Istanbul ist die Pforte zur Glückseligkeit
9.11.2019, 07:22 UhrAls Antwort soll ein türkisches Sprichwort genügen: "Am Ende der Geduld wartet der Segen". Es bewahrheitet sich im Innern der rund 1500 Jahre alten "Kirche der Heiligen Weisheit". Geduldige werden hier mit byzantinischer Baukunst belohnt, mit Überresten der berühmten Mosaike und mit einem riesigen freien Mittelschiff, über dem in 56 Meter Höhe eine Kuppel zu schweben scheint, als hinge sie an einer Himmelskette.
Das Türkische kennt einen Begriff für die Momente, in denen man solch einer Schönheit begegnet – "keyif", ein Ausdruck reiner Freude, Lust und guter Laune. Der Ursprung dieses Wortes liegt im arabischen "kayf". Damit wird eine Mischung aus Tabak und Hanfblättern bezeichnet, nach deren Genuss sich pures Wohlbefinden einstellt.
Ins Deutsche ist der Begriff als "kiffen" eingegangen. Im Türkischen aber meint "keyif" so viel mehr als nur bloßen Rausch oder verträumte Mattigkeit. Es beschreibt die Schönheit der Bewegungslosigkeit und das Tiefgründige des Nichtstuns. Erfahrbar sind sie überall in Istanbul, auch auf der Terrasse des Teegartens im Gülhane Park. Der Çay wird dort im Semaver serviert, der typischen Doppelkanne, die oben starken Teesud enthält und unten heißes Wasser zur Verdünnung.
Das schönste byzantinische Gotteshaus
Vor einem liegt der Bosporus mit zahllosen Jollen, Fähren und Frachtern und hinter einem der Topkapi-Palast. In dessen Vorgarten verweigert sich die Hagia Irene, die erste in Konstantinopel erbaute Kirche, den Touristen. Nur mit Sondergenehmigung öffnen sich die Pforten zum vielleicht schönsten byzantinischen Gotteshaus der Stadt.
Im Jahr 381 tagte hier das Zweite Ökumenische Konzil, bei dem die Grundlage des christlichen Glaubens formuliert wurde: "Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt." Nur wenige Kilometer entfernt, im Stadtteil Fener, klingt das dann so: "Pisteuo eis hena Teon, Patera, pantokratora, poieten ouranou kai georaton te panton kai aoraton." Der Priester von Hagios Georgios rezitiert dort das Glaubensbekenntnis auf Griechisch. Leise klirren die Ketten der Weihrauchbehälter. Sonore Sprechgesänge füllen den Raum, und die Blicke der vier, fünf Gottesdienstbesucher verlieren sich im goldenen Schimmer der mit Ikonen behängten Bilderwand. Auch das kann "keyif" sein, die leise Freude der Betrachtung und der Meditation.
Die lässt sich rund um die Patriarchatskirche fortsetzen, vorausgesetzt man ist für den morbiden Reiz von Verfall und Niedergang empfänglich. In vielen Straßen Feners bröckeln die Bauten. Efeu und Moos tapezieren die Fassaden, Staub ersetzt die Gardine, und Wäsche tropft von quer über die Straße gespannten Leinen. Nach einigen Stunden in diesem Quartier spürt man, dass Istanbul unter den Millionen-Metropolen der Welt die wenigsten Grünflächen hat und folglich auch den niedrigsten Sauerstoffgehalt pro Einwohner.
Balsam für alle, die bei Lärm, schlechter Luft und Gedränge den Istanbul-Blues kriegen, verspricht der Yildiz-Park, die grüne Chill-Lounge auf einem Hügelkamm im Beşiktaş-Viertel. Heilsamer sind nur der Bosporus selbst und sein Seitenarm, das Goldene Horn. Stellen wir uns also auf die Galata-Brücke, schließen die Augen und hören – das Rattern der Straßenbahn, das sirrende Auswerfen von Angelruten, hundertfaches Hupen, Rufen und Fluchen, lachende Möwen und schlurfende Rosenverkäuferinnen. Lassen wir die Augen geschlossen, nur ein Weilchen noch, bis die Sonne sich senkt und "manzara" – Aussicht, zum wichtigsten Wort nach "keyif" wird.
Auf jeder Dachterrasse, auf jedem Bootsdeck und jedem Hügel wird man zum Schauenden, zum Staunenden und zum Sinnierenden. Auf der Galata-Brücke aber, dem Logenplatz des Istanbuler Theaters, sieht man sich satt an der Stadt. Sich hier von einem der Angler einen Klapphocker leihen, auf den Çay-Verkäufer warten, testen, ob der bernsteinfarbene Tee kräftiger leuchtet als das Goldene Horn bei Sonnenuntergang und begreifen, warum die Osmanen diesen Ort auch Der-i Saadet – "Pforte der Glückseligkeit" genannt haben, das ist dann keyif – Glück, ganz nach Istanbuler Art.
Mehr Informationen:
Türkisches Fremdenverkehrsamt
www.goturkey.com
Anreise:
Flug ab Nürnberg etwa mit Turkish Airlines oder Pegasus Airlines in drei Stunden zum internationalen Istanbul Airport (IST) auf der europäischen und Sabiha Gökçen Flughafen (SAW) auf der asiatischen Seite der Stadt.
Eine Zugfahrt über Budapest dauert 43 Stunden.
Günstig wohnen:
Manzara Ferienwohnungen
www.manzara-apartments.com
Luxuriös wohnen:
Çırağan Palace Kempinski Istanbul
www.kempinski.com/tr/istanbul/ciragan-palace
Beste Reisezeit:
Ganzjährig, im Frühling und Herbst am angenehmsten. Vorsicht: Auf den touristischen Plätzen und Straßen und in Bars lauern trickreiche Bauernfänger.
Anmerkung der Redaktion:
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, auch in Zeiten von Repressalien und Krieg eine Istanbul-Geschichte zu veröffentlichen. Die Stadt wird nach wie vor außergewöhnlich häufig ab Nürnberg angeflogen, und die freundlichen Bewohner sind nur bedingt für die politische Entwicklung verantwortlich. Jeder muss selbst einschätzen, ob er derzeit dort Urlaub machen möchte oder nicht.
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