Für Sammler ist das Leben eine Schatzsuche

5.4.2011, 18:48 Uhr
Für Sammler ist das Leben eine Schatzsuche

© Harald Sippel

Da gibt es Oblaten und Fleißkärtchen, Heiligenbildchen oder alte Zündholzschächtelchen. An den Schriftstücken und Zeitzeugnissen hängen Erinnerungen. Und die beschaffen sich die Sammler, die aus aller Welt nach Nürnberg kommen, wieder.

Dabei ist die Suche nur etwas für Ausdauernde: In unzähligen Kisten warten die Papiererzeugnisse gleich stapelweise auf einen passenden Finder. Auf einen wie Eugen Tentscher zum Beispiel. Er ist extra aus Österreich gekommen. Den Händlern ruft er nur „8229“ zu – die ehemalige Postleitzahl von Laufen-Oberndorf. Dort stammt er her. Und sucht auf der Börse Andenken an seine Jugendzeit. Tentscher will die Geschichte seines Dorfes rekonstruieren: „Die reicht schließlich vom 15. Jahrhundert bis heute“, erklärt er.

Bei größeren Anlässen gab es immer neue Ansichtskarten. „Da wurden Kirchen eingeweiht oder berühmte Menschen zu Grabe getragen.“ Diese Ereignisse trägt er zusammen, er plant eine Ausstellung mit den gefundenen Schriftstücken. Einige Händler helfen ihm bei der Suche, eine spezielle Sammlung spricht sich in den Kreisen schnell herum.

„Zeitgeschichte sammeln viele“, weiß auch der Berliner Händler Jürgen Krause. Auf seinen Tischen reihen sich Fotos von Adolf Hitler neben HJ-Postkarten. Auch Erinnerungen an das Kaiserreich und den Ersten Weltkrieg kann man hier finden. Krause bemerkt in diesem Frühjahr eine große Nachfrage vor allem auf Fotos und Karten aus dem Ersten Weltkrieg: „Der Kriegsanfang jährt sich bald zum 100. Mal. Darauf bereiten sich die Sammler schon jetzt vor.“

Flüchtlinge suchen ihre Familiengeschichte

Bilder und Karten aus der Zeit des Dritten Reichs sind aber ebenso gefragt. Krause denkt, das gehe darauf zurück, dass der Geschichtsunterricht nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Aufklärung geleistet habe. „Wenn Sie in Geschichtsbücher in England oder Kanada schauen, werden Sie bemerken, dass dort viel mehr abgebildet war.“

In Deutschland hingegen sei das Dritte Reich kaum ein Thema gewesen, Bilder gab es dazu wenig. „Es war einfach verpönt, darüber zu sprechen“, sagt Krause. Dementsprechend sieht auch die Altersverteilung auf der Börse aus: Viele sind um die 60 oder älter. Sie sind die Kinder und Jugendlichen der Nachkriegszeit. Ein paar von ihnen waren Flüchtlinge. Und suchen nun nach ihrer Familiengeschichte. „Die Börse lebt davon, dass Menschen ihr Leben dokumentieren wollen. Sie haben zu einem bestimmten Ort eben eine persönliche Beziehung“, sagt einer der Veranstalter, Günter Bajorat. Er hat auch einen Stand im Foyer. Seit 1984 organisieren er und Norbert Graf regelmäßig die Nürnberger Börsen. Er hat schon ein Gespür dafür entwickelt, was die Kunden wollen. Manche sammelten bestimmte Motive, wie etwa Motorräder oder Flugzeuge. Und nach wie vor gebe es viele „Topografie-Sammler“. Der Begriff bezeichnet diejenigen, die Karten aus bestimmten Regionen suchen.

Was für den einen wertlos sei, sei für den anderen etwas ganz Besonderes. „Ich hatte mal einen Kunden, der hat auf der einen Karte sein Geburtshaus entdeckt“, erzählt Bajorat. Er selbst sammelt Werbemarken von Ludwig Hohlwein. Die Motive zählen heute noch zu den Klassikern der Reklame.

Doch ihm geht es auf den Börsen um mehr, für ihn ist vor allem das Drumherum wichtig: „Man sieht immer wieder etwas Neues, ich habe Kontakt zu verschiedenen Leuten, das ist es, was dieses Hobby für mich ausmacht!“ Sonst hätte er vermutlich schon lange aufgehört. Die Zeiten sind beschwerlicher geworden. „Früher standen hier sechs Reihen mit zwölf Tischen, jetzt sind es nur noch zehn pro Reihe“, erklärt Bajorat. Und heute sind zum ersten Mal zwei leer geblieben. Der Händler hatte zugesagt, sich aber nicht mehr gemeldet. Erst vorige Woche hatte eine ältere Händlerin abgesagt. Der Grund: ein Schlaganfall.

Ein bisschen besorgt ist Bajorat, wenn er an die Zukunft denkt. Denn jüngere Händler wie Sammler kommen kaum nach. „Bis 2016 haben wir diesen Raum hier gemietet“, sagt er. „Aber ob wir es bis dahin schaffen?“

„Karten werden eben nicht mehr so viele verschickt“, bestätigt die Händlerin Heidi Feldmaier ein wenig wehmütig. Regelmäßig begleitet sie ihren Mann Josef auf die Papierbörsen. „Das ist wie bei den Briefmarken, die Jungen kommen einfach nicht nach“, fügt dieser hinzu.

Verwandte Themen


Keine Kommentare