Fest auf der Baustelle

23.5.2013, 06:00 Uhr
Fest auf der Baustelle

© dpa

Das Wörtchen Timing muss irgendwie auf der Reise von Angelsachsen Richtung Fichtelgebirge verloren gegangen sein. Anders lässt sich nicht erklären, dass Bayreuth seinen bedeutendsten Bewohner zum Jubiläum mit Baustellenzäunen, Verdeckplanen und verrriegelten Eingängen ehrt.

Villa Wahnfried? Eine unwirtliche Großbaustelle. Das Markgräfliche Opernhaus, in dem die Grundsteinlegung des Festspielhauses mit Beethovens Neunter zelebriert wurde? Noch auf Jahre wegen Sanierung geschlossen. Das Festspielhaus selbst wegen seiner bröckelnden Fassaden baustellen-mäßig verhüllt und die Stadthalle, wo die heiße nächtliche Wagner-Party stattfand, mächtig in die Jahre gekommen. Urbane Festtagsgewänder sehen anders aus.

Immerhin: eine Treppe zum Künstlereingang am Festspielhaus wurde neu gemauert und die Parkplätze erhielten eine Asphaltdecke. Der Fortschritt ist eben eine Schnecke.

Da mag die Stadt sich noch so sehr beflaggen und ein Wagner-Double durch die internationale Gästeschar flanieren: An diesem besonderen Tag zeigt sich Bayreuth von seiner besonders ungemütlichen Seite. Auf dem Grünen Hügel pfeift der Wind ziemlich kalt. Im Gegensatz zu den hochsommerlichen Festspielen sind die zur Schau getragenen Nerze dieses Mal nicht völlig nutz- und wirkungslos.

Zwar spricht Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner Festrede vom grassierenden „Wagner-Fieber“, aber er hätte genauso gut auch „Schüttel-Frost“ sagen können. Immerhin hat der CSU-Mann die Lacher auf seiner Seite, als er aus einem devoten Ehrerbietungsbrief des „Ring“-Komponisten an seinen wichtigsten Gönner Ludwig II. zitiert, in dem der Künstler dem Monarchen anbietet, jederzeit und für alles zur Verfügung zu stehen. „Solche Schreiben aus zeitgenössischen Kunstkreisen an bayerische Ministerpräsidenten sind bisher nicht bekannt“, bemerkte der Regierungschef süffisant. Aber auch er muss zugestehen: „Wagner gehört der Welt, aber Bayern hat seinen Anteil daran.“

Im kleinen Finger

Stardirigent Christian Thielemann hat das Festspielorchester aus ganz Deutschland zusammengetrommelt (die Staatsphilharmonie Nürnberg ist mit Solohornist Michael Lösch vertreten) und intoniert die üblichen Konzertstücke zu solch einem Anlass. Dass Thielemann Wagner noch im kleinsten Finger hat, ist im Gegensatz zu den Festspielen, wo er im unsichtbaren Graben agiert, nun zu sehen.

Ja, er zaubert mit dem riesigen Klangkörper, der noch nicht ganz homogen zusammengefunden hat. Aber selbst Thielemann glückt nicht alles: Die Wiedergabe des 1. Akts der „Walküre“ wirkt seltsam spannungsarm. Das liegt zu einem Gutteil am südafrikanischen Tenor Johan Botha, der nicht nur Textlücken offenbart und einmal sogar schmeisst, sondern dessen Ausdrucksvermögen recht uniform über die Rampe kommt.

Die niederländische Sopranhoffnung Eva-Maria Westbroek hält mit wuchtigem Ton und emphatischer Hingabe dagegen. Ihre Sieglinde hat Format und Statur. Mit dem Schlussgesang der Isolde nimmt sie Anlauf auf die Gesamtpartie, die erstmals die Dresdner in der nächsten Spielzeit von ihr erwarten dürfen. Da war noch nicht alles Erfüllung, aber die Substanz ist vorhanden.

Natürlich musste der „Tristan“-Akkord erklingen. Dazu aus der „Götterdämmerung“ die Rheinfahrt und der Trauermarsch. Und zum Finale das „Meistersinger“-Vorspiel. In den rein instrumentalen Nummern überzeugte der Festakt musikalisch am stärksten.

Ein Wagner-Jubiläum ist gleichzeitig auch immer Familientreffen. Allerdings gingen die regierenden Töchter Wolfgang Wagners, Eva und Katharina, die sich vor den vielen Kameras unzertrennlich zeigten, ihren Cousinen aus der Wieland-Dynastie wie etwa Nike oder Schauspielerin Daphne Wagner mit ihrem Mann Tilman Spengler auffällig aus dem Weg. Das wäre ja auch noch schöner, sich zum 200. Geburtstag des Ahnherrn auch noch zu versöhnen. Wagners Kosmos lebt von seinen zwischenmenschlichen Spannungen.JENS VOSKAMP

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