Ein Museum ohne Ausstellungsstücke

1.11.2011, 00:00 Uhr
Ein Museum ohne Ausstellungsstücke

© Stefan Hippel

Also, Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon ist zu bedauern. Bei der Vorstellung des Projekts Kaiserburgmuseum am 21. Oktober in Nürnberg, musste er laut Manuskript sagen, er müsse als Altbayer zugeben, dass Kaiser Ludwig der Bayer „Nürnberg als Residenzort den Vorzug vor München gegeben zu haben scheint“.

Na und, sagt sich da der Nürnberger, jener Kaiser Ludwig hauste bei seinen vielen Aufenthalten in unserer Stadt nicht auf der Kaiserburg, sondern mit Vorliebe im damaligen Plobenhof, dem Anwesen des Konrad Groß, der als einer der reichsten Männer seiner Zeit galt und sozusagen Hoffinanzier dieses Kaisers war. (Und Ludwig bedankte sich dadurch, dass er Groß Rechte zur Einnahme von Steuern übertrug und ihn zum Reichsschultheiß ernannte. Konrad Groß ist, nebenbei, fest im Gedächtnis der Stadt Nürnberg, als Stifter des bis heute bestehenden Heilig-Geist-Spitals.)

Doch gilt das, was hier an einem Beispiel vorgeführt wird, ganz allgemein für die Rede des Staatsministers: sie ist von keinerlei Geschichtskenntnis getrübt. Da wird der Anspruch angemeldet, so wörtlich, „Auf der Kaiserburg Nürnberg wollen wir eine museale Einrichtung schaffen, die das Phänomen des ,Alten Reiches‘ – jenes Heiligen Römischen Deutscher Nation – an einem herausragenden historischen Ort von herausragender Authentizität erlebbar macht...“ und so weiter und so weiter.

Innere Widersprüche

Na und? Durchaus übergangen, nicht gesehen, missachtet wird dabei die Tatsache, dass es bis heute nicht gelungen ist und auch hier gelingen wird, das bis 1806 bestehende „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ auf eine Grundstruktur zurückzuführen und es ein für allemal zu erklären. Dafür ist die Geschichte dieses Reiches so voller innerer Widersprüche, voller innerer Machtkämpfe, voller Kaiser und Gegenkaiser, dass es oft gilt, gelassen zu bleiben. (Der genannte Ludwig der Bayer zum Beispiel hatte von Anfang an einen Gegenkaiser, nämlich den Habsburger Friedrich, genannt „der Schöne“.)

Aber zurück zum Vorhaben der Staatsregierung. Keine Antwort bietet der Finanzminister auf die Frage, wie denn das Phänomen des Alten Reiches sichtbar gemacht werden soll. Jede Art von Museum, nicht wahr, basiert doch darauf, dass frühere Zeiten mit überkommenen Originalen sichtbar, erlebbar gemacht werden. Da kann es sich um Dokumente handeln, um Bilder, um Kunstwerke, um Mobiliar, um Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, auch um Maschinen, um Fahrzeuge, um Kleidungsstücke, um Schmuck, um Spielzeug und und und.

Man sehe sich um, im Germanischen Nationalmuseum wie in der Vielzahl städtischer Museen Nürnbergs, man wird es bestätigt finden. Und nun: welche Originale sollen denn im künftigen Kaiserburgmuseum vergangene Epochen erlebbar, nachvollziehbar machen?

Genannt werden könnten da die Reichskleinodien, von denen einige wenige Kopien im Nürnberger Rathaus verwahrt werden. Krone, Zepter und Reichsapfel aber gehören für den geschichtsbewussten Nürnberger nirgendwo sonst hin. Aus einem verpflichtenden Grund. Kaiser Sigismund übergab 1424 die Krone mit allem Zubehör der Reichsstadt Nürnberg zur ewigen Aufbewahrung, nicht der Kaiserburg. (Eine andere Geschichte ist, dass sich die Kostbarkeiten heute in Wien befinden. Sie wurden 1796 auf der Flucht vor den Franzosen dorthin verbracht.)

Wer nun in Nürnberg nach originalen Zeugnissen für das Heilige Römische Reich sucht, der wendet sich am besten zum Hauptmarkt. Er macht – in der Frauenkirche – den Herrscherwillen eines Kaisers sichtbar, der dem Reich eine feste Struktur geben wollte. Karl IV., um den es geht, hatte anno 1356 in der „Goldenen Bulle“ für alle Zeiten festgelegt, wer allein den König und Kaiser wählen durfte, nämlich die sieben Kurfürsten. Es ging da um die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, um den König von Böhmen, den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Er hatte dazu festgelegt, dass die Territorien dieser sieben nicht verändert werden durften, etwa durch Erbteilung, wie sie sonst die inneren Grenzen des Reiches immer wieder veränderte. Schließlich hatte Karl IV. bestimmt, dass die deutschen Könige und Kaiser in Frankfurt zu wählen und in Aachen zu krönen seien, schließlich sollten die Gewählten ihren ersten Reichstag in Nürnberg abhalten.

Das schönste Dokument für die „Goldene Bulle“ ist nun in Nürnberg zu besichtigen, nicht auf der Burg, sondern in der Schmuckfassade der Frauenkirche. Da ist das Wappen des Reiches in der Mitte der Brüstung zu sehen, umgeben nach rechts und links von den Wappen der sieben Kurfürsten. (Und dazu kommt, oft übersehen das Wappen der Stadt Rom mit den Großbuchstaben SPQR = Senatus Populusque Romanus, womit an den Anspruch erinnert wird, im deutschen Kaiserreich eine Fortsetzung des römischen Weltreiches zu sehen.)

Die Frauenkirche, dies dazu, wurde auf Geheiß des Kaisers Karl gebaut, er hatte der Reichstadt zuvor genehmigt, auf dem bis heute bestehenden Platz zwei Märkte einzurichten. Was im Vollzug noch einen Blick in die deutsche Geschichte erlaubt, ja aufdrängt. Auf dem Platz nämlich war ursprünglich eine jüdische Siedlung, den Platz der Frauenkirche nahm das jüdische Gotteshaus ein. Für den Umgang mit den Bewohnern kennt die Chronik nur einen bis heute erschreckend kalten Satz: „Die Juden wurden verbannt.“ Jedoch: wer mittelalterliche deutsche Kaisergeschichte darstellen will, kommt am Schicksal der Juden nicht vorbei.

Bleibt die Frage, wie geschichtliche Wirklichkeit in der Kaiserburg dargestellt werden kann. Mit Abstraktion und der Suche nach einem Grundmuster ist es nicht getan, damit ist niemandem gedient. Sagen wir aber noch das eine: ein Zeugnis für das mittelalterliche Reich ist doch im Original erhalten und kann nicht genug gepriesen werden. Gemeint ist damit die Doppelkapelle, die allein den Bombenkrieg unbeschadet überstanden hat. Und das wichtigste an diesem Gotteshaus ist nicht die Ober- und Unterkapelle, sondern darüber die Empore.

Mit Christus auf gleicher Höhe

Wer dort oben in der Mitte Platz nimmt, der hat genau gegenüber am Bogen zum Altarraum einen Christuskopf. Und eben dieses Gegenüber lässt die stärkste Spannung nachempfinden, die das Mittelalter prägte: die Spannung zwischen dem deutschen Kaiser und dem Papst in Rom. Der Papst nämlich nahm für sich die Macht in Anspruch, den Kaiser aus der Kirche auszuschließen. Und wer einmal draußen war, war verloren, es sei denn, er tat untertänigst Buße. Man kennt ja den „Gang nach Canossa“ des Kaisers Heinrich IV., – er stand an drei Tagen schlotternd vor der Burg, bis ihm der Papst gnädig war. Weniger bekannt ist, dass auch der Kaiser Friedrich Barbarossa solche Buße leisten musste...

Und nun der Platz auf der Empore der Doppelkapelle in unserer Burg. Hier saßen sich der Kaiser und Christus auf einer Höhe gegenüber, – alles andere, der Hofstaat, der zuständige Vertreter der römischen Kirche, war unter ihnen.

Kommen wir zum Schluss. Die Kaiserburg wird sich nicht als Museum einrichten lassen, dazu fehlt es an Originalen. Und wenn der Hopplahopp-Entwurf, den Fahrenschon vorgetragen hat, noch irgendwie angereichert wird, wirkliche Substanz, wirkliche Begegnung mit der Geschichte kann er nicht bringen. Alsdann.

Keine Kommentare