Analyse: Afghanistan-Wahl: Bomben, Raketen, Panzerhaubitzen

18.9.2010, 15:27 Uhr
Analyse: Afghanistan-Wahl: Bomben, Raketen, Panzerhaubitzen

© dpa

Die Antwort auf die zweite stand dagegen schon vor Schließung der Wahllokale fest: Trotz aller Schutzmaßnahmen gelang es den Taliban, auch diese Abstimmung mit einer ganzen Serie von Anschlägen und Angriffen zu torpedieren.

Die Aufständischen hatten zum Wahlboykott aufgerufen und Wähler in aller Öffentlichkeit bedroht. Dabei spielten sich beispielsweise in der Provinz Logar südlich der Hauptstadt Kabul Szenen ab, die eindrücklich zeigen, wie machtlos die Zentralregierung ist. Als sich am Ende des Fastenmonats Ramadan vor gut einer Woche im Distrikt Baraki Barak rund 3000 Gläubige zum Gebet versammelten, bekamen sie stattdessen eine Botschaft der Taliban zu hören.

Ein junger Mann trat ans Mikrofon der Moschee und verlas eine Warnung der Aufständischen. «Wenn ihr sicher sein wollt, nehmt nicht an den Parlamentswahlen teil, und überbringt diese Nachricht allen, die nicht hier sind», sagte er. Die mehr als ein Dutzend anwesenden Polizisten ließen den Staatsfeind gewähren. Ein Regierungsvertreter sagte später zur Begründung, man habe kein Chaos verursachen und den heiligen Tag nicht durch eine Festnahme ruinieren wollen.

Solche Einschüchterungen verfehlen ihre Wirkung im Volk nicht. «Wenn die Polizisten, die uns Sicherheit bieten sollen, zu ängstlich sind, auch nur einen einzelnen Talib an öffentlichen Drohungen gegen uns zu hindern, wie wollen sie dann gewährleisten, dass wir nicht angegriffen werden, wenn wir wählen gehen?», fragte Abdul Karim aus Baraki Barak. Eine berechtigte Frage, wie sich herausstellen sollte.

Die Taliban machten ihre Drohungen wahr. Mehrere Menschen starben am Wahltag, Dutzende wurden bei Anschlägen und Angriffen verletzt. Zwar versuchte die Regierung, Berichte über Gewalt während der Öffnungszeiten der Wahllokale unter der Decke zu halten, um Afghanen nicht von einer Stimmabgabe abzuschrecken. Dennoch wurden bereits im Laufe des Tages zahlreiche Zwischenfälle bekannt. Die Taliban feuerten Raketen ab, zündeten Bomben an Wahllokalen und lieferten sich Gefechte mit afghanischen Sicherheitskräften, die im Norden des Landes von der Bundeswehr unterstützt wurden.

Überhaupt wirft die Gewalt am Wahltag erneut ein Schlaglicht auf den einst so ruhigen nordafghanischen Verantwortungsbereich der Bundeswehr - der zu einem Schwerpunkt der Taliban geworden ist. In der Provinz Baghlan kam es zu heftigen Gefechten, als Aufständische Wahllokale angriffen. Die Bundeswehr in Kundus meldete Raketeneinschläge und den Beschuss von Soldaten. Provinzgouverneur Mohammad Omar zählte mehr als ein Dutzend Zwischenfälle. Nach Omars Angaben setzte die Bundeswehr am Wahltag mit der «Panzerhaubitze 2000» sogar schwere Artillerie gegen die Aufständischen ein.

Die Taliban störten die Parlamentswahl - mehr aber nicht. Einige Anschläge wurden von den Sicherheitskräften vereitelt, zahlreiche Aufständische wurden getötet. Und Millionen Afghanen ließen sich nicht von der Gewalt einschüchtern.

Mohammad Harun gehört zu jenen, die den Drohungen trotzten. «Als ich heute Morgen mein Haus verließ, wusste ich, dass die Taliban versuchen würden, Wähler anzugreifen», sagte der 28-Jährige bei der Stimmabgabe in Kabul. «Aber ich bin meinem Land gegenüber verpflichtet, bei der Stabilisierung zu helfen. Wenn wir heute aus Angst vor Angriffen der Taliban nicht rausgehen und wählen, dann werden sie morgen kommen und uns in unseren Häusern angreifen.»