Die Tatorte der NSU-Mörder, zwölf Jahre danach

5.11.2012, 07:10 Uhr
Die Tatorte der NSU-Mörder, zwölf Jahre danach

© Roland Fengler

Am vergangenen Sonntag jährt sich der Brand im NSU-Versteck in Zwickau. An diesem Sonntag ist es ein Jahr her, dass das NSU-Versteck in Zwickau brannte – und damit eine rechtsradikale Mordserie ohne gleichen ans Licht kam. Erstes Opfer war im Jahr 2000 der Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek. Damit kam eine rechtsradikale Mordserie ohne gleichen ans Licht.

Parkbucht an der Liegnitzer Straße, Ecke Schreiberhauer Straße

Die erste Zeit, nachdem man seinen früheren Chef im Kleinlaster gefunden hatte, war Ali Osman sehr vorsichtig. Hielt ein Wagen, konnte er Misstrauen und Furcht nur schwer unterdrücken: Waren das Kunden, die Blumensträuße kaufen wollten? Oder war es wieder ein Killer? So wie der, der am Nachmittag des 9. September 2000 den 38 Jahre alten Enver Simsek mit acht Kugeln in Kopf und Brust traf und im weißen Mercedes-Laster sterbend liegen ließ?

Vielleicht waren früher gute Geschäfte zu machen in dieser großen Parkbucht, in der Autofahrer bequem halten können. Ihr gegenüber führt ein Weg in den Wald. Doch an diesem trüben Samstag zieht es kaum Spaziergänger ins Freie, Kunden lassen sich selten blicken.

Osman, der als Aushilfskraft Blumen verkauft, hat den Stand mit gebundenen Sträußen und Orchideen zwischen Pfützen aufgebaut. In einem roten Kleinlaster sitzend, wartet er auf Kunden, nimmt immer wieder die Zeitungsausschnitte in die Hand, die über die NSU-Morde berichten. Ein kleiner Stapel davon liegt im Auto. Daheim hat er noch viel mehr, erzählt der 60-Jährige.

An dem Tag, als die Mörder in dieser Parkbucht hielten, war Osman auf Heimaturlaub in der Türkei. Enver Simsek vertrat ihn. Indem er starb, bewahrte er Ali Osman vor einem furchtbaren Tod. Aber wer hat auf Simsek geschossen, warum gerade auf ihn? Die Gerüchte über Profikiller, beauftragt von Paten der organisierten Kriminalität, hat er niemals geglaubt. „Simsek war ein guter Mann“, erinnert sich Osman.

Die Tatorte der NSU-Mörder, zwölf Jahre danach

© Katharina Flassak

Obwohl nun das wahre Motiv der hasserfüllten Täter bekannt ist, findet Osman einfach keine Ruhe. Wohl auch, weil er diesen Tatort in Langwasser nicht verlassen will – oder kann. „Wir Türken sind doch nach Deutschland gekommen, um Geld zu verdienen“, sagt Osman. Er ergänzt: „Und nicht, um zu sterben.“

Änderungsschneiderei in der Gyulaerstraße, Ecke Siemensstraße


Die Fenster sind vor Schmutz fast blind, kitschige Holzarbeiten aus Asien und Gerümpel füllen die Räume. Die oberen Fensterbögen zieren gemalte rote Tulpen – es sind die selben Blumen und die selben Fensterbögen, die in dem Bekennervideo des NSU zu sehen sind. In diesem Video spaziert die Zeichentrickfigur Paulchen Panther an einem Laden vorbei, an dessen Tür das Schild „türkische Änderungsschneiderei“ hängt. Paulchen schaut in dieses Geschäft, dessen Original in Nürnberg steht, neugierig hinein.

Die Tatorte der NSU-Mörder, zwölf Jahre danach

© Katharina Flassak

Darin entdeckte ein Passant am Abend des 13. Juni 2001 Abdurrahim Özüdogru in einer Blutlache. Der 49-jährige Schneider, der tagsüber bei Siemens am Band stand und abends gegen kleines Geld Kleider ausbesserte, saß angelehnt an einem Schrank, getötet von zwei Kopfschüssen. Jeder, der in diesem beschaulichen Teil der Südstadt wohnt, weiß das. Die Vergangenheit wird der Laden nicht mehr los, weshalb weder ein Florist noch andere Mieter Glück mit diesem Standort hatten.

„Das war ein guter Schneider“, sagt eine Frau und bleibt nachdenklich stehen. Auch sie habe hin und wieder Kleider zu Özüdogru gebracht, sie wohne ja in der Nähe. Als vor elf Jahren zwei Polizisten vormittags vor ihrer Haustür standen und fragten, ob sie etwas Verdächtiges gesehen habe, ahnte sie: Der Schneider ist ermordet worden.

Ansonsten war von dem Verbrechen in diesem beschaulichen Teil der Südstadt wenig zu bemerken. Niemand stellte Kerzen auf, keiner legte Blumen nieder – nur der Laden, der hatte von einem Tag auf den anderen zu. „Der Mord passt nicht zu den Lebensgewohnheiten der Menschen hier“, versucht ein Mann, der gegenüber der einstigen Änderungsschneiderei wohnt, eine Erklärung. „Wir sind hier doch nicht in Berlin Kreuzberg.“
 

Scharrerstraße, Ecke Velburger Straße

Plastikbänder, aufgespannt von der Polizei, versperrten Dieter Kobitzsch damals den Weg. Der 75-Jährige wollte am Vormittag im Supermarkt einkaufen gehen. Doch die Beamten von der Spurensicherung benötigten an diesem 9. Juni 2005 viel Platz rund um den Imbiss, der schräg gegenüber von der Scharrerschule stand, und hielten alle Passanten fern.

Die Tatorte der NSU-Mörder, zwölf Jahre danach

© dpa, Handout/Fotomontage: Stadt Nürnberg

Inzwischen gibt es wieder ein Geschäft, das sich „Scharrer-Imbiss“ nennt. „Die wissen nicht, was das für ein Name ist“, tadelt Kobitzsch. „Scharrer-Imbiss“ – so hieß der kleine Container, in dem Ismail Yazar Döner Eis und Süßigkeiten verkaufte. Ein Kunde entdeckte den 50-Jährigen blutüberströmt hinter dem Tresen, in Kopf und Körper mehrere Kugeln.

Der Imbiss ist schon vor langem abgerissen worden, zu furchtbar war sein Anblick: Zunächst war er übersät von schwarzen Tupfern – Fingerabdrücke, die die Spurensicherung kenntlich gemacht hatte. Dann brannten dort noch ein halbes Jahr später Kerzen, Zettel zum Gedenken an Yazar klebten am Container, frische Blumen lagen auf der Straße.

„Onkel Yazar“, wie ihn die Schulkinder nannten, war sehr beliebt. So beliebt, dass der Anblick des Standes unerträglich wurde. Wo er stand, ist heute ein einfacher Metallzaun. Aus einem Automaten daneben lassen sich Kondome ziehen. Das Leben ist weitergegangen. „Aber niemand konnte den Mord begreifen“, sagt Kobitzsch.

Wo heute ein einfacher Metallzaun ist, stand früher der "Scharrer-Imbiss".

Wo heute ein einfacher Metallzaun ist, stand früher der "Scharrer-Imbiss". © Katharina Flassak

Seitdem vor einem Jahr Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem Wohnwagen gefunden wurden, hat das Rätseln über das Motiv ein Ende. Die Traurigkeit nicht. „Yazar war Teil dieses Ecks von Nürnberg.“
 

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