Die Malerin Stella Springhart

28.2.2011, 16:13 Uhr

Die AEG ist kaputt, und doch blüht ein neues, ein ganz anderes Leben in den leeren Werks- und Bürohallen. So sehen wir auf einem Foto das AEG-Gebäude 74 in der Muggenhofer Straße in der Abenddämmerung. Doch statt müder Büromenschen verlässt eine kunterbunte Schar exzentrischer bis mutierter Gestalten das Gemäuer. Diese Figuren sind nicht fotografiert, sie sind hineingemalt und verdanken ihr Aussehen der Phantasie der Stella Springhart.

Stella Springhart – das klingt wie ein Künstlername, lange gesucht und gefunden bei der vierten Weinflasche weit nach Mitternacht, unterm Sternenhimmel über weißem Sandstrand. Doch nein, unsere Malerin heißt wirklich und wahrhaftig so. Mit solch einem Namen muss man ja Künstlerin werden.

Die Kobolde der Waschmaschine

Und was sind das für Kreaturen? Kobolde der Waschmaschine? Trolle der Schleudertrommel? Stella behält ihr Geheimnis für sich. Aah, jetzt haben wir‘s: Das sind die Künstler, die hier ihre Ateliers aufgeschlagen haben. Alle Häupter voller Phantasien und merkwürdiger Kopfgeburten, die sie in den Feierabend mitnehmen. Trifft diese Deutung zu? Stella grinst und sagt nichts. Im Unterschied zu den meisten anderen Künstlern, die ihr Atelier auf AEG aufgeschlagen haben, hat Stella Springhart keine Kunstakademie besucht. 1976 in Geilenkirchen bei Aachen geboren, aber in Nürnberg aufgewachsen und schon immer dem Malstift zugetan, konnte sie sich zur Akademie nicht entschließen: „Ich wusste einfach nicht, wie das abläuft. Eher dachte ich an einen Beruf als Kunsttherapeutin.“

Zuerst absolvierte Stella eine Ausbildung zur Erzieherin, danach besuchte sie 1999 den Werkbund im Komm, wo sie die handwerklichen Grundlagen kreativer Techniken kennenlernte. Daran schlossen sich drei Jahre Vollzeitstudium an der Freien Fachhochschule für Kunst und Kunsttherapie in Ottersberg bei Bremen an. „Kurz vor Schluss habe ich die Ausbildung zur Kunsttherapeutin abgebrochen, ich wollte mich nur noch der Kunst widmen. “

In Portugal hat sie Höfe renoviert

Es folgte ein Jahr schöpferische Pause in Portugal, wo Stella Höfe renovierte und die Gestaltung von Mosaiken erlernte. Wieder zurück in Nürnberg (2004), arbeitete Stella zwei Jahre lang handwerklich an Mosaiken und Wandgestaltungen mit. Nun widmet sie sich wieder ganz der Kunst und verdient ihr Geld daneben als Erzieherin im Internat für Blinde und Sehbehinderte, in der Nähe des Südklinikums.

Ein ziemlicher Zickzackweg, wie er oft bei jungen Frauen anzutreffen ist. Eine Ausbildung folgt der anderen, und danach kommt wieder ein Neubeginn. Das hätte Stella auch leichter haben können? „Im Rückblick wäre es einfacher gewesen, gleich zur Akademie zu gehen“, gibt Stella Springhart zu, „aber den Umweg hat es wohl doch gebraucht.“

In Stellas Bilderwelt fallen zwei Schwerpunkte dem Betrachter sofort ins Auge: zum einen die Unterwasserwelt voller exotischer Einzelfische und Fischschwärme, die sich alle um einen hellen Lichtfleck drehen; zum anderen Ansichten verfallender Werkshallen und rostender Maschinen, aus denen Farn und Unkraut wuchern. Menschen sind hier wie dort fast gar nicht zu sehen. Und falls doch, dann wirken sie wie Fremdkörper.

Woher rührt die Faszination an diesen menschenleeren Welten? Was die Wasserwelt betrifft, so war dies eine Begegnung der kuriosen Art. „Ich war zu Besuch in einem riesigen Aquarienschau in Australien, stand vor einer Glaswand, und da guckt mich so ein Fisch an. Ich gucke zurück. Und ich merke, so, wie ich diesen Fisch jetzt ansehe, habe ich noch nie einen Fisch angesehen.“

Nun lernte Stella tauchen, sie gründelte vor Australiens Küste und studierte aufmerksam die submarine Formen- und Farbenwelt. „Je tiefer du tauchst, desto dunkler wird alles und die Farben verschwinden. Gleichzeitig aber wirkt die Leuchtkraft der Fische viel stärker“, staunt Stella noch im Nachhinein.

An den Industrieruinen fasziniert sie der Aspekt des Ruinösen, Rostigen, Zerfallenden. Wir unterhalten uns über die Burgen- und Ruinenromantik in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Ist die Industrieruinenromantik deren Erbe? Steht uns zum Ende des Ölzeitalters eine zweite Schauerromantik der Ruinenwelt bevor? Lauert das Grauen radioaktiven und dioxinverseuchten Erbes in den Katakomben?

Stella überlegt: „In diesen Ruinenbildern wird eine Geschichte erzählt. Man weiß, hier haben Menschen gearbeitet. Als die gegangen sind, hat die Seele den Körper des Gebäudes verlassen. Jetzt, da die Natur zurückkommt, beginnt eine andere Art von Leben. Eine Fabrik, in der gearbeitet wird, empfinde ich nicht als lebendig, sie ist für mich nur funktional.“

Die Vorbilder für ihre Ruinenvisionen findet Stella vor allem in Duisburg. „Dort gibt es einen Industriepark, den man besuchen kann, man darf sogar auf die Türme hinaufklettern und genießt einen phantastischen Überblick“, schwärmt die Malerin. Zur Romantik gesellt sich der Horror: „Ich war dort gerade eine Woche vor der Love-Parade“.

Das Atelierleben im ehemaligen AEG-Büro empfindet Stella Springhart als beispielhaft und inspirierend: „Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen dem Alten, Kaputten und Ruinösen einerseits und der Kunst und dem Neuanfang andererseits.“

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