Kommentar: Das Dschungelcamp ist aus – und wir leben noch!

2.2.2014, 16:51 Uhr
Eine ernste Sache: Die Dschungelkönigin von RTLs Gnaden heißt Melanie Müller. Alle Infos zu 'Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!' im Special bei  RTL.de.

© RTL Eine ernste Sache: Die Dschungelkönigin von RTLs Gnaden heißt Melanie Müller. Alle Infos zu 'Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!' im Special bei RTL.de.

"Ich bin ein Star, holt mich hier raus" ist aus. Und siehe da: Das Abendland ist nicht untergegangen, die Große Koalition ist nicht zerbrochen, die deutsche Wirtschaft steht gut da, das Fernsehen bietet geistreiche Alternativen zum Straußen-Anus und das Feuilleton leitkulturt in bester "Dichter und Denker"-Manier weiter. Als hätte es die 16 Tage des medial-öffentlichen Ausnahmezustandes nicht gegeben.

Printmedien mit dem Anspruch, anspruchsvoll zu sein, sahen sich in der prekären Lage, über ein Thema zu berichten, das schon wegen seiner Reichweite (allein das Dschungel-Staffelfinale verfolgten 8,6 Millionen Menschen) relevant war – und sich wiederum durch eben jene Berichterstattung von der wütenden und natürlich berechtigten Kommentarkeule ihrer Leserschaft vermöbeln zu lassen. Gleiches galt für die "Neuen Medien" und die klar unterlegene TV-Konkurrenz (Was war nochmal "Wetten, dass...?" ?).

Indes: Hier zeigt sich die Janusköpfigkeit der Deutschen, wenn es um ihr deutsches Fernsehen geht. Einerseits will man protektionistischer Verweser würdevoller Investigativ-Formate a la "Monitor", "Report Mainz" oder "Frontal" sein und ihr Andenken in Ehren halten. Andererseits beschert man dem Dschungelcamp Traumquoten, die eben nicht ausschließlich mit Schlagwörtern wie "Unterschichten-TV" erklärt werden können. Sie würden es niemals zugeben, aber auch die Anspruchsvollen schauen hin und wieder heimlich RTL. Um am Ball zu bleiben. Aber auch, weil es interessiert. Schaulustigkeit ist ein menschlicher Reflex, so vegetativ wie das Blinzeln.

Selbstdarsteller statt Laiendarsteller

Dabei wird gerne übersehen, wie liebevoll und professionell "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" produziert ist. Die MAZen sind in Sachen Kreativität und Schnitttechnik Lehrstücke moderner Fernsehunterhaltung, die Musikeinspieler superb ausgewählt, die treffsichere Moderation von Sonja Zietlow und dem würdigen Dirk-Bach-Nachfolger Daniel Hartwich punktet mit einer gehörigen Portion Selbstironie – mehr noch: Die sarkastisch-giftigen Kommentare des Duos haben bisweilen mehr subversive Sprengkraft als alle "Satire Gipfel" der Öffentlich-Rechtlichen zusammen. Vorgeführt werden die "Stars" dabei nie, handelt es sich doch durchweg um Selbstdarsteller, die mit beträchtlicher Gage im Rücken, freiwillig und willig den australischen Busch bewohnen.

Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied zur aggressiven Erniedrigung und Bloßstellung von "Promis" oder augenscheinlich hilflosen Otto-Normal-Kandidaten in anderen Reality-Formaten wie "Bauer sucht Frau", "Schwiegertochter gesucht", "Frauentausch", "Die Alm", "Big Brother" oder "The Biggest Loser". Solche billig produzierten Sendungen bauen ausschließlich auf der Vorführung gebrochener oder geistig und sozial benachteiligter Menschen auf, während im Hintergrund eine "Best of Abba"-Platte oder die immergleichen Uralt-Schlager laufen.

Blick in die Röhre vs. Blick in die Welt

Aber ja, es gibt sie auch im Dschungel zuhauf, jene Momente, in denen etwas im Intellekt des intellektuellen Zuschauers stirbt: Wenn sich zähflüssiger Schleim aus Fischabfällen und Kotzfrüchten über die Häupter der Kandidaten ergießt oder sich das Kauen enormer Ziegenhoden zur langwierigen Tortur gestaltet – dann fehlen RTL nach zehn Jahren Dschungel neue, zündende Ideen, dann fragt man sich: Was mache ich eigentlich hier? In Afrika verhungern Menschen, in Syrien werden sie dahingemetzelt und in Nordkorea existieren ihre fundamentalsten Rechte nicht einmal auf dem Papier. Währenddessen schaue ich mir diesen Dschungel-Scheiß an.

Doch gerade da liegt der Knackpunkt: Auch nach Sichtung einer preisgekrönten 3Sat-Dokumentation über die verheerenden Folgen der Globalisierung für peruanische Minenarbeiter werden Hunger, Folter, Unterdrückung und Apathie in der Welt nicht aufhören. Mit dem Blick in die Röhre (bzw. auf den LCD-Bildschirm) ändert sich partout nichts. Nur der Gang auf die Straße, zur Wahlurne oder gleich in ein betroffenes Land vermag das bisweilen. Fernsehen hat mitunter die Ambition einer Informationsquelle, dient zuletzt aber vor allem der Zerstreuung und Unterhaltung.

Roger Willemsen hat diesen Umstand in einem Gastbeitrag für die SZ glänzend formuliert: "Ursula von der Leyen in einem Raumfahrtanzug Minigolf spielen zu sehen, das ist der öffentlich-rechtliche Emu-Anus. Er stinkt schon aus einem Grund: weil er so einfallslos inszeniert, so lieblos produziert, so herablassend kalkuliert ist und vom dümmsten gemeinsamen Nenner ausgeht."

Fazit: Das Dschungelcamp ist und bleibt TV-Trash. Aber feinster Sorte.

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