Eine Handwerks-Tradition stirbt aus

3.4.2012, 10:50 Uhr
Eine Handwerks-Tradition stirbt aus

© Horst Linke

Anders als erwartet, ist Wolfgang Seifert guter Laune, als er die kleine Tür seiner Schuhmacherei im Kirchenweg 24 öffnet. Freundlich lächelnd streckt er seine große Hand zur Begrüßung aus. "Schauen Sie sich nur in Ruhe um.“

Der kleine Geschäftsraum wird von einer alten Holztheke dominiert. Im Hintergrund: ein winziger Ecktisch, ein Apothekerschrank, verschiedene Maschinen. Ein Zeitungsartikel hängt an der Wand – Wolfgang Seifert im Interview, vor knapp drei Jahren. Damals schon lief das Geschäft nicht mehr so gut. Doch er war zuversichtlich. Das Schuhmacher-Handwerk sei "krisenfest“. Im April wird er nun doch schließen müssen. Es lohnt sich einfach nicht mehr.

Früher war das noch anders. "Seit 1971“, ist draußen auf dem Fensterbrett der Schuhmacherei Seifert eingraviert. Da eröffnete Wolfgang Seiferts Vater Klaus die Schumacherei. "Damals waren es noch gute Zeiten für das Handwerk“, sagt sein Sohn heute trocken.

Dann kamen die 90er Jahre, Zeit der Turnschuhkultur, immer weniger Lederprodukte. Aber auch da hat sich das Geschäft noch gelohnt. Die Leute brachten trotzdem ihre Schuhe und das Material war besser als heute. Zu einem Problem für die Seiferts und viele andere wurden die großen Sportartikel- und Modehersteller, die sich die günstigen Produktionsbedingungen in Fernost zunutze machten.

Eine Handwerks-Tradition stirbt aus

© Horst Linke

Importierter Plastikschrott macht das Handwerk kaputt

Discounter-Ketten folgten und ließen ebenfalls zu Billiglöhnen produzieren. "Es ist ja inzwischen keine Seltenheit mehr, dass die Ware von der selben Firma kommt, aber eine ganz unterschiedliche Qualität aufweist. Es wird in einem bestimmten Bereich einfach absichtlich billiger produziert.“ Wolfgang Seifert zuckt mit den Achseln. "Da kostet das Produkt ungefähr fünf Euro in der Herstellung und 50 Euro im Verkauf.“

Doch es ist nicht nur das. Weil Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Italien oder Frankreich kaum selbst Schuhe produziert, stritt es im Jahr 2009 dafür mit, dass Schutzzölle der EU abgeschafft wurden. Die hatten vor übermäßigem Import von billiger Massenware aus China und Vietnam geschützt. Im letzten Jahr importierte Deutschland dann fast 600 Millionen Paar Schuhe, ein Rekord. Knapp die Hälfte der Schuhe kam aus China, 70 Millionen Paar aus Vietnam, 30 Millionen aus Italien, der Rest aus anderen Ländern.

"Der Markt wird überschwemmt von Schuhen aus Plastik, die noch dazu schlecht verarbeitet sind. Was sollen wir da machen? Reparieren können wir sie nicht.“ Wolfgang Seifert erzählt von verzweifelten Kunden, die nicht verstehen, dass er – ein Schuhmacher – ihre Lieblingsstiefel nicht reparieren kann. Auch von ihm wird erwartet, dass er schnell, effektiv und günstig Dienstleistung erbringt. Wenn er dann jemanden abweisen muss, erkennt er in den Reaktionen oft den leisen Vorwurf, nicht mehr zeitgemäß zu arbeiten.

Es ist vor allem die ältere Generation, die noch die finanziellen Mittel und den Willen hat, in gutes Schuhwerk zu investieren. "Aber die Materialkosten für Lederware sind in den letzten Jahren enorm in die Höhe geschossen.“

Eigentlich müsste der Schuhmacher deshalb die Preise erhöhen. Aber wer zahlt das noch, wenn man für knapp 25 Euro einen neuen Schuh kaufen kann? Wieder spielt der globale Markt eine entscheidende Rolle: Weil in Europa immer weniger Lederrohmaterial zu bekommen ist, ist man auch hier auf Importe aus Asien und Amerika angewiesen.

Allerdings haben viele Länder Ausfuhrverbote und -beschränkungen auf eben diese Materialien beschlossen. Und das wiederum steigert die Preise aufgrund der Knappheit enorm.

Das ursprüngliche Handwerk gebe es kaum noch, meint Wolfgang Seifert nüchtern. Nicht nur das der Schuhmacher. Immer mehr gingen die alten Kenntnisse verloren, kaum jemand sei überhaupt noch qualifiziert genug. Das Schlimmste aber sei, dass kaum noch jemand seinen Beruf wertschätze. "Natürlich gibt es Ausnahmen, und bei denen möchten wir uns auch für ihre Treue bedanken.“

Doch leben kann er von diesen wenigen Stammkunden nicht. Seit langem trägt sein zweites Standbein die Schuhmacherei – in seiner Sattlerei bezieht Wolfgang Seifert unter anderem Motorradsitze für Harley Nürnberg. "Dort ist es anders. Hier gibt es Liebhaber, da freut man sich wirklich über meine Arbeiten. Und ich habe viel mehr Freiheiten.“

Vielleicht wirkt Wolfgang Seifert deshalb so gefasst, obwohl er bald das Unternehmen des Vaters schließen muss. Seine Zukunft liegt schon längst woanders.

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