1835 schrieb Nürnberg Medizingeschichte (Teil 4)

4.10.2010, 17:02 Uhr
1835 schrieb Nürnberg Medizingeschichte (Teil 4)

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Schließlich beschwört Reuter seine Gegner, nicht alles nach Gewicht und Maß zu beurteilen und die neue Heilmethode nicht voreingenommen theoretisch, sondern praktisch zu überprüfen. Und tatsächlich kommt es daraufhin zu einem Experiment, das durchaus vergleichbar ist etwa mit der Kampagne „Homeopathy: there’s nothing in it“ britischer Skeptiker von 2010.

Mehr noch: Der „Nürnberger Kochsalzversuch“ gilt als erster Doppelblindtest der Medizingeschichte. „Erst die Auseinandersetzung mit neuen, alternativen Heilverfahren wie dem Mesmerismus und der Homöopathie führte schließlich dazu, dass man Versuchsanordnungen ersann, die es in nie dagewesener Weise erlaubten, verfälschende Einflüsse auszuschalten, um so die Wirksamkeit der Medikamente beweisen oder widerlegen zu können“, schreibt der Würzburger Medizinhistoriker Prof. Michael Stolberg. Detailliert schildert er das Experiment von 1835, das nichts weniger „als eine kleine wissenschaftsgeschichtliche Sensation“ birgt. Schauplatz ist der Gasthof „Zum Rothen Hahn“ in der Königstraße.

Dort versammeln sich am 19. Februar 1835 rund 130 Personen. 55 von ihnen nehmen aktiv an dem Versuch teil. Auch die Allgemeine Zeitung von und für Bayern ist vor Ort und berichtet engagiert über das groß angekündigte Ereignis, das die „Nullität“ der Homöopathie beweisen soll. Die Probanden sollen nach dem Vorschlag Reuters einige Tropfen einer dreißigfach „potenzierten“ Kochsalzlösung auf nüchternen Magen einnehmen. Ein homöopathisches Standardwerk jener Zeit behauptet eine „15 bis 20 Tage anhaltende Wirkung“. Und auch Johann Jakob Reuter verspricht den Teilnehmern, dass sie „etwas Ungewöhnliches darauf fühlen werden, auch ohne Glauben“.

Aber wie kann er definitiv ausgeschlossen werden, der Anteil des „Glaubens“ an der Wirkung des Arzneimittels? Es gilt, „alles zu vermeiden, was die einzelnen Versuchspersonen den Empfang bestimmt homöopathisch arzneilicher oder bestimmt unarzneilicher Versuchsgaben vermuthen laßen könnte“, erklärt ein leitender Redakteur der Allgemeinen Zeitung namens Georg Löhner seinen Lesern. Löhner fungiert zugleich auch als Versuchsleiter – und ersinnt zusammen mit dem Stadtgerichtsarzt Solbrig einen doppelt „verblindeten“ Ablauf des Experiments.

Lesen Sie im fünften und letzten Teil, welche Erkenntnisse die Ärzte aus dem Doppelblindtest gezogen haben.

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