Interview zum Tag des Brotes

3200 Sorten: "Wir stehen für Vielfalt"

16.10.2021, 06:00 Uhr
Deutschland und Brot, das gehört einfach zusammen. Über 3200 Sorten sind alleine im deutschen Brotregister gelistet.

© Martin Schutt/dpa Deutschland und Brot, das gehört einfach zusammen. Über 3200 Sorten sind alleine im deutschen Brotregister gelistet.

Herr Distler, das Lebensmittelhandwerk klagt über eklatanten Nachwuchsmangel. Wer wird in, sagen wir mal, 20 Jahren mein Brot backen?

Gerd Distler: Ich vielleicht nicht mehr, ich bin ja dann schon 70. Aber ich bin optimistisch, dass mein Junior bei der Stange bleibt. Bäcker ist und bleibt ein wunderschöner Beruf.

Wird es dann auch noch den Bäcker um die Ecke geben? Oder werden wir uns unser Brot in der Regel aus dem Supermarkt holen?

Ich hoffe, ja, ich glaube, dass in Deutschland das klassische Bäckerhandwerk nicht aussterben wird. Weil wir einfach mehr bieten als der Discounter: regionale Produkte, große Transparenz, Nähe zu unseren Kunden. Viele Menschen schätzen das nach wie vor.

Doch die Konkurrenz ist groß.

Bäckermeister und Brotsommelier: Gerd Distler

Bäckermeister und Brotsommelier: Gerd Distler © Manuel Mauer, NN

Ja, ist sie. Heute wird in Deutschland 60 Prozent des Brotes in Supermärkten und Discountern verkauft. 40 Prozent bei uns Bäckern im Laden. Ich muss zugeben: Die Discounter haben aufgeholt, und sie haben vor allem in der Präsentation dazugelernt. Das ist eine Herausforderung für uns.

Einer Herausforderung, der sich immer weniger stellen mögen, sagt mein Gefühl.

Das Gefühl stimmt schon. In Schwabach hatten wir nach dem Krieg 39 Bäckereien. Heute sind es noch drei, die vor Ort backen: Die Schleckerei, die Bäckerei Sprossmann und meine Wenigkeit. Dazu kommen Filialen von einigen Kollegen. Und es gibt den Kollegen Klaus Karg, der aber nur Knäckebrot produziert, das aber dafür weltweit mit großem Erfolg vermarktet. Das ist nochmal eine ganz andere Nummer.

Drei von 39. Steht das Bäckerhandwerk in Schwabach, einer 41000-Einwohner-Stadt, vor dem Aus?

Das ist ja noch nicht alles. In der Innung, die ja bis nach Treuchtlingen und Pappenheim reicht, sind noch 40 Betriebe organisiert. Die haben in diesem Ausbildungsjahr genau zehn Bäcker- und acht Bäckereifachverkäuferinnen-Azubis gefunden. So wird unser Handwerk auf Dauer natürlich nicht überleben. Zumindest nicht als Handwerk mit dieser enormen Vielfalt.

Bleiben wir doch bei der Vielfalt. Warum gibt es gerade in Deutschland beziehungsweise im deutschsprachigen Raum solch eine unglaubliche Vielfalt an Brotsorten?

Das hängt mit den sehr kleinräumigen Strukturen im Mittelalter zusammen. Im Norden etablierten sich Rogenbrote, weil auf den dortigen kargen Böden der Roggen sehr gut gedeiht. Im Süden setzten sich eher die Weizenbrote durch, auf der schwäbischen Alb die Dinkelbrote. Früher gingen nicht nur die Zimmerer und Maurer auf die Walz, sondern nach ihrer Ausbildung auch die Bäckergesellen. So kamen viele neue Brotsorten in neue Landstriche.

Wie viele Brotsorten gibt es denn im Land?

Die kann man vermutlich gar nicht zählen. Es ist ja ein laufender Prozess, weil wir Bäcker immer am Experimentieren sind, immer mal etwas Neues ausprobieren. Derzeit sind im deutschen Brotregister etwa 3200 verschiedene Brotsorten gelistet. Aber die Vielfalt ist noch viel größer.

Weil?

Ich sehe das an mir. Zwei meiner Brotsorten, das Schwabachtaler und die "Alte Liebe", sind im Brotregister gelistet. Alleine in unserer Backstube werden aber 14 verschiedene Sorten gebacken.

Und wann kommt die 15.?

Es kommt immer mal wieder eine Neue hinzu. Dafür müssen dann andere eine Pause einlegen. Mit 14 unterschiedlichen Sorten sind wir an der Kapazitätsgrenze.

Sie sind nicht nur Bäckermeister, Sie sind seit fünf Jahren auch einer von inzwischen 142 deutschen Brotsommeliers. Ist das tatsächlich eine Weiterbildung oder doch nur ein Vehikel, das gut fürs Marketing ist?

Klar geht es auch ums Vermarkten. Aber es ist schon noch mal etwas, das auf den Meisterbrief draufsattelt. Es geht da um Sensorik und Haptik, um Dinge, um die man sich als normaler Bäcker nicht so kümmert. Die Fortbildung an der Bundesakademie des Bäckerhandwerks in Weinheim hat mich am Ende auch als Bäcker weitergebracht.

Warum wurde gerade der 16. Oktober zum Welttag des Brotes?

Am 16. Oktober 1945 wurde die Welternährungsorganisation der vereinten Nationen gegründet. Seit 2006 erinnern wir daran mit dem Welttag des Brotes. Denn Brot ist nun mal in den meisten Teilen der Welt das wichtigste Grundnahrungsmittel - neben dem Wasser.

Wer in Italien oder Frankreich oder vor allem in Übersee auf der Suche nach deutschem Schwarzbrot ist, der tut sich schwer. In deutschen Bäckereien gibt es dagegen italienisches Ciabatta und französisches Baguette wie selbstverständlich. Woran liegt´s?

Weil die Verbraucher bei uns aufgeschlossen sind - und weit wir Bäcker neugierig sind. Als ich früher mit meinen Eltern im Italien-Urlaub war, da war es für mich das Größte, wenn ich mit meinem Vater die Gelegenheit bekam, einmal einen Blick in die dortigen Backstuben zu werfen. Ich mache das noch heute leidenschaftlich gerne. Austausch und Vielfalt bringt uns weiter.

Sie haben vorhin gesagt, dass es in Schwabach nur noch drei klassische Bäcker gibt. Wie viele sind es denn insgesamt im Land?

In den 1950-er-Jahren gab es in Deutschland über 55000 Bäckereien. Vergangenes Jahr waren noch genau 10181 übrig. Aber das Netz ist trotzdem noch dicht geknüpft. Denn die gut 10000 Betriebe haben rund 46000 Verkaufsstellen. Eine Viertelmillion Bäcker und Bäckerinnen, Konditore und Konditorinnen sowie Verkäuferinnen und Verkäufer stehen bei uns in Lohn und - buchstäblich - Brot. Wir sind schon ein Wirtschaftszweig mit einer gewissen Marktmacht.

Trotzdem schauen viele Verbraucher auf den Preis - und greifen dann lieber zum Mischbrot vom Discounter.

Ich will das nicht kritisieren. Ich halte aber ein paar Punkte entgegen. Für die Supermärkte und die Discounter werden die halb gebackenen Produkte oder die gefrorenen Teiglinge quer durch Deutschland, manchmal quer durch Europa gefahren. Das ist eine Öko-Bilanz zum Fürchten. Ich dagegen kaufe all meine Zutaten schon immer regional, mein Mehl zum Beispiel schon immer in Kottensdorf. Wir produzieren also aus der Region für die Region.

Und zweitens: Ja, das Brot beim Bäcker ist teurer als das bei Aldi. Aber es schmeckt eben auch noch nach einem oder zwei Tagen. Außerdem, und das sage ich jetzt ganz selbstbewusst: Brot ist trotzdem ein sehr günstiges Lebensmittel und unser günstigstes Genussmittel. Mit einem Zweipfünder bekomme ich am Abend eine vierköpfige Familie satt.

Die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren?

Ganz klar, die Gewinnung von Nachwuchs. Ich weiß, dass Kollegen inzwischen experimentieren mit neuen Formen der Kühlung, damit ein Teil der Bäcker nicht schon um 2.30 Uhr wie bei uns, sondern vielleicht erst um 5 Uhr beginnen muss. Es ist eine spannende Zeit. Letztlich ist es aber immer so, dass der frische Teig eine mehrstündige Ruhezeit benötigt, ehe er in den Ofen kommt. Der Kunde erwartet, dass bei Ladenöffnung um 6 Uhr das volle Sortiment zur Verfügung steht. Das gibt nun einmal den sehr, sehr frühen Arbeitsbeginn vor.

Und trotzdem sind Sie optimistisch?

Ja, ich brenne für den Beruf und die allermeisten meiner Kolleginnen und Kollegen auch. Wir werden weiter die Augen offen halten und Neuem aufgeschlossen sein. Wir werden gut sein und immer noch besser werden müssen. Wir werden authentisch sein müssen. Wenn uns all das gelingt, ist mir um die Zukunft nicht bange. Schwarzmalen sollen andere.

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