Qualität statt Quantität

2.7.2019, 20:00 Uhr
Qualität statt Quantität

© Foto: Jens Büttner/dpa

Der Strukturwandel in Familie und Gesellschaft beschäftigt den Evangelischen Kita-Verband seit Jahren intensiv, so dass er zu seinem 100-jährigen Bestehen einen Zukunfts-Kongress für Fachkräfte, Eltern und Interessierte veranstaltet. Vom 3. bis 4. Juli treffen in der Stadthalle in Fürth als Redner die Zukunftsforscher Matthias Horx und Cornelia Daheim auf den Landesbischof Professor Heinrich Bedford-Strohm.

Die Entwicklungspsychologin Professor Lieselotte Ahnert wird ebenso referieren wie der Humangenetiker Professor Markus Hengstschläger und die Bundestagspräsidentin a. D. Professor Rita Süssmuth. Komplettiert wird die Liste der renommierten Referenten von Kerstin Schreyer, Bayerns Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, sowie Michael Bammessel, Präsident des Diakonischen Werkes Bayern.

Fit für das digitale Zeitalter

"Die Zukunft beginnt jetzt", lautet das Motto der Veranstaltung – und jeder der Referenten wird sich mit Zukunftsfragen rund um das Arbeitsfeld Kita beschäftigen. Mit der Rolle der Künstlichen Intelligenz in der Kinderbetreuung zum Beispiel: Wird morgen alles von Robotern erledigt? Wie wird das Leben der Generation aussehen, die jetzt in Krippen, Kindergärten und Horten betreut wird? Wie können die Einrichtungen die junge Generation fit für die Zukunft machen?

Zukunftsforscher Matthias Horx beschäftigt sich mit diesen Fragen. Horx ist international als Keynote-Speaker (Professioneller Grundsatzreferent), Buchautor sowie Gründer des Zukunftsinstituts bekannt. Seine wissenschaftliche Arbeit ist inspiriert von den universalistischen Denkern. Er kombiniert Evolutionstheorie, Systemwissenschaften, kognitive Psychologie und Komplexitätstheorie miteinander. Horx referiert am heutigen Mittwoch, 18.30 Uhr. Sein Vortrag ist kostenfrei so wie alle Angebote an diesem ersten Kongresstag. Horx’ These lautet: "Zukunft ist gelungene Beziehung." Er fordert von der Pädagogik, dass sie sich über dieses Menschenbild im Klaren sein muss und darauf aufbauend das Selbstvertrauen der Kinder fördert und ihnen hilft, ihre Persönlichkeit zu entwickeln.

Professor Lieselotte Ahnert forscht seit fast 40 Jahren zum Bindungsverhalten vom Baby bis zum Schulkind. Sie beschäftigt sich mit den Fragen, wie viel Mutter und Vater ein Kleinkind braucht und ab welchem Alter Eltern ihren Nachwuchs fremdbetreuen lassen können. Spätestens wenn beide Elternteile wieder arbeiten gehen, kommt bei vielen Müttern und Vätern ein schlechtes Gewissen auf. Zu Unrecht, sagt Ahnert im Gespräch mit unserer Zeitung: "Kleine Kinder unter drei Jahren kommen sogar mit einer gewissen Personalfluktuation in der Krippe zurecht." Sie binden sich nämlich, neuen Erkenntnissen zufolge, an die Einrichtung, nicht unbedingt an das Personal, denn die Hauptbindungsfigur bleibt nach wie vor die Mutter.

Wenn Krippen personell gut besetzt sind, und alle Erzieherinnen ungefähr den selben liebevollen und auf Sicherheit bedachten Erziehungsstil weitergeben, wirke sich ein Personalwechsel nicht negativ auf das Bindungsverhalten aus, sagt Ahnert. Wichtig sei, dass Mutter und Vater ihrerseits darauf bedacht seien, die Bindung zum Kind weiter zu stärken. "Wir haben in einer Studie aus den 90er Jahren herausgefunden, dass berufstätige Mütter, die ihre Kinder fremdbetreuen ließen, sich viel intensiver mit ihnen ausgetauscht und beschäftigt haben, als Mütter, die den ganzen Tag mit ihren Kleinkindern zu Hause waren", sagt die Bindungsforscherin. Das habe widerlegt, dass die Fremdbetreuung dem Kind schade. Ahnert fordert Qualität vor Quantität in der Kinderbetreuung und einen Personalschlüssel in Krippen von 1:3. Erzieherinnen müssten besser bezahlt und ihre Leistung von der Gesellschaft honoriert werden.

Was muss der Mensch der Zukunft können? Und inwieweit prägen Gene und Talente das Schaffen des Einzelnen? Humangenetiker Professor Markus Hengstschläger leitet das Institut für Medizinische Genetik an der Universität Wien und ist Experte für genetische Diagnostik und Innovation. Er spricht am kommenden Donnerstag und vertritt die These, dass es vor allem die Individualität ist, die uns und vor allem unsere Kinder zukunftsfähig machen wird.

 

Zur Sache

Der evangelische Kita-Verband wird 100 Jahre alt. 1919 gegründet, mauserte er sich von einem Zusammenschluss für Kleinkinderbewahranstalten zu einem modernen Träger, der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege vereint. Bis Ende 1999 war der Kindertagesstättenverband Teil des Diakonischen Werks Bayern (DW). Anfang 2000 wird er eine rechtlich eigenständige Institution, die Kirche und Diakonie in Bayern in Sachen Kinderbetreuung vertritt. Seine Aufgaben sind die Förderung der ganzheitlichen Bildung und Betreuung der Kinder sowie gute Rahmenbedingungen für Mitarbeitende in Kitas zu schaffen. Überdies setzt man sich für mehr Anerkennung des Arbeitsfeldes in Gesellschaft und Politik ein. Einer der Schwerpunkte in der Arbeit des Bündnisses, für das 65 Mitarbeitende tätig sind, ist die politische Ausgestaltung in der Umsetzung des "Gute-Kita-Gesetzes" in Bayern. Dies beinhaltet die Teilnahme an Sitzungen im Landtag sowie die Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales.

Die Mitgliedschaft im Verband steht neben evangelischen und diakonischen Trägern von Kindertageseinrichtungen auch anderen Trägern offen. Heute vertritt der Verband etwa 800 Mitglieder und bietet bayernweit in evangelischen Kitas rund 92 000 Plätze in rund 1500 Einrichtungen der Kindertagespflege an. Der Verband berät seine Mitglieder in pädagogischen und organisatorischen Fragen und bei Weiterentwicklung und Fortbildung.

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