
VW-Aufsichtsratschef Piëch ist am Samstag mit sofortiger Wirkung von seinen Ämtern zurückgetreten.

© dpa VW-Aufsichtsratschef Piëch ist am Samstag mit sofortiger Wirkung von seinen Ämtern zurückgetreten.

Auch der stärkste Löwe verliert irgendwann seinen ersten Kampf - und damit auch die Rolle als Chef im Rudel. Ähnlich ist es nun auch Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piech ergangen. Seinen wichtigsten Kampf um das Sagen bei Europas größtem Autobauer hat der 78-Jährige verloren. Die Machtarchitektur des VW-Konzerns ist erschüttert - und steht vor einer historischen Wende.

Piëch war am Ende nicht mehr zu halten. Am frühen Abend zog das Präsidium die Reißleine und beschloss Piëchs Ausscheiden aus dem Amt. «Die letzten zwei Wochen haben allerdings dazu geführt, dass eine große Verunsicherung bei dem Management und der Belegschaft eingetreten ist. Und wir sahen die Notwendigkeit im Präsidium, diese Verunsicherung und Blockade zu lösen», sagte Piëchs kommissarischer Nachfolger, der frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber, später. Stundenlang hatte der engste Machtzirkel von VW zuvor auf besonderes Drängen aus Hannover und Wolfsburg in einem Gebäude am Braunschweiger Flughafen konferiert, nach einer anderen Lösung gesucht, ohne Erfolg.

Misstrauen prägte die Atmosphäre in der Runde, Piëch soll dabei - anders als je zuvor - auffällig ruhig und defensiv aufgetreten sein. Kein Aufbäumen, kein Kampf beim Löwen Piëch. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage sei es ein «Rücktritt mit Ansage» gewesen, nicht nur im Management würden nun «viele durchatmen», heißt es. Auslöser für das abrupte und wenig schmeichelhafte Ende der Piëch-Ära war dessen wiederholter Versuch, hinter den Kulissen Konzernchef Martin Winterkorn abzusägen.

Dementi konnte Vertrauensverlust nicht mehr kitten

Entgegen seiner eigenen Zusage beim ersten Krisengipfel in Salzburg vor mehr als einer Woche hatte Piëch nach übereinstimmenden Informationen der Deutschen Presse-Agentur und des NDR bei der Familie Porsche weiter stur für seinen Plan geworben: Winterkorn ersetzen durch Porsche-Chef Matthias Müller.

Den dabei entstandenen Vertrauensverlust konnte auch sein später verbreitetes Dementi nicht mehr kitten. Die Worte, mit denen der Konzern den Rücktritt mitteilt, spiegeln die Dramatik des tagelang auch öffentlich ausgefochtenen Machtkampfes wider. Die sechsköpfige Aufsichtsratsspitze lässt erklären: «Die Mitglieder des Präsidiums haben einvernehmlich festgestellt, dass vor dem Hintergrund der vergangenen Wochen das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendige wechselseitige Vertrauen nicht mehr gegeben ist.» Keine Rede von «gegenseitigem Einvernehmen», einem Dank für die geleistete Arbeit oder guten Wünschen für die Zukunft. Es klingt stattdessen wie ein Rausschmiss samt Fußtritt, ein Vom-Hof-Jagen.

Vorausgegangen war ein Showdown, wie ihn ein Drehbuchautor sich kaum zu schreiben trauen würde - ein bis dato selbst für Insider fast unvorstellbarer Vorgang. Piëch galt in seiner bisherigen Funktion als Volkswagen-Großaktionär, langjähriger früherer VW-Vorstandschef und amtierender Aufsichtsratsboss als Machtzentrum, als Gesetzgeber, strategische Führungs- und lange unumstrittene Identifikationsfigur. Die Entscheidung wirkt nach den Querelen um Vertrauensentzug und Machtgebärden wie eine Ironie: Was mit Piëchs medial verbreitetem Misstrauen gegen Winterkorn begann, endete mit einem Eklat für ihn selbst. «Ich bin auf Distanz zu Winterkorn», hatte Piëch vor gut 14 Tagen dem «Spiegel» gesagt.

Winterkorn sieht vorerst wie der Gewinner aus

Doch am Ende ist es das Lebenswerk des Patriarchen, der Konzern, der auf Distanz zu Piëch gegangen ist. Am Abend müht sich Huber zwar noch um Schadensbegrenzung. «Ferdinand Piëch hat sich große Verdienste um Volkswagen und die gesamte Automobilindustrie erworben», sagte er. Doch die letzten Tage hätten einen Vertrauensverlust gebracht, der sich als «nicht mehr lösbar erwiesen» habe. Ähnlich äußert sich Präsidiumsmitglied und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), als er für die Kapitalseite spricht: «Gerade in Niedersachsen haben wir Prof. Piëch viel zu verdanken.

Dennoch war es in der jetzt eingetretenen Situation zwingend geboten, die Personalspekulationen zu beenden.» Doch welche Folgen hat das Drama für den hinter Toyota zweitgrößten Autokonzern der Welt? Piëchs Fußspuren sind nach insgesamt mehr als 22 Jahren an Vorstands- und Aufsichtsratsspitze kaum zu füllen. Weil betonte, das Gremium werde «in Ruhe und Umsicht» einen Nachfolger suchen, Grund zur Eile gebe es nicht. Insider sehen dies anders. Sie erwarten, dass die Suche längst läuft und das Machtvakuum schnell ausgefüllt werden muss.

Doch wer könnte die langfristige Ausrichtung von VW überwachen? Jemand Externes - oder am Ende doch Winterkorn? «Wir wollen keine Personaldebatte mit einer anderen ablösen», betonte Weil. Das Vorschlagsrecht hat die Kapitalseite. Aus dessen Umfeld ist zu hören, es solle eine Person aus dem Porsche/Piëch-Clan werden.

Der 67-jährige Winterkorn sieht somit vorerst wie der große Gewinner des historischen Kampfes um das Sagen im Konzern aus. Doch schon in zwei Monaten steht ihm eine Teil-Entmachtung als Vorstandschef bevor. Dann nämlich übernimmt mit dem früheren BMW-Vorstand Herbert Diess ein neuer Mann die Leitung der zentralen Hausmarke Volkswagen-Pkw rund um Golf und Passat. Dort lauern die größten Probleme des Dax-Riesen, dort dürfte Piëchs Kritik an Winterkorn angesetzt haben. Ist das erst der Anfang eines gewaltigen Strukturwandels bei VW? Der Konzern wurde bislang zentralistisch gelenkt - sowohl Piëch als auch Winterkorn lassen sich mit diesem Führungsstil identifizieren. Doch einige Experten bewerten das als nicht mehr zeitgemäß. Selbst Betriebsratschef Bernd Osterloh übte bereits Kritik.

Machtvakuum lässt Raum für Spekulationen

Zwar habe der VW-Zentralismus dort seinen Platz, wo es um die technologische Steuerung gehe - etwa um die Gleichteilestrategie des Legostein-Bauprinzips für die Marken. Aber für Osterloh stand auch eine Strukturdebatte auf der Agenda: «So wie die Nutzfahrzeuge eine eigene Sparte bilden müssen, um optimal arbeiten zu können, müssen wir auch andere Potenziale in Sparten bündeln.» Ist das der Startpunkt für eine neue Struktur und neue starke Köpfe im Vorstand? Neben dem neuen Nutzfahrzeug-Chef Andreas Renschler könnte etwa Porsche-Chef Matthias Müller eine ähnliche Rolle für die Oberklasse-Marken des Konzerns spielen. Den 61-Jährigen hatte Piëch sogar schon als kurzfristigen Winterkorn-Nachfolger favorisiert.

Das Machtvakuum an der Spitze des Aufsichtsrats lässt in jedem Fall Raum für Spekulationen in alle Richtungen - ebenso herrscht noch immer Rätselraten um Piëchs Intention, Winterkorn infrage zu stellen. Immerhin: Der Löwe Piëch, der in seinem letzten Ringen müde wirkte, opferte mit seinem finalen Kampf am Ende die Schlüsselrolle in seinem Lebenswerk, aus dem er sich nun auch mit Ehefrau Ursula zurückzieht, die bisher ebenfalls im Aufsichtsrat saß. Es ist ein Schlussstrich, mit dem sich Piëch aber auch treu blieb. «Er oder ich» - nach diesem Motto hatte er stets gekämpft.

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