Der Mann, der Hitler Manieren beibrachte

29.1.2008, 00:00 Uhr
Der Mann, der Hitler Manieren beibrachte

Vom Freigeist zum Nationalisten

Ernst Hanfstaengl war der Spross einer Familie, die durch Kunsthandel reich geworden war. «Putzi» - der Spitzname, den er nie loswerden sollte, ging auf ein gutherziges Kindermädchen zurück - studierte in Harvard und leitete die New Yorker Filiale der Hanfstaengls. Dann brach der erste Weltkrieg aus. Putzi wurde in den vornehmen New Yorker Clubs geschnitten, weil er Deutscher war. Schlimmer noch: Er wurde als feindlicher Ausländer eingestuft, das Inventar der Kunsthandlung wurde beschlagnahmt und zu Schleuderpreisen versteigert.

Dadurch wurde der Freigeist, der immerhin mit Djuna Barnes (!) liiert war, zum Nationalisten. Als er nach dem Krieg in seine Heimat zurückkehrte, fand er ein demoralisiertes Deutschland vor. Dann hörte er Hitler reden - und wurde sofort süchtig. Nicht nur das, die beiden Männer wurden Freunde - sofern Hitler zu Freundschaften fähig war.

Putzi übernahm die Rolle eines Mentors in Sachen Manieren. Der spätere «Führer» wusste nämlich nicht, was ein Fischmesser ist, oder wie man eine Artischocke isst. Auch seine Umgangsformen und vor allem seine Garderobe ließen zu wünschen übrig. Putzi führte ihn in die feine Gesellschaft ein und machte ihm mit Geldgebern bekannt, zu denen er allerdings auch selber zählte: Er kaufte seinem Freund eine Druckmaschine für den «Völkischen Beobachter».

Seine Haupt- und Paraderolle war jedoch die als «Hitlers Klavierspieler», so der Titel der Hanfstaengl-Biografie von Peter Conradi, welche mehr journalistisch als wissenschaftlich geschrieben ist - also dem schillernden Sujet stilistisch angemessen. Hitler bestellte Putzi zu seinem Auslandspressechef. Dieser hätte sich vielleicht eine steilere Karriere gewünscht. Die beiden Freunde entfremdeten sich. Je mehr Macht Hitler in die Hände bekam, desto weniger wollte er auf seinen früheren Berater hören.

Putzi hatte sich - wie auch die Politiker Hindenburg, Schleicher und Papen - der Illusion hingegeben, Hitler könne in seiner Radikalität gemäßigt, sozusagen gezähmt werden. Er hatte seinen Einfluss überschätzt. Und den anderen Nazis war der allzu liberale, allzu weltläufige, allzu modisch gekleidete Putzi ohnehin ein Dorn im Auge. Die Intrigen gediehen so weit, dass Ernst Hanfstaengl entsetzt feststellen musste, dass man ihn nicht nur kaltstellen wollte, sondern ihm nach dem Leben trachtete. In letzter Minute setzte er sich nach England ab.

Doch die Briten empfingen ihn keineswegs mit offenen Armen - sie internierten ihn. Er war für sie ein zweiter Rudolf Heß. Während jener immerhin den Vorteil einer komfortablen Einzelhaft hatte, wurde Putzi in ein Lager gesperrt. Dort hatten die Engländer, offensichtlich absichtlich, deutsche Antifaschisten, deutsche Nazis und deutsche Juden zusammengepfercht. Schließlich wurde Putzi nach Kanada deportiert.

Aus dem dortigen Lager holte ihn der amerikanische Geheimdienst heraus, er «stahl» ihn sozusagen den Briten, die seinen Wert nicht erkannt hatten und Jahre lang vergeblich protestierten. Ohne Franklin D. Roosevelt, mit dem zusammen er in Harvard studiert hatte, noch einmal persönlich zu treffen (das wäre zu heikel gewesen), stieg er zum Berater der amerikanischen Präsidenten auf - dabei stets im Verdacht, vielleicht doch ein deutscher Spion zu sein.

Den Militärs jedenfalls war es höchst verdächtig, dass Putzi darauf hinwies, eine Invasion solle zunächst nicht an den Küsten Europas, sondern in Nordafrika erfolgen. Dass Putzi durch «einmal scharf nachdenken» den militärischen «Masterplan» erraten hatte, ging über das Begriffsvermögen der Generale.

Nach dem Krieg wurde es still um Putzi, seine Autobiografie «Zwischen weißem und braunem Haus» blieb unbeachtet, er starb hochbetagt in den Siebzigern. Putzi hatte ein romanhaftes Leben geführt, dem die romanhafte Biografie entspricht. Er hatte nie in ein Klischee gepasst, am wenigsten in das vom dumpfen und fanatischen Nazi, dem jegliche geistige Weite fehlt.

Dabei war er zeitlebens Antisemit und Rassist, was sich unter anderem darin zeigte, dass er, als Berater im privilegierten Hausarrest, den sich die USA einiges kosten ließen, sein Essen nicht anrühren wollte, weil es ein Schwarzer zubereitet und gebracht hatte. Doch im Amerika der vierziger Jahre fiel eine solche Haltung nicht weiter auf, der schwarze Sergeant wurde über Nacht ersetzt.

Es gibt Geheimnisse des Dritten Reiches, die wohl nie mehr aufgedeckt werden können. Im Vordergrund stehen zwei Fragen: War Hitler schwul, zumindest von der Veranlagung her? Und: Wie stark war der Einfluss von Esoterik und Okkultismus auf die Nazi-Elite?

Zur Frage der Homosexualität Hitlers galt Putzi als «Fachmann». Bei einem früheren England-Besuch hatte der «Daily Telegraph» getitelt: «Hitler’s Putzy is here». Der Gleichklang zu «Hitler’s Pussy» war zweifellos beabsichtigt. Gegen solche Unterstellungen ging Putzi, auch und gerade nach dem Krieg, gerichtlich (und vergeblich) vor. Mochte er in seiner New Yorker Zeit die Schwulenszene kennen gelernt haben, als «Hitler’s boyfriend», so hatte ihn ein amerikanisches Magazin tituliert, wollte er auf keinen Fall dastehen.

Was lief zwischen Adolf und Rudolf?

Vielmehr hatte er sich seinerzeit Sorgen um eine zu enge Beziehung zwischen Adolf und Rudolf gemacht. Denn Rudolf Heß hieß, das wollte der sowjetische Geheimdienst herausgefunden haben, in den einschlägigen Berliner Kreisen «die schwarze Berta» (nicht «Anna», wie Conradi schreibt). Doch nicht Homosexualität war laut Hanfstaengl Hitlers Geheimnis - sondern Impotenz.

Zur Frage der okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus gibt es von Conradi eine Notiz, deren Bedeutung ihm selbst entgangen ist: Zu Putzis Freunden in New York zählten auch der Esoteriker Hanns Heinz Ewers und der Satanist Aleister Crowley. . . Magnus Zawodsky

Peter Conradi: Hitlers Klavierspieler - Ernst Hanfstaengl. Scherz Verlag, 448 Seiten, 19,90 Euro

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