Wie eine 84-Jährige den Club verzaubert

24.1.2013, 06:29 Uhr
Evelyn Konrad zu Besuch in Nürnberg.

© Michael Matejka Evelyn Konrad zu Besuch in Nürnberg.

Kurz vor Ende des Abends greift die kleine Frau noch einmal zum Mikrofon, ungefragt, spontan. Und noch einmal bringt sie jeden Gast — Fans, Offizielle, Medien — zum Schmunzeln, nein, zum Lachen. „Mein Vati war sehr bescheiden“, sagt Evelyn Konrad, „ich bin’s nicht. Dürfte ich nicht auch Mitglied sein?“ Einen kurzen Moment ist auch Club-Sportvorstand Martin Bader verdutzt, antwortet dann aber: „Selbstverständlich.“

Evelyn Konrads „Vati“ ist Eugen Konrad, genannt Jenö, ehemaliger jüdischer Trainer des 1. FC Nürnberg — und nun feierlich posthum als Ehrenmitglied des Clubs aufgenommen. Konrad war zwei Jahre lang, von 1930 bis 1932, beim Club als Trainer aktiv, bevor er wegen der Hetze des NS-Propaganda-Blattes Der Stürmer entschied, den Club zu verlassen. Die FCN-Führung nahm die Entscheidung des beliebten Ungarn einst schweren Herzens hin.

Nun ist Jenö Konrad Ehrenmitglied und (auch) dank seines Satzes „Der Club war der Erste und muss der Erste werden“ für Fans ein Idol. Viele andere Club-Idole sind (auch) seinetwegen in die Trainingshalle auf dem Club-Gelände gekommen, Ex-Trainer Hans Meyer, Ehrenpräsident Michael A. Roth, die aktuelle Mannschaft.

Und trotzdem sind sie alle nur Randfiguren — im Schatten einer 84-jährigen, kleinen Frau. Mit einem großen Herz für Nürnberg, wie sie sagt. Auch ihre Eltern haben stets nur gut über die Stadt gesprochen, aus der sie später geflüchtet sind. Evelyn Konrad selbst war damals drei Jahre alt, erinnert sich aber trotzdem. Zum Beispiel an die Sonntagvormittage, als ihre Mutter länger schlief und sie mit ihrem Vater auf dem Fiaker durch die Stadt fuhr. „Da sind uns dann immer die Buben hinterhergerannt, das fand ich toll. Leider aber nicht meinetwegen“, lacht sie. Die Jungen wollten ein Autogramm des Vaters.

Zig Trainerstationen

Konrad erzählt auch von der Odyssee, die ihre Familie auf der Flucht vor den Nazis durchgemacht hat, von den Trainerstationen ihres Vaters in Italien, Frankreich, Portugal. Von dort kam die Familie Konrad mit einem Frachter in die USA. „Auch da hatten wir Glück, dass der Kapitän Fußball-Fan war.“ In New York endete Jenö Konrads Trainerlaufbahn. Er arbeitete fortan in einer Fabrik.

Evelyn Konrads eigene Geschichte aber geht weiter — und ist nicht weniger aufregend. Die Mutter von vier Kindern, die in Kalifornien studiert und lange als Chefredakteurin einer Fernseh- und Radiozeitung gearbeitet hat, ist inzwischen Anwältin. Ihr Jura-Studium hat sie mit 77 (!) Jahren vollendet, heute hat sie eine Kanzlei.

Evelyn Konrad hat mit ihrem bezaubernden Auftritt bei Club-Fans und Verantwortlichen einen bleibenden Eindruck hinterlassen — Gleiches gilt aber auch umgekehrt. Tief gerührt ist die 84-Jährige, als sie einen Film sieht, den die Ultras des FCN über die Entstehung der Jenö-Konrad-Choreographie gedreht haben. „Unglaublich, was sie gemacht haben“, sagt sie. Auch wenn es „gut ist, dass der Name daruntersteht“.

Das ist ihre Antwort auf die Frage, ob man ihren Vater denn erkennt. Als Kritik aber ist auch das nicht zu verstehen. Konrad zeigt ihr breites Lächeln. Das trägt sie den ganzen Tag mit sich, während sie mit Verantwortlichen des 1. FC Nürnberg und Club-Historiker Bernd Siegler die Stadt erkundet. Siegler hat die Tochter des ehemaligen Club-Trainers ausfindig gemacht. Er hat damals, 1996, für ein Buch über die Geschichte des Clubs recherchiert — und die Konrad-Tochter über eine Anzeige in einer Zeitung deutscher Exil-Juden gefunden.

Tafel ehrt Ausgeschlossene

Mehr als zehn Jahre später schließt sich auch für Siegler der Kreis: mit dem Besuch Konrads, die bei ihrer Rückkehr im Albrecht-Dürer-Haus, der Lorenz- und Sebalduskirche, aber auch im Saal 600 Halt macht. Sie beeindruckt, mit welcher „Kraft sie hier für die Menschenrechte eintreten“. Das werde sie auch in New York allen erzählen.

Viel Mühe hat sich auch der 1. FC Nürnberg mit dem Gedenken an seine jüdischen Mitglieder gegeben, die im dunkelsten Kapitel des Clubs, der NS-Zeit, aus dem Verein ausgeschlossen, später sogar aus den Annalen gestrichen wurden. Der FCN galt als einer der Ersten, der „mit den Wölfen geheult hat“. Mit umso mehr Gespür würdigt der Club an diesem Abend seine ehemaligen Mitglieder, auch mit einer eigenen Gedenktafel.

Es ist ein besonderer Abend, für den Club, genauso für Evelyn Konrad — und ihren Vater. Dessen Brief, den er an den FCN nach seinem Abschied schrieb, trägt Schauspieler Michael Nowack vom Staatstheater vor. Darin steht auch, dass die Zeit bei dem Verein, den er schätzen und lieben gelernt hat, „nicht nur eine kleine Episode (war), sondern ein Erlebnis, das mit mir weiterlebt, wenn ich schon lange, lange woanders lebe“.

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