Unverständige Autofahrer: Winterdienst im Dauerstress

12.12.2008, 00:00 Uhr
Unverständige Autofahrer: Winterdienst im Dauerstress

© dpa

Alles ist eine Frage der Perspektive. Gerade noch saß ich gestresst im Kleinwagen, sah mich schon zu spät zum Termin kommen, schimpfte vor mich hin, weil ich den Hienberg mit 40 Stundenkilometern hinter einem Schneepflug hinaufschleichen musste. Jetzt sitze ich selbst als Beifahrerin im Räumgerät und schüttle den Kopf über die ungeduldigen Autofahrer auf der kurvigen A 9, die versuchen, sich am Pflug vorbeizuschlängeln. Und die nicht verstehen wollen, dass seine Arbeit ihnen eigentlich den Weg erst frei macht.

«Die zeigen uns schon mal den Vogel», sagt Heiko Friedrich, der hinterm Steuer des Schneepflugs sitzt. Doch wenn es nur das wäre. Beleidigungsgesten lassen sich mit einer Portion Gleichgültigkeit wegstecken: die Folgen gefährlicher Überholmanöver bei Eis und Schnee dagegen nicht. Friedrich erzählt von einem 40-Tonner, der vor ein paar Jahren ein stehendes Fahrzeug der Autobahnmeisterei einfach gerammt hat.

Geschrieen wie verrückt

Und Friedrich erzählt von der Frau, die im vergangenen Jahr mit ihrem Auto plötzlich in der Schaufel seines Schneeräumers hing. Die Beteiligten blieben körperlich unverletzt. «Aber die Frau hat geschrieen wie verrückt, weil sie einen Schock hatte.» Was zuerst auch bei ihm einen Schock auslöste: er dachte, der Frau sei etwas passiert. Dennoch stieg der 30-Jährige, als alles geregelt war, wieder in sein Fahrzeug und räumte weiter.

Wer die Autobahn von Eis und Schnee befreit, muss einiges einstecken können. Die Frauen und Männer der Autobahnmeisterei Münchberg (Oberfranken) haben das gelernt. Luft machen sie sich beim Frotzeln und Sprücheklopfen in den Brotzeitpausen oder beim Schichtwechsel. Zart besaitet darf hier kein Kollege sein.

Straßenwärter ist ein Ausbildungsberuf. Die Autobahnmeisterei nimmt jedoch auch Seiteneinsteiger; etwa Handwerker oder Lkw-Fahrer. Im Sommer müssen die Straßenwärter neben den Straßen samt Leitplanken, Verkehrsschildern und Parkplätzen auch Ausgleichsflächen und Regenwasser-Rückhaltebecken neben der Straße pflegen. Im Winter beschert das Wetter die Hauptarbeit.

Mit Geräten aus der Schweiz sind die Münchberger unterwegs. 2004 haben sie den ersten Zaugg-Pflug ausprobiert. Sie waren begeistert und stiegen komplett um. Auch die Kollegen aus Trockau räumen mittlerweile damit. 7,80 Meter ist die vordere Schaufel des größtem Zaugg-Pflugs breit. Sie ist schräg gestellt, der Winkel lässt sich verändern. Außerdem hat das Fahrzeug einen Seitenpflug. «Wir hier räumen alles auf rechts», erklärt Heiko Friedrich. Der Schnee wird also vom Fahrzeug aus nach rechts weggeschoben.

Vieles geht per Knopfdruck. Die Konsole dafür bedient der Beifahrer. So kann die Salzmenge, die aus dem Streuer herausrieselt, in mehreren Stufen verstellt werden. Sogar die Schneeketten lassen sich während der Fahrt automatisch anlegen.

Ist voller Einsatz geboten, fahren zwei Schneepflüge auf der Autobahn versetzt nebeneinander. Der vordere schiebt den Schnee auf die Mittelspur; der hintere befördert ihn von dort neben die Straße. Auf diese Art können zwei Fahrzeuge drei Spuren frei machen. Der Nachteil: Alle anderen Autos müssen hinter ihnen bleiben.

Wenn sie räumen, fahren sie trotz der 360 PS unter der Motorhaube nur etwa 40 Stundenkilometer schnell; wenn sie nur streuen, geht es 20 Sachen schneller. Das reizt so manchen Pkw-Fahrer zum riskanten Überholmanöver; gelegentlich sogar rechts über die Standspur. Viele unterschätzen die Gefahr offensichtlich. «Wie man sich bei einem Schneepflug richtig verhält, wird den Leuten in den Fahrschulen viel zu wenig beigebracht», findet Heiko Friedrich.

Unbelehrbare Fahrer

Schwer machen dem Winterdienst auf der A 9 zwischen Hof und Nürnberg das Arbeitsleben auch die unbelehrbaren Sommerreifen-Fahrer aus Richtung Berlin oder Brandenburg. «Die denken, die Berge fangen erst ab München an und es reicht daher, wenn sie dort beim ADAC Schneeketten leihen», erklärt ein Kollege Friedrichs. Und weil dieser Gedanke falsch ist, bleiben die Betreffenden auf dem Weg zum Skifahren schon im Frankenwald stecken.

Ebenso unvernünftig - und zwar vor allem aus Zeitdruck-Gründen - können Lkw-Fahrer sein. Bleibt ein Laster auf der glatten Straße hängen, überholt der nächste in der Mitte. Bleibt der ebenfalls hängen, überholt der nächste links. So kommt es immer wieder vor, dass drei liegengebliebene Lkw nebeneinander die komplette Autobahn dichtmachen. Dann bricht der Verkehr zusammen. Und alle schimpfen wieder mal auf den Winterdienst.