"An Jesus kommen auch Messi und Mintal nicht vorbei"

24.12.2020, 13:24 Uhr

© Foto: Uwe Mühling

Herr Schamberger, Sie sind Pfarrer und Fußball-Fan. Hand auf‘s Herz: Haben Sie auch schon mal den Fußballgott angefleht?

Gerd Schamberger: Ich muss Ihnen gestehen: Nein! Denn – Gott sei Dank – es gibt ihn ja auch nicht! Auch ist ‚dort oben‘ kein Handball-, kein Hockey- und kein Skilaufgott. Gott lässt sich nicht auf eine Sportart oder das Rund eines Stadions reduzieren. Sein Wesen und Wirken lässt sich nicht auf "90 Minuten + X" beschränken. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Durch ihn erlangen wir eine andere Erlösung als durch ein Tor unseres Lieblingsvereins, das vielleicht schon nach zwei euphorischen Minuten wieder egalisiert ist. An Jesus kommt demnach keiner vorbei – auch nicht Messi, Ronaldo oder Mintal.

(Aber-)Glaube und Sport werden dennoch immer wieder miteinander verknüpft. Was halten Sie generell von Begriffen wie Fußballgott oder auch Sprüchen wie "Fußball ist Religion"?

Wenn Fans in Stadien "pilgern", klingt das heute ganz normal. "Choral"-ähnlich auch der Fangesang, angestimmt in erkennbar liturgischem Gewand. Beim "Sündenbock", der ja bekanntlich biblische Wurzeln hat (Lev 16/17), stehen Fans vor der Wahl zwischen Schiri und Trainer – ein "Opfer" sozusagen, das die Truppe für einen Grottenkick von jeglicher Schuld freispricht und alles Elend im Handumdrehen vergessen macht. Und wer mal erlebt hat, wie nach einem Aufstieg der "heilige" Rasen filetiert, eingepackt und mitgenommen wird, der fühlt sich schnell mal an Reliquien erinnert, die in Hausaltären und Kirchen verehrt werden. Spätestens hier tut sich für mich eine klare Grenze auf, an der Glaube und Sport offenkundig unterschiedliche Richtungen einschlagen.

Wie sind Sie zum Sport und speziell zum Fußball gekommen? Haben Sie früher selber gespielt?

Bereits in der Schule standen Deutsch, Religion und Sport bei mir ganz oben. Ich hatte Sport als Leistungskurs mit Schwimmen als Schwerpunkt und habe auch selten gefehlt. Dafür gab’s zweierlei Gründe: Zum einen, dass ich Sport immer schon toll fand, und zum anderen, dass ich mir die Befreiung ausgerechnet von der Sekretärin in persona meiner Mutter hätte besorgen müssen. Da freilich handelt man nun mal höchst besonnen und wohlüberlegt . . . (lacht). Fest im Verein gespielt habe ich selber nie, mich jedoch bereits mit 14 an die Schiedsrichter-Prüfung gewagt und auch einige Jahre für den Fußball-Bezirk Mittelfranken gepfiffen. An eines der ersten Auswärtsspiele erinnere ich mich noch recht gut: Mein Vater musste als Chauffeur ran und willigte unter drei Bedingungen ein: das Auto stünde in Fahrtrichtung Heimat, die Türen wären offen und selber hätte er mit jenem jungen Mann in Schwarz rein gar nichts zu schaffen (lacht). Mit Beginn des Studiums ging dann zumindest der eine mögliche Berufsweg als "Man in black" zu Ende.

Wann und wie ging es mit der Fan-Liebe zum 1. FC Nürnberg los und wie sehr leiden Sie nach zuletzt einem Abstieg und einem Fastabstieg mit dem FCN?

Ich muss zunächst offen gestehen: Damals in meiner Jugend fand ich tatsächlich den Hamburger SV sehr sympathisch, zumal dies Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre mit der einzige Erstliga-Verein war, der schon damals dem rot-weißen Millionen-Ensemble tief im Süden unseres Landes einigermaßen auf Augenhöhe begegnen konnte. Diese Sympathie ging schließlich soweit, dass ich zur Konfirmation neben einer damals angesagten Fotobibel auch ein HSV-Badetuch geschenkt bekam. Erst danach wuchs dann mehr und mehr eine emotionale Affinität zum 1. FC Nürnberg, samt Dauerkarte und akuter Leidensfähigkeit. Gerade nun eben wieder der Abstieg und der Tanz auf der Rasierklinge hinterher. Tragisch eben nur, dass beim Club faktisch die Zeitspanne des Leidens immer so unendlich viel länger anhält als die grandiosen Höhenflüge.

© Foto: Privat

Wann waren Sie als Zuschauer und Dauerkartenbesitzer zuletzt live dabei und wie sehr vermissen Sie in Zeiten von Corona und Geisterspielen diese Stadionbesuche?

Bis Corona stimmt das mit der Dauerkarte, seitdem aber lief ja auch hier alles anders. Anfang März war es das Abendspiel gegen Hannover 96, das ich unmittelbar im Stadion teils mit beiden Händen vorm Gesicht und einem fühlbaren Schauer im Nacken miterleben musste – deprimierender Endstand damals 0:3. Solche Ausflüge vermisse ich natürlich überhaupt nicht. Dagegen so manch ansehnliches Spiel bei toller Stadionatmosphäre dank Tausender begeisterter Fans und dort dann mittendrin – das wär‘ schon wieder mal was. Aber hier ist für mich auch klar: Uns alle miteinander verbinden zurzeit noch immer ganz andere Sorgen. Und die haben erstmal Priorität.

Was halten Sie von den derzeitigen Geisterspielen?

Zugegeben: Mich reißen solche Spiele nicht gerade vom Hocker. Das Wort "Geisterspiel" hat ja an sich schon einen faden Beigeschmack. Fußball ist nun mal Emotion, ist sich nahekommen, abklatschen, jubeln. Die neben mir wollen mich auch mal umarmen. Wollen mir sagen: "Ey, wir haben gerade ein Tor geschossen, super!" Da mag ich mir nicht so recht vorstellen, dass im weiten Rund der Stadien nur jede zweite Reihe besetzt ist. Entweder alle oder keiner, das fände ich fairer. Und alle geht wegen der Infektionsgefahr momentan einfach nicht. Selbst eine angedachte Teilöffnung überzeugt mich am Ende nicht wirklich: wen konkret wollte man da dann ausschließen? Ich bin mir darum sicher, es wird eine neue Diskussion über Nähe und Distanz geben im öffentlichen Leben, und einer solchen wird auch der Fußball sich mittelfristig stellen müssen.

Zuletzt wurde das öffentliche Leben mehr und mehr eingeschränkt. Der Profifußball läuft aber weiter, als ob nichts wäre. Teilen Sie die Kritik an dessen Sonderstellung?

Es ist wohl deutlich zu früh, Fans wieder ins Stadion zu lassen. Gerade wenn man überall weiterhin noch sehr auf Abstand lebt, ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass da ausgerechnet dem Fußball eine Sonderrolle zukommen sollte. Tests hin oder her – unter den jetzigen Vorzeichen Spiele anzusetzen, ist ein Schlag ins Gesicht all der Fans, die längst nicht den Schutz und Test-Luxus von Fußball-Millionären genießen. Vor allem denen, die trotz penibler Hygienepläne Gasträume wegen staatlich angeordneter Lockdowns schließen müssen, ist sowas in keinster Weise vermittelbar.

Wie gesagt, alles wird eingeschränkt, auch für die christlichen Kirchen. Wie sehen Sie dem Weihnachtsfest unter all den Corona-Auflagen entgegen?

Gespannt und doch auch gelassen! Ich denk‘ mir manchmal: Corona ist ein bisschen wie Weihnachten – so ziemlich alle sind zu Hause und haben viel zu viel Essen eingekauft! Ganz viel Vertrautes konnte und kann heuer nicht stattfinden – leider. Was dagegen bleibt: Die Botschaft der Weihnacht – sie verstummt auch in allem Corona-Getöse nicht. Für einen Augenblick lang, in dem unsere Sehnsucht aufblüht nach Gelingen, Liebe und Menschenwürde. Daran allein halte ich mich: An jenes göttliche Kind, das zunächst keinen Platz findet in unserer Herberge. Und sich schließlich doch weiten Raum nimmt in unseren Herzen. Auch ich werde diesmal die Festtage ganz anders erleben als sonst und doch tut es der Weihnachtsfreude keinen Abbruch. Corona hin oder her!

Nochmal zurück zum Sport: Beschränkt sich Ihr Interesse rein auf den Fußball oder sehen Sie sich auch andere Sportarten an?

Fußball ist das eine. Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer Sportarten, die mich faszinieren. Vor einer aber hab‘ ich besonderen Respekt: Auf einer Jugendfreizeit quer durch Norwegen hatte ich mal das rasante Vergnügen, mich als tollkühner Mitfahrer in einem Radbob die originale Olympiastrecke ‚Hunderfossen‘ nahe Lillehammer hinunter zu stürzen. Ein berauschendes Gefühl, das zwar nach knapp zwei Minuten real zu Ende war und doch auch noch Stunden später in spürbarer Erinnerung blieb (lacht).

Abschließende Frage im fußball-typischen "Doppelpack": Treiben Sie regelmäßig Sport? Und wie ist es um Ihre eigene Fitness bestellt?

Wenn die Zeit es erlaubt, gehe ich gern mal Schwimmen, fahre regelmäßig Ski und ab und an Fahrrad. Doch auch hier lässt Corona grüßen: Skifahren ist eben gerade nicht möglich und fürs Radfahren ist die extreme Höhenlage meines Pfarrhauses alles andere als günstig. Ich selber besitze nämlich noch kein modernes E-Bike, sondern noch immer nur ein antikes, sogenanntes R-Bike (Richtiges Fahrrad). Ansonsten ist es tatsächlich so, dass mir erst jüngst am Rande des abendlichen Turmblasens am zweiten Advent auf der Pappenheimer Burg beim zügigen Aufstieg hinter den geübten Musikern speziell ein Lied unserer Helene F. als erstes in den Sinn kam, nämlich "Atemlos durch die Nacht". Aber wenn nun erstmal die Feiertage alle wieder
vorüber sind und dann auch noch ein neues Jahr begonnen hat: dann, ja dann . . . (lacht).

Zur Person

Gerd Schamberger, 54, ist in Neustadt an der Aisch geboren und aufgewachsen. Dort hat er Abitur gemacht und anschließend in Neuendettelsau, Marburg und Tübingen evangelische Theologie studiert. Als Pfarrer wirkte er in Münchberg, Selb und 15 Jahre in Weißenburg. Seit September 2017 ist der leidenschaftliche Club-Fan in Pappenheim tätig und betreut dort die zweite Pfarrstelle.

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