Gegen den sozialen Kahlschlag

4.1.2005, 00:00 Uhr
Gegen den sozialen Kahlschlag

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„Trotz hohen Andrangs bei der Arbeitsagentur und beim Sozialamt ist der Start von Hartz IV gelungen, konnten alle Anträge auf Arbeitslosengeld II bearbeitet werden“, teilte Agenturchef Peter Wülk am Abend mit.

Mit Transparenten, Flugblättern, Info-Ständen, Reden und kabarettistischen Beiträgen, in denen der Abbau der sozialen Rechte von Arbeitnehmern und Erwerbslosen skizziert wurde, prangerten die Demonstranten unter dem Motto „Agenturschluss“ den Sozialkahlschlag an und forderten die Rücknahme der Agenda 2010. Manchem blieb ob der sarkastischen Darstellung das Lachen im Hals stecken. 150 Personen hielten von acht Uhr bis zur Mittagszeit trotz Kälte auf dem Richard-Wagner-Platz aus. Ungewohnt war das massive Polizeiaufgebot vor der Agentur; seitens des Veranstalters Sozialforum Nürnberg wurden „massiver Einsatz und Einschüchterung“ kritisiert. Zusätzlich war privates Wachpersonal engagiert.

„Die machen auch nur ihren Dienst“

Im Haus selbst war nach Dienstbeginn zunächst Verunsicherung spürbar. Vereinzelter, auch lautstarker, Unmut konnte von besonnen reagierenden Agentur-Mitarbeitern ausgeräumt werden. „Die machen auch nur ihren Dienst“, war denn auch vereinzelt aus den Reihen der Leistungsempfänger zu hören, „nur krieg‘n die für die Arbeit was zahlt“.

In Nürnberg waren Ende 2004 17 028 Arbeitslosenhilfeempfänger registriert, 15 329 Anträge davon gelten als „erledigt“ (bewilligt, abgelehnt, anderweitig erledigt z. B. durch Aufstockung oder fehlende Antragstellung), worunter sich auch 10 134 normal bewilligte Fälle befinden. Im Agenturbereich (mit Erlangen, Fürth, Schwabach, Lauf) gab es 444 Widersprüche.

An den Info-Schaltern im Foyer wurden die „Kunden“ gleich zu den Bearbeitungsbüros dirigiert. Dort war die berühmte Reihennummer zu ziehen. „Für Notfälle haben wir eine Task Force eingerichtet“, sagte Agenturchef Peter Wülk. Einige Sozialhilfeempfänger kritisierten lautstark, einen falschen Bescheid erhalten zu haben, weshalb sie erst zum Sozialamt mussten. „Wir sind doch keine Ping-Pong-Bälle“, schimpfte ein Betroffener, der das „Antragsgetue“ ohnehin nicht verstand: „Beide Behörden haben unsere Daten bis zur Schuhgröße. Warum ist es dann im EDV-Zeitalter nicht möglich, die einfach zu vernetzen?“ Diese Ungereimtheiten wurden auf das noch nicht ganz reibungslose Kooperieren der Arbeitsgemeinschaft Arbeits-Agentur/städtisches Sozialamt (ARGE) zurückgeführt.

Auch die Computerpanne schlug sich nieder: Wer gestern noch kein Arbeitslosengeld II erhalten hatte, bekam über das Sozialamt bzw. die bisher zuständige Arbeitsagentur eine Abschlagszahlung; in der Agentur gab es gestern 69 Barauszahlungen. Dabei liegt jeder Fall anders. Ein älterer Mann klagte, er gelte als erwerbsunfähig gilt und werde zwischen Arbeitsagentur und Sozialbehörde „hin- und hergeschubst“ werde. Eine Frau war ratlos, weil sie nur die Hälfte ihres Geldes überwiesen bekam. „Wo krieg ich jetzt die andere her? Miete und Versicherungen warten nicht!“ ks

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