Treiben lassen im schwedischen Värmland
3.8.2019, 08:00 Uhr"Der Fluss macht das schon", sagt Anke und blickt entspannt aufs Wasser. Fragende Blicke. Bisher haben wir immer wieder gerudert und gepaddelt, um den kleinen Gefahren zu entgehen, vor denen unser Floß-Instruktor Benno gewarnt hatte. Überhängende Bäume oder Steine dicht unter der Oberfläche des Klaräven-Flusses im mittelschwedischen Värmland etwa, an denen unser Zwei-Tonnen-Holzfloß hängen bleiben könnte. Oder die Rück-Strömung in den weiten Flusskurven, die uns festhalten könnte. Einfach loslassen, den Fluss machen lassen?
Vor ein paar Stunden hat es unser Floß noch gar nicht gegeben. Einige Hundert Fichtenstämme, jeder etwa drei Meter lang, und zwei Holzkisten gefüllt mit türkisfarbenen Seilen haben uns am Flussufer, gleich neben dem Campingplatz, erwartet. Benno, ein 22 Jahre junger Student aus Berlin und Floßbau-Experte, hat uns die Seilschling- und -drehtechniken gezeigt, mit denen sich die Stämme fast ohne Knoten sicher aneinanderfügen lassen. Dreieinhalb Stunden schleppen, halten, im Wasser stehen – und schließlich ein unbändiges Zufriedenheitsgefühl, als unser drei mal sechs Meter großes, drei Baumstamm-Lagen tiefes Floß schließlich auf dem Wasser gedümpelt hat
Jetzt also loslassen, uns dem Klaräven hingeben, der uns in gemütlichem Spaziergänger-Tempo an Waldstücken und Weilern vorbeizieht, unter einem stahlblauen Himmel mit zahllosen Schäfchenwolken. Drüben am anderen Ufer kühlt sich eine Kuhherde mit etlichen Kälbern ab. Gänse schnattern aus dem Schatten eines ausladenden Baumes hinab auf den Fluss. Vögel zwitschern und singen in der dichten Uferböschung. Kein Paddelschlag stört die Ruhe, die Körper, Seele und angespannte Großstädter-Nerven umhüllt.
Raus in die Natur – in den nordischen Ländern ist das Teil des Lebens. An mindestens zwei Tagen pro Woche, sagt die Statistik, zieht jeder Schwede durch Landschaften, Wälder oder an Gewässer. Mit Zelt oder Wohnwagen, mit Rucksack, Mountainbike oder Pferd, im Kanu oder auf Ski. Die Provinz Värmland gilt dabei als das Outdoorgebiet schlechthin. Endlose Wälder, mehr als 11.000 Seen und zahllose Flüsse wollen entdeckt werden. Einsamkeit garantiert. Denn gerade einmal 14 Einwohner pro Quadratkilometer leben zwischen den Ausläufern des Kölen-Gebirges im Norden der Provinz und Karlstad am südlich gelegenen Vänern, dem größten See in der Europäischen Union.
Besonders beliebt ist hier der Skilanglauf, dem Värmland sogar einen eigenen "Tempel" gewidmet hat: Den 1,3 Kilometer lange Torsby Skitunnel besuchen durchschnittlich 250 Sportler am Tag. Bei minus drei Grad ziehen Skater und klassische Langläufer gemeinsam ihre Runden. Neben einer ähnlichen Anlage im sächsischen Oberhof ist der Skitunnel einmalig in Europa. So einzigartig, dass die schwedische und die norwegische Biathlon-Nationalmannschaft hier alljährlich während der Saisonvorbereitung einträchtig nebeneinander trainieren.
Andere zieht es hinaus in die Wälder, auch weil der Tisch der Natur reich gedeckt ist. Gräser, Beeren, Kräuter wachsen überall. Im April und Mai sprießen zarte Blätter an neu treibenden Bäume, die für schmackhafte Salate dienen können. Junge Tannenzapfen mit ihrem süßlich-zitronigen Aroma lassen sich zu Sirup oder Tee verarbeiten oder verleihen in geraspelter Form gebratenem Fisch eine besondere Note. Der Bittermandel-Geschmack von Elchgras lockt ebenfalls, Beeren und Steinpilze schießen etwas später. Dazu gibt es Fisch aus einem der Seen Värmlands und Kartoffeln vom nächsten Acker.
Dass draußen Kochen sogar auf Gourmetniveau möglich ist, vermittelt das schwedische Projekt "The edible country" (auf deutsch: "Ein Land wird Restaurant") Einheimischen und Besuchern. Quer über das Land verteilt stehen große Holztische und -bänke an Seen, am Meer oder mitten im Wald. Die meisten der bislang 13 Tafeln werden von nahegelegenen Restaurants oder Herrenhöfen betreut (siehe Kasten unten). Kochausrüstung und Geschirr kann jeder mitbringen oder ausleihen. Oder man entfacht ein Lagerfeuer. Getrocknete Rinde älterer Birken eignet sich dafür hervorragend. Weil sie leicht zu entzünden ist und lange brennt.
Überhaupt bildet Holz das wichtigste Exportgut Schwedens. Für jeden Baum, der fällt, wird ein neuer gepflanzt. Die gute Absicht gebiert jedoch problematische Monokulturen vor allem aus schnell wachsenden Tannen, die sich wegen ihrer wenigen Äste besonders gut für die Bretter-Herstellung eignen. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Stämme aus dem Norden des Landes als Flöße nach Süden gebracht. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts starb das gefährliche Flößer-Handwerk, das auch viele Todesopfer gefordert hatte, aus.
Unsere Floßfahrt auf dem beschaulichen Klaräven ist alles andere als gefährlich. Nach knapp vier Stunden Dahintreiben, Dörfchen betrachten, Vogelgesang genießen und Baden nähern wir uns allmählich unserem Zielpunkt Björkebo. Nach einem großen Hinweisschild sollen wir die Hauptströmung verlassen und uns ans linke Flussufer halten. "Sonst verpasst ihr den Ausstieg", hatte uns Benno mit auf den Weg gegeben. Und augenzwinkernd angefügt: "Dann seid ihr noch vier Tage unterwegs."
Mehr Informationen:
Visit Värmland
das die Reise unterstützt hat.
Anreise:
Mit dem Flugzeug nach Stockholm, weiter nach Karlstad. Zug: Stockholm – Karlstad 2:15 Stunden. Auto: rund 1400 Kilometer ab Nürnberg durch Dänemark nach Karlstad, 16 Stunden.
Günstig wohnen:
Uddeholms Hotell
Luxuriös wohnen:
Hotel Sahlströmsgården
Beste Reisezeit:
Juni bis August
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