Die Missionarin der Almen

20.7.2019, 08:00 Uhr
Sennerin Helga Hager liebt ihre Alm.

© Johanna Husarek Sennerin Helga Hager liebt ihre Alm.

Helga, wir sitzen an deinem liebsten Platz, am „Ocherloch“. Eine Almwiese auf 1600 Metern, die schon deine Großeltern und Eltern mühselig gepflegt haben. Warum hängt dein Herz an dieser wilden Wiese?
Helga Hager: Weil ich hier zur Ruhe komme. Hier ist es so wunderbar still. Und schau dir mal diese Vielfalt an Schmetterlingen, Insekten und Kräutern an! Außerdem erinnert mich an diesem Ort alles an meine Großeltern, mit denen ich als Kind viel auf der Alm war. Die haben lange Zeit die Bergmahd gemacht. Aber irgendwann wollte die Alm keiner mehr bewirtschaften. Als ich dann 2011 aus Kitzbühel zurückgekehrt bin, war ich entsetzt: Da waren nur mehr Bäume, die Fichten wuchsen rein, und in ein paar Jahren hätte man die Wiese nicht mehr mähen können.

 
Also bist du zurückgekehrt, hast mit vielen Helfern diese Wiese wieder freigelegt, hast dir Ziegen angeschafft und bist nun jeden Sommer die Sennerin hier. Wie romantisch ist das alles?
Hager: Romantisch finde ich das nicht mehr. Wenn man ein iPhone in der Tasche hat, ist es mit der Romantik vorbei. Erst recht, wenn man sich das Arbeitspensum ansieht: Um die Hälfte der Wiese zu mähen und Heu für die Tiere im Winter zu machen, braucht es 270 Arbeitsstunden. Aus wirtschaftlicher Sicht ist so etwa sinnlos.
 
Viele denken dennoch, Sennerin zu sein, sei ein Traum.
Hager: Wenn ich dreißig Jahre jünger wäre und mit einem netten Burschen hier säße, beim Morgen- oder Abendrot, dann wäre das romantisch. Aber wenn du um Fünfe in der Frühe aufstehst und dann um Sechse in den stinkenden Stall gehst, dann ist die Romantik nicht so groß. Es gibt einen österreichischen Musiker, der sagt: Die Leut’ denken, immer ist schönes Wetter, die Kühe sind brav, die Sennerin ist hübsch. Aber was ist? Kalt ist‘s, es regnet, die Kühe gehen nicht heim und die Sennerin ist 85 Jahre alt. Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich das mache.
 
Also, wieso?
Hager: Ich brauch’ die Alm als Kraftort. Ich hab schon während meiner Berufstätigkeit immer beim Heuen geholfen. Viel später ist mir bewusst geworden, dass wir dieses einzigartige Erbe erhalten müssen. Sonst ist der schöne Platz weg, oder? Wir haben hier ganz besondere Plätze und das Valsertal ist eines der letzten Rückzugsorte in Tirol.
 
Warum ist dir die Kulturlandschaft so ein Anliegen?
Hager: Ich bin vielleicht ein bisschen die Missionarin für die Almen. Wenn man weiß, wieviele Almen jedes Jahr nicht mehr bewirtschaftet werden, wo alles verbuscht und verwaldet, dann ist das eine Katastrophe. Wenn wir nicht mähen, dann gibt es weniger Schmetterlinge und Co. Dann hört das alles auf! Ich glaube, das ist mein Beitrag für das Klima und die Umwelt. Im Tal denken viele anders. Ich habe deshalb lange Zeit gemeint, ich bin allein auf der Welt mit meiner Idee. Aber mittlerweile weiß ich, es ist der richtige Weg.

"Wie geht es Ihren Ziegen"?

Winters arbeitest du als Sommelière im Nobelort Kitzbühel, im Sommer auf der Alm. Ein Leben in zwei Welten?
Hager: Ach, früher war das noch viel konträrer. Die Stammgäste in Kitzbühel fragen mich immer: Helga, wie geht es Ihren Ziegen oder der Alm? Auch meine Arbeitgeber, eine Hoteliersfamilie, besitzen eine Alm. Wenn ich die anrufe und sage, die Ziege hat noch nicht gekitzt, kann ich später kommen, dann haben die großes Verständnis.
 
Was gibt dir das Almleben?
Hager: Auf der Alm wird mir wieder bewusst, wie wenig ich brauche, um glücklich und zufrieden zu sein. Wenn ich zum Beispiel schlafen gehe und es ist so ruhig und ich höre nur das Wasser rauschen und in der Früh wecken mich die Vögel und nicht die Straßenbahn oder das Auto — das ist, was der Mensch braucht. Und dass ich etwas tue, was einfach nützlich ist und irrsinnig Freude macht.
 
Was macht dir an dieser Knochenarbeit Freude?
Hager: Wenn ich mit meinen Freunden, dem Hans oder Alois, einfach mähen kann. Das ist ein gewisser Sport, das macht Spaß. Das ist wie für einen anderen, den Berg raufzuklettern. Für mich ist es sogar Luxus, in der Früh um halb Sechs mit der Sense hier zu stehen, bevor ich die Ziegen melke. Und wenn ich danach mit den Goaßen mitgehe und sie in der Wiese rasten sehe wie kleine Kinder, da bin ich einfach glücklich.
 

 Die jungen Leute im Tal wollen die Bergmahd und die ganze Arbeit aber gar nicht mehr tun . . .
Hager: Meine Tochter hat am Anfang mitgemacht. Aber dann hat sie gesagt, es ist zu viel Arbeit für zu wenig Lohn. Wenn du jung bist, willst du etwas verdienen. Es hapert an jungen Einheimischen, die helfen. Die sitzen lieber mit dem Fernglas da und schauen in die Berge. Manchmal hole ich dann Asylbewerber aus Gries am Brenner zum helfen. Die arbeiten gerne mit, ob Syrer, Iraker oder Afghanen. Ich hatte schon alle hier, auch viele Freiwillige aus Deutschland. Ohne Helfer ginge es gar nicht, auch finanziell nicht.
 
Diese Offenheit Fremden gegenüber teilt in Österreich nicht unbedingt jeder mit dir, oder? 
Hager: Schau, warum blickt unsere Hütte ins offene Tal und alle anderen zum Berg? Meine Familie war schon immer Fremden gegenüber offen. Gastfreundschaft war für uns oberstes Gebot. Nein, einfach habe ich es hier nicht. Im Valsertal geht es zudem noch patriarchalisch zu. Alle haben gesagt, die Frau packt das eh nicht. Aber so lange ich noch genug Energie habe, mache ich weiter.

Zur Person:

Die 57-jährige Helga Hager ist im Sommer Sennerin im Tiroler Valsertal, bewirtschaftet dort eine Jahrhunderte alte Alm, hütet Ziegen und verarbeitet deren Milch zu Käse. Außerdem ist sie Alm- und Bergwanderführerin sowie Natur- und Landschaftsführerin. Zudem ist sie Mitbegründerin der „Schule der Alm“, einem Projekt für Freiwilligeneinsätze in den Bergen. Im Winter arbeitet sie als diplomierter Sommelière in Kitzbühel und als Trainerin für Nachwuchskräfte. Sie hat zwei erwachsene Töchter.

 

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