Als Charisteas die Hertha zur Weißglut trieb

3.8.2011, 19:40 Uhr
Als Charisteas die Hertha zur Weißglut trieb

© Sportfoto Zink

Max Morlock markierte 1963 im sommerlichen Berlin den ersten Bundesliga-Treffer des FCN. Vier Mal (!) hatte bis dahin das Torholz  der Nürnberger Erfolgspremiere in der frisch aus der Taufe gehobenen Beletage des deutschen Profi-Fußballs im Weg gestanden. Kurz vor der Pause zielte die Club-Legende genauer und spitzelte die Kugel an Hertha-Keeper Tillich vorbei in die Maschen. Auch am Ausgleich war der bereits 38-jährige Leitwolf beteiligt, als ihm der Ball im Strafraum an die Hand sprang. Schiemöller nutzte die Gelegenheit cool zum 1:1-Endstand.

Charisteas & Co. drehen die Partie - und die Hertha-Fans durch

Beim bislang letzten Aufeinandertreffen im Oberhaus - fast 48 Jahre später - demonstrierte an gleicher Stätte ein zuvor 22 Monate erfolgloser Angreifer, wie man eine Siegchance eiskalt nutzt.

Unmittelbar nach der 1:2-Heimpleite stürmten Chaoten im Olympiastadion das Spielfeld.

Unmittelbar nach der 1:2-Heimpleite stürmten Chaoten im Olympiastadion das Spielfeld. © Sportfoto Zink

Selten, dafür umso schöner: Ausgerechnet Angelos Charisteas brachte die mitgereisten Clubfans zum Toben.  Nach Albert Bunjakus Ausgleich begegneten sich beide Teams mit offenem Visier - doch das bessere Ende haben die Nürnberger, die in einer dramatischen Nachspielzeit die Entscheidung zu ihren Gunsten bewerkstelligten. Der eingewechselte Mike Frantz schickte Teamkollege Gündogan mit einem Steilpass auf die Reise. Dieser steuerte alleine auf Jaroslav Drobny zu und legte das Leder quer zum mitgelaufenen Charisteas, der es am Hertha-Schlussmann vorbei über die Linie bugsierte.

Die Freude über den wichtigen Last-Minute-Sieg währte jedoch nur kurz. Den Abstieg vor Augen stürmte ein zum Teil mit Stangen bewaffneter Mob den Platz und ließ seine Wut an Trainerbank und Werbetafeln aus. Die Franken flüchteten in die Stadion-Katakomben.

Raffael gut, Rafati schlecht – ein Nachmittag zum Vergessen

Zwei Jahre zuvor hatte sich das Stimmungsbild an der Spree völlig anders präsentiert. Die 0:1-Pleite bei Hertha BSC versetzte den Anhang des FCN in kollektive Schockstarre. Die Berliner hatten sich zuvor auf gemächlichen Sommerfußball beschränkt. Die zu nervösen Gäste nahmen die Einladung aber nicht an, ihrer Feldüberlegenheit in Toren Aussagekraft zu verleihen. Eine Viertelstunde vor Spielende wurde es Raffael zu bunt. Der Brasilianer, der mit seinem Flachschuss Schlussmann Klewer keine Abwehrchance ließ, erteilte den Cluberern Anschauungsunterricht in Sachen Abschlussstärke.

Einen erheblichen Teil zu einem aus Nürnberger Sicht absoluten Miese-Laune-Nachmittag steuerte auch Babak Rafati bei. Der Referee verwehrte den Berlinern einen, dem FCN indes sogar zwei Elfmeter. Besonders frappierend war Rafatis Fehlleistung, als er sechs Minuten nach der Berliner Führung Simunics Attacke gegen den frei aufs Hertha-Gehäuse zulaufenden Charisteas nicht mit Rot und Strafstoß ahndete.

Sieben Tage später wurde aus düsterer Vorahnung bittere Gewissheit: Der siebte Bundesliga-Abstieg des FCN war nach der 0:2-Heimschlappe gegen Schalke am 17. Mai - kurz nach 17.15 Uhr - amtlich.

Hoch mit dem Pott! Im Berliner Konfetti-Regen feierten die Cluberer Ende Mai 2007 den vierten Cup-Triumph der Vereinsgeschichte.

Hoch mit dem Pott! Im Berliner Konfetti-Regen feierten die Cluberer Ende Mai 2007 den vierten Cup-Triumph der Vereinsgeschichte. © dpa

Doch ein Ausflug ins Berlin Olympiastadion weckt beim FCN-Anhang hauptsächlich angenehme Erinnerungen. Dies hängt weniger mit der “Alten Dame“, als mit ihrem Wohnzimmer, zusammen. Seit 1985 ist dieses fester Austragungsort des Pokal-Endspiels.  Und, wer könnte es je vergessen? Am 26. Mai 2007 gelang dem neunmaligen Deutschen Meister aus Nürnberg dort sein vierter Cup-Erfolg. Jan Kristiansen sorgte mit einem Hammer-Weitschuss in der 109. Minute eines packenden Finales gegen den VfB Stuttgart für die Entscheidung und einen rauschhaften fränkischen Fußball-Sommer.

Marcelinho macht die Haare grau

Beim Direktvergleich zwischen der Hertha und dem FCN bot zwischen 2002 und 2007 ein 2:1-Heimsieg die größten Erfolgsaussichten für ambitionierte Ergebnistipper. Sechs von neun Partien gestaltete der jeweilige Gastgeber knapp zu seinen Gunsten. Eine Ausnahme stellte der Nürnberger Gastauftritt in der 3,5-Millionen-Metropole zum Hinrunden-Abschluss 2005 dar. Vor allem dank eines glänzend aufgelegten Raphael Schäfer nahm der FCN einen Punkt mit nach Hause (1:1).

Zwischen 2001 und 2005 bereitete ein Herthaner der Club-Abwehr besonders großes Kopfzerbrechen. Mit fünf Treffern in direkten Duellen ließ Marcelinho, ein Freund ausgefallener Frisuren, seinen Gegenspielern im FCN-Dress graue Haare wachsen.

Beim 2:0-Heimsieg im März 2002 sorgte Hertha BSC schon in der ersten Hälfte für klare Verhältnisse. Alex Alves betätigte sich als Doppelpacker. Ebenfalls in Durchgang eins bot sich Marcelinho durch einen von Debütant Andy Wolf verursachten Handelfmeter sogar die Chance zum 3:0. Darius Kampa verhinderte Schlimmeres für die Augenthaler-Schützlinge, die mit vier Zählern Vorsprung auf Freiburg letztlich die Klasse hielten. Anders stellte sich die Situation 1995/96 dar: Im Unterhaus retteten zwei 1:0-Erfolge gegen den Hauptstadtverein den FCN nicht vor dem Absturz in die drittklassige Regionalliga Süd.

Ha-ho-he – Ö tut Hertha weh

Im August 1991 revanchierten sich die Franken für die blamable 1:4-Heimpleite aus der Hinrunde - einer von lediglich drei Hertha-Siegen in der Erstliga-Spielzeit 1990/91 - mit einem 4:2. Im mit nur 7570 Zuschauern gefüllten Rund gaben die rund 3000 Club-Fans den Ton an.

Umso mehr, als Jörg Dittwar die Nürnberger Fans früh ein erstes Mal jubeln ließ. Nachdem Berlins Schlussmann Marco Sejna ein Wagner-Solo im Sechzehner regelwidrig gestoppt hatte, verwandelte Dittwar den fälligen Elfmeter sicher. Marc Oechler wollte dem Obersteinacher nicht nachstehen. Durch zwei Treffer zog "Ö" mit dem Strafstoß-Spezialisten in der mannschaftsinternen Torschützenliste gleich. Als Mittelfeld-Lenker "Hansi" Dorfner die Kommandobrücke in der Kreativzentrale verließ, kamen die Berliner bis auf zwei Tore heran. Da es für die Hausherren aber zu mehr nicht reichte, war für den Club die Gefahr des direkten Abstiegs gebannt.

Reuter schenkt Köpke doppelt ein

In der Zweitliga-Saison 1984/85 konnte auch Andy Köpke den furiosen Sturmlauf der "Jungen Wilden" unter Trainer Heinz Höher nicht stoppen, der nach einer sensationellen Rückrunde mit 29:9 Punkten zurück auf den saftigen Spielwiesen der 1. Liga endete. Der Hertha-Keeper, der nach dem Berliner Absturz in die Drittklassigkeit ein Jahr später in die Noris kam, stemmte sich nach Leibeskräften gegen die Angriffswellen, die im Mai 1985 auf sein Gehäuse zurollten. Drei Einschläge in seinem Kasten konnte jedoch auch der spätere Nationaltorwart nicht verhindern. Als Kanoniere im FCN-Dress fungierten einmal Dieter Eckstein, zweimal der erst 18-jährige Hochgeschwindigkeitsfußballer Stefan Reuter.

Antrittsstarker Meistermacher: Träg ist nicht zu stoppen

Weitere Dienstreisen nach Berlin waren für den Club weniger erfreulich, so etwa im Zuge der 1:5-Demontage Anfang September 1982. Gute Laune hatten indes die Anhänger, die ihren Lieblingsverein im Juni 1927 zur titelträchtigen Kraftprobe mit der Hertha begleiteten. Auch in der Noris wurde gefiebert, erstmals lief ein Endspiel um die Deutsche Meisterschaft im Radio. Im übervollen Hexenkessel Grunewaldstadion zauberte zu Beginn nur die FCN-Offensive – mit raschem Erfolg: Der legendäre Hans Kalb jagte die Kugel bei einem Freistoß nahe der Strafraumgrenze kernig ins linke untere Eck – 1:0!

Im zweiten Durchgang legte Heiner Träg das 2:0 nach. Nach einem seiner gefürchteten Antritte marschierte der Sturmtank schnörkellos aufs gegnerische Tor zu und knallte das Leder trocken in die Maschen. Einen Elfmeter für die Hertha parierte Torwart-Ikone Heiner Stuhlfauth. Auch die numerische Unterzahl (Träg handelte sich den Platzverweis ein) brachten die Zwei-Tore-Führung nicht mehr in Gefahr. Die fünfte Meisterschaft des FCN war perfekt. Vor dem Anpfiff hatte der Schlachtruf der Heimfans: „Ha-ho-he, Hertha BSC“ alles übertönt. Nach diesem dröhnte der Kontergesang der fränkischen Schlachtenbummler über die stillen Wipfel des Grunewalds: “Hi-ha-ho, Hertha ist k.o.“.

Dass Berlin auch abseits der Duelle mit dem nach einem ehemaligen Havel-Dampfer benannten Hauptstadt-Klub eine Reise wert ist, belegen auch die beiden 7:2-Siege gegen Blau-Weiß (1986) und Tasmania (1969), die in den Ballsport-Annalen als höchste Nürnberger Auswärtssiege in der höchsten deutschen Spielklasse festgehalten sind.

 

 

   

   

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