Zschäpe könnte Briefadressat schon länger kennen

16.6.2013, 18:56 Uhr
Zschäpe könnte Briefadressat schon länger kennen

©  Peter Kneffel (dpa)

Vor Gericht hat Beate Zschäpe bislang noch kein einziges Wort gesagt. Nicht einmal die Frage nach den Personalien wollte sie selbst beantworten. Doch nun ist ein Brief aufgetaucht, den die Hauptangeklagte des Münchner NSU-Prozesses geschrieben hat.

Die 26 Seiten geben einen ersten Einblick in ihre Gedankenwelt. Adressat ist Robin S., der früher in der Dortmunder Neonazi-Szene aktiv war und nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ seit 2007 eine Haftstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung in Bielefeld absitzt. Beim Überfall auf einen Lebensmittelmarkt hatte er viermal auf einen gebürtigen Tunesier geschossen. Den auf Anfang März datierten Brief leiteten die Behörden aus Nordrhein-Westfalen an die Bundesanwaltschaft weiter.

Besonders interessant: Zschäpe schreibt zwar an mehreren Stellen, dass sie Robin S. erst seit zwei Monaten kenne, und das auch nur schriftlich - nach einem Schreiben des NRW-Innenministeriums könnte der „außergewöhnliche“ Briefverkehr jedoch Anzeichen dafür geben, dass sich die beiden in Wirklichkeit schon länger kennen. Das könnte von Bedeutung sein, da die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) laut Anklage auch einen Mord in Dortmund begangen haben:

Am 4. April 2006 erschossen sie den 39-Jährigen Mehmet Kubasik in seinem Kiosk. „Das könnte eine Spur sein. Es lohnt sich auf jeden Fall, das zu überprüfen“, sagt die Nebenklage-Anwältin Angelika Lex.

Zschäpe malte Comicfiguren auf den Brief

Vor allem aber gewährt der stellenweise mit selbstgemalten Comicfiguren illustrierte Brief erstmals einem Blick in die Vorstellungswelt der 38-Jährigen. Zschäpe schreibt, die Ärztin im Gefängnis habe ihr Schlafmittel und Antidepressiva angeboten - obwohl sie keine Anzeichen von Depression gezeigt habe. Kurz darauf berichtet sie aber von einer permanenten inneren Unruhe, die in ihr herrsche.

An einigen Stellen scheint durch, dass Zschäpe durchaus energisch sein kann: Eine „dreiste Person“ habe es gewagt, sie darum zu bitten, etwas von den Pillen abzugeben, schreibt Zschäpe - das habe die Bittstellerin aber kein zweites Mal getan. Schließlich sei sie, Zschäpe, gegen illegalen Drogenkonsum.

Selbstmitleid zeigt sie durchaus, kritische Selbstreflexion eher nicht. Sie beklagt sich über die angebliche Vorverurteilung durch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und zweifelt, ob sie eine Chance auf einen fairen Prozess habe. Im Justizvollzug sei jeder ein Einzelkämpfer, ihr Überlebensinstinkt sei in ständiger Alarmbereitschaft.

Staatsanwaltschaft, Polizei und Politiker würden sich ein Lebensgeständnis von ihr wünschen, schreibt Zschäpe - es klingt nicht so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. Seitenlang flirtet Zschäpe mit ihrem Brieffreund, über Politik schreibt sie nur in Andeutungen. Teilweise habe sie Post bekommen mit abstrusen politischen Parolen - peinliche Schulterschlüsse, wie sie schreibt, für Dinge, in denen sie sich nicht wiederfinde. Und Anmachsprüche mancher „Südländer“ seien für sie das Hinterletzte.

Nebenklägerin spricht von "Seelenstriptease"

Auch über Kindheitserinnerungen schreibt Zschäpe - wie sie einmal beim Essen im Kindergarten allein an den „Katzentisch“ versetzt wurde, nachdem sie vorher am Vierertisch sämtliche Schnitzel für sich markiert hatte. Schon damals sei sie ungerechtfertigt bestraft und einzeln gehalten worden. Ihr Leben sei eine Reise durch den Wahnsinn, durch Licht und Dunkelheit.

„Es überrascht, dass die ansonsten schweigende Angeklagte in einem ausführlichen Brief einen derartigen Seelenstriptease betreibt“, sagt Nebenklage-Anwalt Jens Rabe, der mit seinem Kollegen Stephan Lucas Angehörige des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek vertritt. „Wie konnte dieser Brief aus der JVA gelangen, ohne als mögliches Beweismittel angehalten und beschlagnahmt zu werden?“, fragt Lucas.

Opferanwältin Lex sagt, sie könne sich vorstellen, die Verlesung des Briefs zu fordern oder den Empfänger als Zeugen zu vernehmen. Man sei beschränkt darauf, zwischen den Zeilen zu lesen, schreibt Zschäpe an einer Stelle. So lange sie nicht redet, wird genau das mit ihrem Brief geschehen.

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