Adelsdorf: Kindergarten setzt auch bei Betreuern auf Inklusion

18.3.2017, 08:07 Uhr
Adelsdorf: Kindergarten setzt auch bei Betreuern auf Inklusion

© Foto: Villa Regenbogen

Bär Balu hängt mit seinem Fell im Wasserfall fest. Also: Fabian, der den Bären spielt, hat sich in einem Streifen Krepppapier verfangen, das als Wasserfall von einem Sperrholzgestell herunterhängt. Die Kulisse für das Dschungelbuch-Theaterstück wackelt und droht umzufallen. Meike Reichow hat die Gefahr erkannt, steht flugs von ihrer Zuschauerbank auf und trennt Bärenfell und Krepp voneinander. Die Kinder aus der Eulengruppe können mit ihrer Probe ohne Unterbrechung weitermachen.

Meike Reichow ist 20 Jahre alt, wurde mit einer geistigen Behinderung geboren, hat weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung geschafft — aber arbeitet seit Mai in der Villa Regenbogen in Adelsdorf. Und das klappt prima. "Sie ist hilfsbereit, liebenswert und immer zur Stelle, wenn man sie braucht", sagt Erzieherin Stephanie Kretschmann, die stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätte.

Hinter jedem Punkt ein Haken

"Die Kolleginnen sind sehr nett", gibt Meike Reichow das Lob zurück. "Sie erklären mir alles ganz gut", sagt sie und holt ihre Aufgabenliste aus der Tasche, um zu zeigen, was sie zwischen 8.15 und 14.45 Uhr so alles zu tun hat: Abspülen zum Beispiel, Obstteller für die Kinder vorbereiten oder Betten überziehen. Hinter jedem Punkt muss am Ende des Arbeitstages ein Haken gesetzt sein. Mit den Kindern spielen steht nicht drauf. "Das ist doch zwischendurch", sagt die 20-Jährige und lacht.

Ihren Traumjob hat Meike Reichow – damals noch Schülerin einer Fördereinrichtung – über ein Praktikum gefunden. Es war nicht ihr erstes, aber ihr schönstes. Unterstützt wurde sie dabei von "Access", einem privaten Fachdienst, der sich darum kümmert, die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Das kurze Praktikum in der Villa Regenbogen lief so gut, dass daraus ein Langzeitpraktikum wurde. Und danach wiederum entschied sich die Gemeinde Adelsdorf als Träger der Kita, für Meike Reichow eine Stelle zu schaffen. Seit Mai 2016 hat sie nun einen festen Arbeitsvertrag, der zwei Jahre läuft. Statt den Erzieherinnen schnibbelt jetzt die 20-Jährige das Gemüse und hält die Küche in Ordnung. Kaum sind die Kinder mit dem Frühstück fertig, wäscht sie auch schon Teller und Besteck ab und räumt alles sorgfältig wieder ein. "Das entlastet uns Erzieherinnen", sagt Kita-Leiterin Marina Fleischmann, "damit haben wir mehr Zeit für die Kinder."

Jeden Tag ist Meike Reichow einer anderen Gruppe zugeordnet, hilft also mal im Eulennest, mal auf der Schmetterlingswiese.. "Wir haben genau fünf Gruppen, das passt gut", sagt sie. Der stete Wechsel gefällt ihr. Auch, weil sie die großen Gruppen mit mehr Kindern und damit einem höheren Geräuschpegel mehr anstrengen. "Da halte ich mir manchmal die Ohren zu", erzählt sie und lacht schon wieder.

Eigentlich ist die junge Frau mit der modernen schwarz-pinken Kunststoffbrille eher schüchtern und zurückhaltend. Aber in der Kita ist sie aufgeblüht; hat Selbstbewusstsein getankt. "Bei uns ist Raum dafür, dass sich ein Mensch nach seinem Tempo entwickeln kann", sagt die Leiterin.

Die Integrationsbegleitung von "Access" bleibt aber weiter im Spiel: Jobcoach Nancy Meinel steht dem Kita-Team zur Seite und hat geholfen, Strukturen zu schaffen, in denen die geistig Behinderte weitgehend selbstständig arbeiten kann.

Die Mutter ist froh

Wenn die hauswirtschaftlichen Pflichten abgehakt sind, hilft Meike Reichow bei der Kinderbetreuung; beim Schuhebinden zum Beispiel, beim Jackeanziehen oder eben bei kleinen Zwischenfällen während der Theaterprobe. Auch das Spielen mit den Kindern macht ihr großen Spaß. Und das Vorlesen.

Die junge Frau wohnt noch bei ihrer Mutter in Hemhofen. Zur Arbeit kommt sie Tag für Tag selbstständig mit dem Bus. "Meine Mutter ist sehr, sehr froh, dass ich die Arbeit habe", erklärt sie. Die Kinder hatten von Anfang an keinerlei Berührungsängste mit ihr. "Sie sind es gewohnt, dass Meike manche Sachen mitmacht und manche eben nicht", sagt Marina Fleischmann. Und ergänzt: "Durch Meike hat unser Team wieder mehr gelernt, spezielle Dinge nachzufragen oder bestimmte Sachen klarer zu formulieren."

Keine Kommentare