Alles auf Zucker: Die süßeste Planwirtschaft der Welt

3.6.2012, 16:00 Uhr
Alles auf Zucker: Die süßeste Planwirtschaft der Welt

© Johnston

Herbert Mederer ist sauer. Zwar läuft das Geschäft mit den Apfelringen, den süßen Draculagebissen und den Schaumerdbeeren aus dem Hause Trolli gut. Doch trotz steigender Umsätze geht der Gewinn zurück, muss die Produktion am Standort Fürth schließen. Ein Grund: der Zuckerpreis. 60 Prozent mehr als im Vorjahr musste der Trolli-Chef 2011 bezahlen, einen Aufschlaf von weiteren fünf Prozent verlangte sein Zuckerhändler in diesem Jahr. Bei einem Jahresverbrauch von 20000 Tonnen ein stattliches Sümmchen.

Ein süßes Leben haben dagegen die Zuckerhersteller. Gerade erst hat die Südzucker AG, die gut 24 Prozent des europäischen Marktes und noch mehr des deutschen beherrscht, ein Rekordergebnis präsentiert. Im vergangenen Geschäftsjahr konnten die Mannheimer ihren Umsatz um 14 Prozent auf sieben Milliarden Euro steigern. Hauptgrund für den Erfolg ist nicht ein besonders gewieftes Management — sondern die europäische Zuckermarktordnung. Sie verknappt Zucker. Und macht ihn so zum begehrten und teuren Gut.

Bis zum Jahr 2006 hatte die EU nahezu keinen Zucker vom Weltmarkt in ihre Länder rieseln lassen, ausschließlich heimische Rübenbauern sollten den Hunger der Europäer stillen. Der Vorteil: Die Bauern sicherten durch feste Abnahmepreise ihr Auskommen und Hausfrau und Eismacher konnten stets sicher sein, genug Zucker im Regal zu finden.

Schutzwall um eigene Vorräte

Diese Angst um die Versorgung der Bevölkerung hat Tradition, erklärt Stefan Uhlenbrock vom Analysehaus F.O. Licht. Schließlich sei Zucker von jeher die billigste Quelle für Kalorien, sie konnte überlebenswichtig sein. Allerdings: Für Industrieländer sei eine solche Regelung nicht mehr zeitgemäß. Zumal sie in Europa besondere Blüten trieb: Denn hinter dem Schutzwall, wo Zuckerproduzenten sich nicht um Dürren in Thailand oder Spitzenernten in Brasilien scheren mussten, zahlten Verbraucher mitunter dreimal so viel für Zucker, wie auf dem Weltmarkt.

„Die Zuckermarktordnung ist eine Lizenz zum Gelddrucken“, sagt Prof. Franz Mühlbauer von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. „Sie war es damals wie heute. Denn auch nach der Reform funktioniert dieser Markt in einmaliger Weise nahezu unabhängig von Angebot und Nachfrage.“ Die Gekniffenen seien nach wie vor die Industrie, die den Zucker verarbeitet, und die Verbraucher, auf die die Preissprünge zum Teil umgelegt würden.

Besagte Reform in Gang gebracht haben allerdings nicht die Kunden, die laut einer Berechnung des Europäischen Rechnungshofs durch die Abschottung vom Weltmarkt jährlich über sechs Mrd. € zu viel zahlten. Es war die Welthandelsorganisation (WTO), die forderte, dass Europa seinen Markt zumindest für Entwicklungsländer öffnet. Die seien darauf angewiesen, auch dorthin zu liefern.

„Amtlich abgesegnetes Kartell“

Brüssel reagierte — und lockerte das Quotensystem im Jahr 2006. Heute könnten heimische Zuckerproduzenten zwar immer noch 100 Prozent des EU-Marktes abdecken — allerdings gesteht ihnen die Verordnung nur 85 Prozent zu. Heißt: Sie produzieren zwar genug, vergären aber fast allen Zucker, der über der Quote liegt, zu Ethanol oder verwenden ihn in der chemischen Industrie. Was in den Töpfen Europas fehlt, wird dann von den Entwicklungsländern aufgefüllt.

Theoretisch. Denn nicht auf der Rechnung hatten die Bürokraten, dass der Hunger der Schwellenländer die Nachfrage und damit den Preis auf dem Weltmarkt in die Höhe treiben würde. Plötzlich war es für die ärmsten Länder nicht mehr lukrativ, in die EU zu liefern. Das führt heute zu der paradoxen Situation, dass unser Zucker knapp ist — weil Europas

Produzenten wegen der 85-Prozent-Regelung die Lücken nicht füllen dürfen.

Für Agrarfachmann Mühlbauer ist die Quotenregelung „ein amtlich abgesegnetes Kartell“, das abgeschafft gehört. Er fordert: Keine Quoten, keine Zollschranken, ausschließlich das Spiel von Angebot und Nachfrage. Nur so sei der Preis Ausdruck des Marktes und nicht von Willkür. Allerdings bezweifelt er, dass sich die hiesige Produktion nach 2015, wenn die Verordnung das nächste Mal auf den Prüfstand kommt, wirklich der Konkurrenz aus Brasilien, Thailand oder Indien stellen muss. „Dafür ist die Landwirtschaftslobby zu mächtig.“

Dass die sich in Brüssel bislang erfolgreich Gehör verschafft, findet Klaus Ziegler, Leiter des Verbands fränkischer Zuckerrübenbauer, richtig. Für die rund 4500 Bauern zwischen Eichstätt, Hof und Aschaffenburg sei die Quote überlebensnotwendig. Denn die Zuckerrübe sei aufwendig aufzuziehen, man brauche teure Maschinen zur Ernte. „Ohne garantierte Abnahmen und Preise kein Zuckerrübenanbau, das muss den Entscheidern klar sein“, so der Franke.

„Bauern brauchen die Quote“

Rückentdeckung bekommt er von Südzucker-Sprecher Dominik Risser. Zwar könne er die Klagen von Zuckerverwendern wie dem Fürther Trolli-Chef verstehen, doch mit einer Öffnung für den Weltmarkt würden alle verlieren. Giganten wie Südzucker, weil der garantierte Absatz wegbricht; Rübenbauern, weil sie trotz hohem Investitionsaufwand aufgrund der extrem schwankenden Preise nicht wüssten, welche Ernte sie finanziell einfahren. Und zuletzt auch Verwender und Verbraucher: „Ohne Quote setzen wir die Versorgungssicherheit aufs Spiel. Plötzlich ist die Regalfüllung von der australischen Dürre oder Überschwemmungen in Thailand abhängig.“ Nicht zu vergessen die Spekulanten, die an den Börsen mit dem Rohstoff zocken würden.

Für Unternehmer Mederer oder Marktbeobachter Mühlbauer verschleiern solche Argumente, worum es wirklich geht. Nämlich darum, das dolce vita der Rübenbauern und vor allem der Zuckerkonzerne zu sichern. Daran werde sich aber nichts ändern, so der Trolli-Chef, solange Verbraucher nicht aufschreien. Zwar schlage das, was bei ihm Riesenposten sind, beim Kunden nur in Centbeträgen auf. „Aber er sollte bedenken — Zucker ist fast überall drin, vermeintlich kleine Beträge summieren sich. Und machen unbemerkt viel mehr aus als die Preissprünge, über die wir täglich an der Tankstelle schimpfen.“

 

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