Zeit und Zuwendung für Behinderte

11.10.2011, 11:00 Uhr
Zeit und Zuwendung für Behinderte

© Michael Kasperowitsch

Der Weg zur Inklusions-Schule war vorgezeichnet. Das liegt nicht nur daran, dass unmittelbar neben der Mittelschule in Cadolzburg ein Sonderpädagogisches Zentrum steht, durch einen überdachten Gang können Schüler und Lehrer sogar trockenen Fußes zwischen den Gebäuden wechseln. Diese pädagogische Nabelschnur zum gegenseitigen Nutzen besteht schon lange. Das neue Schulleben pulsiert jetzt dort nur noch etwas kräftiger.

Die UN-Konvention über die Rechte Behinderter, nach der auch Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf — so heißt das offiziell, von Behinderung sprechen die Beteiligten nicht gern — die Tür in eine ganz normale Regelschule offen stehen muss, hat den Prozess im Freistaat deutlich beschleunigt.

Die Bedingungen für einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap sind deutlich besser geworden. Noch in diesem Monat will das Kultusministerium eine erste Bilanz ziehen.

Frühe Erfahrungen

„Wir haben in diesem Bereich schon Erfahrungen gesammelt, da haben noch nicht Gott und Welt über Inklusion geredet“, betont Norbert Autenrieth, Rektor der Mittelschule Cadolzburg, selbstbewusst. Seit drei Jahren bereits gibt es dort sogenannte Kooperationsklassen, die auch jeweils drei oder vier Schüler besuchen, die besonders gefördert werden müssen. „Diese Kinder kommen dort sehr gut zurecht“, sagt der Schulleiter, „das ist sehr sinnvoll. Manche zählten später schon zu den Klassenbesten.“

Hinzu kam im Schuljahr 2010/2011 eine „Partnerklasse“ an der Mittelschule. Dort begannen 17 Kinder aus dem Förderzentrum neben zwei ehemaligen Achtklässlern aus Autenrieths Schule zu büffeln. Bei den beiden war es vorher mehr als fraglich, ob sie die Hautpschule erfolgreich abschließen können. Die Eltern haben dem Wechsel zugestimmt.

Auch dieses Konzept hat sich bewährt. Lehrplan und Förderung sind an die Bedürfnisse dieser Kinder so angepasst, dass alle einen vereinfachten Hauptschulabschluss erreichen können. Den Rektor freut besonders eines: „Unsere beiden ehemaligen Mittelschüler haben inzwischen eine Lehrstelle gefunden. Manche Kinder brauchen eben etwas Zeit, um zu anderen aufzuholen.“

Immer zwei Lehrer

Das Vorzeigemodell aber ist die neue Tandem-Klasse in Cadolzburg, eine Siebte. Hier wird mit der Inklusion richtig Ernst gemacht. Das Klassenzimmer mit einem angrenzenden Gruppenraum teilen sich 21 Schüler. Acht von ihnen, also mehr als ein Drittel, haben diesen „erhöhten sonderpädagogischen Förderbedarf“. Unterrichtet werden sie immer von zwei Lehrern.

Martina Kreil ist in der Cadolzburger Tandem-Klasse als Sonderschullehrerin im Einsatz. „Diese Neuerung bietet riesige Chancen für die Kinder“, meint sie. Ihr Kollege, der Hauptschullehrer Roland Schönfelder, sieht das nicht anders: „Wir können auf jeden Schüler individuell eingehen. Die Gruppen sind klein.“

Auch Philip, der 14-jährige Sohn von Tobias Wenzel, besucht diese 7. Klasse. Der Junge hat schon einen mühsamen Schulweg hinter sich gebracht. Gestartet ist er in der Förderschule, er wechselte dann in eine Regelschule, kam dort nicht klar und kehrte dann wieder dorthin zurück, wo er begonnen hat.

„In der Tandem-Klasse geht es Philip super“, bestätigt der Vater und fügt hinzu: „Mir auch.“ Der Kontakt zu den Lehrern sei sehr eng und bei den Hausaufgaben könne sich kein Kind „durchmogeln“.

Tobias Wenzel weiß, dass in dieser Hinsicht das Kontrollnetz an einer reinen Regelschule gar nicht so eng sein kann wie hier mit zwei Lehrern und einer kleineren Klasse.

Der Vater hofft, dass am Ende ein guter Hauptschulabschluss für seinen Filius herauskommt. „Obwohl ich mit der Förderschule keineswegs unzufrieden war, aber mit einem solchen Abschluss sehen die beruflichen Chancen dann natürlich ganz anders aus.“

Das ist ein grundsätzliches Ziel all dieser aufwendigen Bemühungen. Norbert Autenrieth würdigt die finanzielle und personelle Ausstattung, welche die Regierung ihm und den anderen Inklusions-Schulen zur Verfügung gestellt hat. Ob das so bleibt und bezahlbar ist, wenn das Modell flächendeckend eingeführt werden soll, ist aber völlig offen.

Etwa zehn Prozent der rund 250 Kinder an der Cadolzburger Mittelschule haben derzeit einen besonderen Förderbedarf. Er würde sich wünschen, der Anteil ließe sich noch erhöhen.

Seine Vision ist es, dass die noch bestehenden pädagogischen Rest-Mauern zwischen seiner Schule und den Nachbarn im Förderzentrum völlig fallen und „wir zusammen ein einziges Schulzentrum“ werden. „Vielleicht erleben wir das noch.“